Siegen/Hagen. Gegen die 32-Jährige, die in Siegen mehrere Menschen verletzt hat, ist Anklage erhoben worden. Nun sind noch mehr Details bekannt.
Dreieinhalb Monate nach der Messerattacke während einer Busfahrt am Rande des Stadtfestes in Siegen hat die Staatsanwaltschaft Siegen Anklage gegen eine 32-Jährige erhoben. Das bestätigte das zuständige Landgericht Siegen am Dienstag auf Anfrage der WESTFALENPOST.
Der Frau aus dem Kreis Olpe, die mehrere Fahrgäste teils schwer verletzt haben soll, wird in erster Linie versuchter Mord vorgeworfen, zudem in Tateinheit versuchter Totschlag in zwei Fällen, gefährliche Körperverletzung in vier Fällen und vorsätzliche Körperverletzung in zwei Fällen. Über die Anklageerhebung hatte zuerst die Siegener Zeitung berichtet.
Anklage: Frau wollte eigentlich zum Stadtfest
Möglicherweise hätte die mutmaßliche Angreiferin sogar noch größeren Schaden anrichten können. Denn wie das Landgericht Siegen erklärt, gehe die Anklage davon aus, dass die Beschuldigte zunächst einen anderen Ort für ihren Angriff vorgesehen habe, an dem sich sehr viel mehr Menschen aufhielten als in dem Bus.
Demnach „wollte die Angeklagte eigentlich zum Stadtfest Siegen fahren, um dort Menschen zu töten“, so eine Sprecherin des Landgerichts. Und weiter: „Im Bus soll sie ihren Tatplan geändert haben, weil sie Taschenkontrollen auf dem Festgelände befürchtet haben soll. Daher habe sie sich entschlossen, den Angriff im Bus zu verüben.“
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Opfer in Hals gestochen
Die Frau soll dann – am 30. August, also eine Woche nach der mutmaßlichen Terrorattacke eines Syrers in Solingen mit drei Todesopfern – in einem Sonderbus auf dem Weg zum Stadtfest in Siegen mehrere Fahrgäste durch Messerstiche teils schwer verletzt haben. In dem Bus sollen sich zum Tatzeitpunkt 35 Passagiere befunden haben.
Laut Anklage soll die mutmaßliche Täterin drei Messer mit Klingenlängen von circa fünf, neuneinhalb und 25 Zentimetern mit sich geführt haben, zwei davon in einem Jutebeutel, das kleinste „um ihren Hals an einem Lederband befestigt“, wie das Landgericht Siegen mitteilt. Außerdem soll sie in ihrer Hosentasche einen Schraubenzieher dabei gehabt haben.
„Die Anklage geht von der vollen Schuldfähigkeit der Angeklagten zum Tatzeitpunkt aus.“
Im Bus soll die 32-Jährige zunächst einem Mann, der hinter ihr saß, mit einem Einhandmessser (Klingenlänge: circa 9,5 Zentimeter) in den Hals gestochen haben, dann, mit demselben Messer, zwei weiteren Männern ebenfalls in den Hals. Danach soll sie auf eine Frau eingestochen haben, die jedoch ihre Arme schützend vor sich hielt und deshalb „nur“ am Unterarm verletzt worden sein soll.
Laut Anklage soll die mutmaßliche Täterin, deren Verteidiger bisher nicht auf Gesprächsanfragen reagierte, dann auf die Kinder dieser Frau zugelaufen sein, „um auch diese zu töten“. Der Mutter der Kinder soll es jedoch gelungen sein, den Oberkörper der Angeklagten zu umklammern. Eine weitere Frau sei zu Hilfe geeilt und habe den messerführenden Arm der mutmaßlichen Täterin festgehalten. Schließlich habe ein männlicher Fahrgast das Messer der Angreiferin gesichert.
Zwei Fahrgäste im Bus sollen infolge des Messerangriffs Panickattacken erlitten haben.
Frauen stoppen Angreiferin
NRW-Innenminister Reul hatte nach dem Vorfall in Siegen, der zunächst als „Amoklauf“ eingestuft worden war und bei dem in der Spitze 120 Polizeikräfte im Einsatz gewesen waren, die schnelle Reaktionszeit der Polizei gelobt, vor allem aber auch die Zivilcourage der Fahrgäste in dem Bus.
„Dass Frauen und Männer zugegriffen und das Schlimmste verhindert haben, viele Mensch vor Schaden bewahrt haben, das ist doch eine Riesengeschichte. Wenn ich mitkriege, dass das Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund waren, das kann ja auch ein bisschen stolz machen und macht deutlich, es ist nicht so einfach, wie wir manchmal die Probleme diskutieren“, sagte der CDU-Politiker am Tag nach der Messerattacke in Siegen.
Zudem hatte Reul am Tag nach der Messerattacke bei seinem Besuch in Siegen erklärt, dass „der Verdacht sehr naheliegt“, dass die mutmaßliche Täterin „psychische Probleme“ habe. Laut Landgericht Siegen geht jedoch die Anklage der Staatsanwaltschaft „von der vollen Schuldfähigkeit der Angeklagten zum Tatzeitpunkt aus“. Die mutmaßliche Täterin sei demnach während des Ermittlungsverfahrens durch einen psychiatrischen Sachverständigen untersucht worden.
Sechs Tage nach der Tat hatte Reul im Innenausschuss des Landtags berichtet, dass die mutmaßliche Täterin in den Vernehmungen erklärt habe, dass „die Polizeibeamten das Motiv – Zitat – ‚eh nicht verstehen‘ würden“. Dies sei die „einzige Aussage“ der Tatverdächtigen gewesen. Hintergründe und Motiv der Tat seien „völlig unklar“. Auch hatte der Minister erklärt, dass die Frau bereits zuvor wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittel- und das Straßenverkehrsgesetz polizeibekannt gewesen sei.
Waffenverbot verschärft
Ob die Anklage der Staatsanwaltschaft Siegen zur Hauptverhandlung zugelassen wird, das heißt, ob es zum Prozess kommt, ist nun Sache des Landgerichts Siegen. Eine Entscheidung stehe noch aus, so das Landgericht. Die Anklage der Staatsanwaltschaft datiert vom 23. November dieses Jahres.
Die Messerattacken von Siegen und Solingen hatten auch die Debatte um Sicherheit, Kontrollen und Waffenverbote befeuert. Nach einer Gesetzesänderung der Bundesregierung sind inzwischen auf Volksfesten und Großveranstaltungen jegliche Messer verboten. Ausnahmen bestehen für Gewerbetreibende. Auch in öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bussen und Bahnen gilt ein Messerverbot. Zudem sind die Bundesländer ermächtigt, Messerverbote an Bahnhöfen zu verhängen.
NRW-Innenminister Reul hatte nach dem tödlichen Terroranschlag auf dem Stadtfest in Solingen und der Messerattacke in Siegen angekündigt, generelle Taschenkontrollen bei Großveranstaltungen prüfen lassen zu wollen. Mit einem Erlass im September sei geregelt worden, dass bei auch bei Weihnachtsmärkten zusätzliche Personen- und Taschenkontrollen möglich seien.