Bochum. Licht aus im Bermudadreieck: Bochums berühmte Partymeile erlebte am Freitag ihre erste Sperrstunde. Wirte prüfen eine Klage gegen die Verordnung.

Als kurz nach elf auch das Bratwursthaus die Rollladen herunterlässt, wissen die letzten Nachtschwärmer: Es ist vorbei. Und es ist ernst. Das Bermudadreieck an einem Freitagabend ohne Currywurst: Das gab’s noch nie. Ebenso wie die Sperrstunde, die Bochums berühmte Partymeile erstmals lahm- und trockenlegte.

Bochum ist Corona-Risikogebiet. Die Sieben-Tage-Inzidenz von 50 ist seit Donnerstag überschritten. Anlass für die Stadt, unverzüglich einer Landesverordnung zu folgen und ab Freitag eine Sperrstunde von 23 bis 6 Uhr zu erlassen. Die trifft zwar die gesamte Gastronomie – Speiserestaurants weniger als klassische Kneipen. Das Bermudadreieck als Ausgehtreff Nummer 1 indes ist in besonderer Weise erschüttert. Warum, zeigt eine Studie, die 2017 von der Immobilien- und Standortgemeinschaft (ISG) in Auftrag gegeben wurde. Danach verbucht das Dreieck mit jährlich 60 Millionen Euro ein Viertel des gesamten Gastronomieumsatzes in Bochum. Auf weitere knapp 30 Millionen Euro summieren sich Einnahmen u. a. für Hotels, Einzelhandel, Parkhäuser oder Taxibetriebe. Mehr als 1000 Mitarbeiter sind beschäftigt.

Sperrstunde in Bochum: Gäste sind unterschiedlicher Meinung

Die beginnen am Freitag schon ab 22.30 Uhr, die ersten Polster hereinzutragen. Die Kortum- und Brüderstraße sind zwar nicht verwaist. Es ist aber deutlich weniger los als sonst zum Start ins Wochenende. „Wir waren Pizza essen und nehmen jetzt noch einen Absacker“, sagt Liam (24), der mit drei Freunden unterwegs ist. Von der Sperrstunde habe er aus den sozialen Medien erfahren. „Finde ich richtig“, meint der Jura-Student. „Besser jetzt die Füße stillhalten, als dass hier alles den Bach runtergeht.“

„Ist doch alles irre!“, kontert Julia. Die 31-Jährige ist mit ihrer Cousine aus Hattingen nach Bochum gekommen. Eine lange Partynacht war angesagt. Von der Sperrstunde hat sie nichts gewusst. Was sie davon hält? „Nichts! Es ist doch erwiesen, dass es in der Gastronomie so gut wie keine Infektionen gibt. Die halten sich in den Lokalen doch alle an die Regeln.“ Stimmt. Allerdings gibt es immer wieder Beschwerden, dass der Abstand auf der Straße nicht eingehalten wird. Auch am Freitag tragen nur die wenigsten Besucher außerhalb der Gastro-Bereiche eine Schutzmaske.

Ordnungsdienst und Polizei stehen bereit

22.45 Uhr. Im Supermarkt und an den umliegenden Kiosken gehen die letzten Flaschen Bier über den Ladentisch. Ab 23 Uhr darf im Handel und an der Tanke kein Alkohol mehr verkauft werden. „Last Order“, heißt es in den Bars und Kneipen, in denen es um diese Zeit sonst erst richtig losgeht. Im Intershop. In der Pinte. Im Brinkhoffs. Im Kult. Im Pearlz. Im ThreeSixty. Im Sausalitos. In den Shisha-Bars an der Brüderstraße. Das Geschäft sei den ganzen Abend über schlecht gewesen, die Umsätze lägen bei maximal 50 Prozent, sagt Bermuda-Wirt Christian Bickelbacher. „Viele sind erst gar nicht angereist.“ Trotz Happy Hour, die mancherorts schon um 18 Uhr geschlagen hat, um die Tische voll zu bekommen. Motto: Wer früher gehen muss, fängt halt früher an.

Das Bermudadreieck am Freitag kurz nach 23 Uhr: Die Sperrstunde zeigt Wirkung. Die Kortumstraße, auf der um diese Zeit sonst das Nachtleben tobt, ist nahezu verwaist.
Das Bermudadreieck am Freitag kurz nach 23 Uhr: Die Sperrstunde zeigt Wirkung. Die Kortumstraße, auf der um diese Zeit sonst das Nachtleben tobt, ist nahezu verwaist. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

23 Uhr. An der KAP-Bühne haben sich Ordnungsdienst und Polizei postiert. Sie müssen nicht eingreifen. Pünktlich gehen im Dreieck die Lichter aus. Am Parkhaus bilden sich lange Schlangen. Wer nicht mehr fahren kann, torkelt gen Heimat. Oft mit Freunden. „Wir feiern zu Hause weiter. Das machen hier alle so“, sagt Julia. Auch wenn sie weiß, dass dies nicht im Sinne der Politik und Medizin ist.

Wirte prüfen eine Klage

23.10 Uhr. Das Dreieck ist fast menschenleer. Taxifahrer und Flaschensammler, auch sie Leidtragende, ziehen enttäuscht von dannen. Auch das Bratwursthaus als Bermuda-Institution macht Feierabend. Am Samstag wird weiter gebrutzelt. Wieder bis 23 Uhr. So lange Bochum Risikogebiet ist, gilt die Sperrstunde.

Oder nicht? Die Lage sei für viele Betriebe auch wegen der neuerlichen Beschränkung bei privaten Festen auf zehn Personen längst existenzbedrohend, heißt es in der Branche. Nach WAZ-Informationen prüfen Bochumer Gastronomen (auch außerhalb des Bermudadreiecks) eine gemeinsame Klage. Die verschärften Regeln seien„unangemessen“ und zur Bekämpfung der Pandemie nicht erforderlich, heißt es. Als Mutmacher gilt Berlin, wo elf Wirte die Sperrstunde vor dem Verwaltungsgericht kippten. Die Kneipen in der Hauptstadt dürfen geöffnet bleiben – nach 23 Uhr allerdings ohne Alkoholausschank.

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