Mülheim. Jedes siebte Taxi in Mülheim wirtschaftet nicht plausibel. Warum ein Gutachten zu dieser Erkenntnis kommt – und trotzdem Erhöhungen vorschlägt.
Nach der Corona-Krise erholt sich Mülheims Taxi-Branche auch dank des seit einem Jahr gültigen neuen Tarifs wieder etwas. Doch nach wie vor arbeiten einige Betriebe im Graubereich, wie ein Gutachten jetzt aufdeckte.
„Nur wenige Branchen ermöglichen Unternehmern so weiten Spielraum für einen ,kreativen’ Umgang mit Erlös, Kosten und Gewinn wie das Taxi- und Mietwagengewerbe“, heißt es seitens der Hamburger Gutachter Linne und Krause. Sie waren im Zuge jener Erhöhung auf den Grundpreis von 5,70 Euro im vergangenen Jahr von der Stadt beauftragt worden, die Funktionsfähigkeit des hiesigen Beförderungsgewerbes zu untersuchen.
Mülheim: Fast jeder siebte Taxifahrer arbeitet semiprofessionell
Ihr Ergebnis: 14 Prozent der Fahrzeuge aus Mülheim hielten einer Plausibilitätsprüfung nicht stand. Sie wurden als semiprofessionell eingestuft, denn die eingereichten Daten jener Betriebe seien lückenhaft und widersprüchlich gewesen. Es handelt sich dabei zu fast 60 Prozent um Alleinfahrbetriebe.
Sobald der Nettojahreserlös eines Alleinfahrers deutlich unter 40.000 Euro liegt, sprechen Experten von einer problematischen Betriebsführung. Der Bundesverband Taxi und Mietwagen (BVTM) ging 2019 von einem durchschnittlichen Jahreserlös von 52.000 Euro aus.
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Erstaunlich: Sogar die als professionell eingestuften Mülheimer Alleinfahrerbetriebe überschritten diesen Wert mit 52.600 Euro nur minimal. Die Gutachter ermittelten im vergangenen Jahr pro Fahrzeug einen erwirtschafteten Überschuss von nur 14.300 Euro. Aus Sicht von Linne und Krause ist dies ein „schon damals schwieriges Ergebnis“, weil sehr gering.
Eine Erhöhung zum 1. Juli 2022 hatten die großen Mülheimer Taxi-Unternehmen zwar schon im vergangenen Jahr vorgeschlagen. Doch damals wollte die Verwaltung ihnen nur zu 75 Prozent folgen, weil es noch keine belastbaren Daten zur Wirtschaftlichkeit gab. Aus diesem Grund wurden Linne und Krause mit einer Einschätzung betraut.
Welche Erhöhungen das Gutachten beim Mülheimer Taxi-Tarif vorschlägt
Erst die Mehrheit im Rat folgte der gewünschten Tariferhöhung in Gänze – mit der Maßgabe, dass nach einem Gutachten im Zweifelsfall noch einmal nachgebessert werden kann.
Das Ergebnis stützt nunmehr die Entscheidung des Rates: Auf 72 Seiten untersuchten Linne und Krause die Funktionsfähigkeit des Taxigewerbes, auf 22 weiteren Seiten wurde die aktuelle Tariflage analysiert. Zwar kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Branche zumindest bis zur Corona-Krise funktionsfähig gewesen ist. Eine weitere Erhöhung hält man jedoch für angemessen.
Zu bedenken sei aber, „dass der Mülheimer Taxitarif bereits vor der Anhebung im Juli 2022 einer der teuersten war“. Zu hohe Anpassungen könnten zu einer geringeren Nachfrage führen, schließlich belasten die gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten nicht nur das Gewerbe, sondern auch die Verbraucherinnen und Verbraucher. Daher würden die Gutachter den Grundpreis von 5,70 Euro nicht weiter antasten, wohl aber den Kilometerzuschlag um fünf Cent, um eine Überteuerung der Kurzstrecken auszugleichen. Für Großraumtaxen (7,50 statt 5 Euro) und Rollstuhlfahrten (10 statt 5) soll es einen höheren Zuschlag geben.
Weniger Geschäftsleute, keine Pendler, neue Ratenbelastung – Corona als tiefer Einschnitt
Einen Einschnitt habe die Corona-Krise für Taxi-Unternehmen dennoch bedeutet. Zwar sei der Umstand, dass ein Großteil der Autos in Taxibetrieben kreditfinanziert sind, jahrelang zunächst kein Problem gewesen. Durch Corona aber führten die ausbleibenden Einnahmen zu steigenden Ratenbelastungen.
Wenngleich sich einige Kennziffern seit 2020 wieder leicht erhöht hätten, kämen sie noch immer nicht an das Niveau von 2019 heran. Zwar sei die Zahl der Übernachtungen wieder gestiegen, aufgrund der veränderten Kommunikation (Stichwort Videokonferenzen) rechne die Branche auch in Zukunft mit weniger zu befördernden Geschäftsleuten. Auch der Düsseldorfer Flughafen werde als Ziel seltener angesteuert.
Da das Taxi weiterhin nicht adäquat in den ÖPNV integriert sei, setzten Pendlerinnen und Pendler eher auf den eigenen Pkw oder Bus und Bahn. Wegen alldem bewerten die Mülheimer Unternehmen ihre Zukunftsaussichten maximal mit der Schulnote 3,0 – meistens sogar deutlich schlechter.
Zwölf Anträge auf Erteilung der Taxilizenz in Mülheim
Trotz schwieriger Lage: Geschäftsaufgaben hat es in den letzten zehn Jahren nicht gegeben. Im März lagen der Stadtverwaltung zwölf Anträge auf Erteilung einer Taxilizenz vor – davon fünf Altunternehmer, die nach fünf Jahren verlängern wollen, und sogar sieben Neuunternehmer, die bislang nicht in Mülheim tätig waren.
Von einer Unterversorgung geht das Gutachten aktuell nicht aus, wenngleich Mülheim mit knapp über 100 Fahrzeugen eine unterdurchschnittliche Taxidichte besitzt. Herausforderungen wie steigende Energiekosten, in erster Linie aber der Mindestlohn könnten Unternehmer dazu veranlassen, ihr Angebot zu reduzieren. Vor einem möglicherweise weiter sinkenden Angebot warnte Randolf Stephany, Inhaber des größten Mülheimer Taxibetriebs, bereits im vergangenen August.