Gelsenkirchen. Ukrainerin Anna Didukh (35) hat mehrere Abschlüsse, ist hoch qualifiziert. Das macht das Leben in Gelsenkirchen nicht einfacher.

Ihre ehrenamtlichen Betreuer sagen, sie spreche mittlerweile ziemlich gut Deutsch. Aber Anna Didukh fühlt sich trotzdem unwohl damit, ihre Sätze auf Deutsch zu formulieren, wie sie zugibt. Nicht nur Ukrainisch und Russisch könne sie sprechen, auch gut Englisch und Französisch. In all diesen Sprachen sei sie es normalerweise gewohnt, fließend zu reden, sich wortreich und sicher zu artikulieren. „Ich kann mir es nicht erlauben, falsch zu sprechen“, sagt sie deshalb auf Ukrainisch, übersetzt von Alexandra Hutku, die beim „Deutschen Roten Kreuz“ in der Flüchtlingshilfe arbeitet.

Hier treffen wir Anna Didukh, als sie gerade einen Deutschkurs besucht, der vom DRK als Ergänzung zu den Pflichtkursen angeboten wird, die ukrainische Kriegsflüchtlinge besuchen müssen. Beim DRK engagiert sie sich auch ehrenamtlich, hilft anderen Ukrainerinnen bei Mobilfunkverträgen, Vermittlung zu Ärzten oder Anwälten. In ihrer Heimat machte die 35-Jährige zwei Bachelor- und einen Masterabschluss, studierte Jura und Philosophie, fing anschließend ihre Doktorarbeit an. Gearbeitet habe die Mutter aber vor allem in der Immobilienbranche.

Ukrainerin: „So habe ich mir mein Leben mit 35 Jahren nicht vorgestellt“

In einem der Bereiche würde sie auch in Deutschland gerne weiterarbeiten, sagt sie. Einen passenden Job für eine qualifizierte Frau wie sie zu finden: eine Herausforderung bei der Vermittlung im Jobcenter. Ihre Doktorarbeit abzuschließen, anschließend bei den United Nations oder anderen renommierten, internationalen Arbeitgebern zu arbeiten, das sei ihr Ziel. Aber jetzt steht sie hier, geflohen aus ihrer Heimat, mit dem Gefühl, von vorne anfangen zu müssen. „So habe ich mir mein Leben mit 35 nicht vorgestellt.“

Anna Didukh neben DRK-Werkstudentin Alexandra Hutku, die für sie übersetzt.
Anna Didukh neben DRK-Werkstudentin Alexandra Hutku, die für sie übersetzt. © WAZ | Gordon Wüllner-Adomako

In Deutschland, in einer Stadt wie Gelsenkirchen zu leben, darüber habe sie früher nie nachgedacht. Hier gelandet sei sie nur durch eine Bekanntschaft ihrer Mutter. Als Didukh nachkam, um ihre Mutter zu unterstützen, um sie nicht alleine zu lassen, da hätten ihre Kinder (6, 12) schnell Bekanntschaften geschlossen. Das sei der Grund, warum sie nicht weitergereist sei.

Dankbar sei sie für die Unterstützung in Gelsenkirchen, auch für das Geld vom Jobcenter. Aber sie sei nicht gewohnt, sich mit dem „Minimum zufriedenzugeben“. Es störe sie, finanziell nicht frei zu sein, abhängig vom Staat zu sein.

Statt sich auch mal was leisten zu können, wie damals in der Ukraine, müsse sie sich nun um Stromnachzahlungen sorgen: Über 1000 Euro möchte der Anbieter von ihr. Liegt es an dem Durchlauferhitzer in ihrer 70-Quadratmeter-Wohnung, in der sie bis vor kurzem mit ihrer Mutter und ihren Kindern gelebt hat? An den alten technischen Geräten dort, von denen sie vielen gespendet bekommen hat? Didukh muss beim DRK um Mithilfe fragen. Sich nicht selbst durchs Leben navigieren zu können, für sie etwas Neues. „Daran“, sagt sie, „will ich mich nicht gewöhnen.“