Bochum. Versicherungsmakler Bernd Pape würde gerne einen Auszubildenden einstellen, doch die IHK verlangt eine 10.000 Euro teure Weiterbildung von dem Bochumer, obwohl er in der Vergangenheit seine Ausbildungsbefähigung schon nachgewiesen habe. Laut Pape schadet dieser „Bürokratismus“ sowohl der IHK, als auch potentiellen Arbeitgebern und den Schulangängern.
„Der Facharbeitermangel kommt schneller als wir denken“, sagt Luidger Wolterhoff, Chef der Bochumer Arbeitsagentur. In einigen Bereichen ist er sogar schon da. Pflegekräfte oder Elektriker werden händeringend gesucht.
Dirk W. Erlhöfer, Hauptgeschäftsführer der Chemie-Arbeitgeber in Westfalen spricht von „Vorboten des einsetzenden Wandels auf dem Ausbildungsmarkt“, nachdem 2013 in der Region 2,5 Prozent der angebotenen Chemie-Ausbildungsplätze nicht besetzt werden konnten.
Nachfrage oft größer als das Angebot
Jede abgeschlossene Ausbildung ist da Gold wert. Allerdings ist die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in vielen Bereichen noch größer als das Angebot. Um 2,1 Prozent sank die Zahl der Ausbildungsstellen im Agenturbezirk Bochum im Vorjahr gegenüber 2012. Momentan sind allein in Bochum mehr als 1500 junge Frauen und Männer ohne Arbeit oder Ausbildungsplatz.
Möglicherweise ist die Zahl sogar noch größer, glaubt der Deutsche Gewerkschaftsbund. „Viele junge Leute haben erst eine Auszeit organisiert und sich gar nicht um einen Ausbildungsplatz beworben“, sagt DGB-Regional-Geschäftsführer Jochen Marquardt. Er unterstützt den Aufruf der Agentur für Arbeit nach „gemeinsamen Anstrengungen und Aktionen gegen Jugendarbeitslosigkeit und für Ausbildung“.
Keine Möglichkeit auszubilden
Bernd Pape würde das wohl unterschreiben. Auf jeden Fall ist der selbstständige Versicherungsmakler gewillt, einen Azubi einzustellen. Wenn man ihn denn ließe. Vor einigen Jahren habe ihn die Industrie- und Handelskammer (IHK) noch bekniet, eine Lehrstelle anzubieten – auch ohne Berufsausbildungsschein.
„Damals passte es bei mir nicht“, sagt er. Als er nun vor geraumer Zeit anfragte, hieß es, er müsse erst die Ausbildung absolvieren und eine Prüfung ablegen. „Das hätte mich insgesamt 10.000 Euro gekostet“, sagt er und addiert die Teilnahmegebühren (800 Euro), Prüfungskosten (200 Euro) sowie jede der 88 Unterrichtsstunden mit je 100 Euro.
Vorwurf an die IHK
So viel Zeit habe er nicht und so viel Geld wolle er der „Beitragseinzugsstelle IHK“, wie er sagt, nicht geben. Er wirft ihr „Geldschneiderei“ vor. Zumal er seine Ausbildungsbefähigung schon nachgewiesen habe. Während seiner Zeit als Angestellter habe er immer wieder für mehrere Monate Auszubildende in seiner damaligen Geschäftsstelle gehabt. „Die sollen mir den Schein geben und fertig.“ Entsprechende Unterlagen habe er der IHK vor zweieinhalb Monaten zur Verfügung gestellt. Passiert sei nichts.
Der „Bürokratismus“ sei nicht nur schlecht fürs Image der IHK, schlecht fürs Versicherungswesen, dem die Schulabgänger nicht gerade zuströmen und das gerade offensiv um Auszubildende wirbt, sondern ist aus Sicht von Bernd Pape ein grundsätzliches Problem. Bürokratische Hürden verhinderten Ausbildung. „Nach 33 Jahren Berufserfahrung und Jahren der Zusammenarbeit mit jungen Menschen halte ich das für einen schlechten Witz. Ich bin sicher, einige Tausend Unternehmen meiner Betriebsgröße denken da ähnlich.“
„Wir sind sogar sehr flexibel“
Den Vorwurf mangelnder Flexibilität lässt die IHK Mittleres Ruhrgebiet nicht stehen. „Wir sind da sogar sehr flexibel“, sagt Thomas Gdanietz, stellvertretender Bereichsleiter der Beruflichen Bildung bei der IHK. Stimmen die betrieblichen Voraussetzungen, könne jeder Betrieb sofort einen Azubi annehmen.
Der Schein, mit dem die berufs- und arbeitspädagogischen Voraussetzungen nachgewiesen werden müssen, könne innerhalb eines Jahres nachgeholt werden. Ein Sperre würde erst nach dem dritten Jahr ausgesprochen. „Damit wollen wir den Auszubildenden schützen, der auf jeden Fall sein Ausbildung beenden könnte.“
„Wenn ein Betrieb einen Persilschein haben will, geht das auch“, sagt Gdanietz. Dazu müssten die berufs- und arbeitspädagogischen Voraussetzungen anderweitig nachgewiesen werden. Dann gebe es eine Erlaubnis auf Widerruf.
Mehr Bewerber als Ausbildungsplätze
Der Haken bei Bernd Pape: Er habe den entsprechenden Antrag noch nicht gestellt. Der Versicherungsmakler wiederum weist daraufhin, längst alle Unterlagen eingereicht zu haben. Er hofft, das bald etwas passiert. „Ich bin jetzt 53.“ Ein Nachfolger müsste sich nicht nur einarbeiten, sondern erst einmal das Geschäft von der Pike auf erlernen.
Die Ausbildungsbilanz für 2013 fällt gemischt aus. In Bochum meldeten sich bis Ende September 2498 Bewerber, dem standen trotz eines Zuwachses von 142 nur 2087 gemeldete Ausbildungsstellen gegenüber. Nur zehn der 2498 Bewerber verfügten über keinen Schulabschluss. 803 hatten einen Realschulabschluss, dahinter folgten Fachhochschulreife (679), Allgemeine Hochschulreife (489) und Hauptschulabschluss (442).