Oberhausen. Der Schimmelreiter, die berühmte Novelle von Theodor Storm, erfährt am Theater Oberhausen eine zeitgemäße Neudeutung. So lief die Premiere.

Vom Absaufen verstehen wir im Ruhrgebiet was, den unzähligen ehemaligen Zechen und ihren Ewigkeitslasten sei Undank. Weshalb einem auch Deiche nicht fremd sind, die in Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ das zentrale Leitmotiv bilden. Eine Geschichte von Hell- und Weitsicht, gepaart mit technischem Fortschrittsglauben und einigem Ehrgeiz, der erst zu sozialem Aufstieg und dann in die Katastrophe führt.

Im geschickt genutzten Studio des Theaters Oberhausen zieht nun Regisseur Gregor Turaček sein Publikum im fließenden Übergang von Platznahme zum Spielgeschehen in seine zeitgemäße Neudeutung. Und gewährt ihm dabei von gegenüberliegenden, lehnenlosen Tribünen aus spannende Einsichten, weil seine Bühnen- und Kostümbildnerin Juliette Collas den Raum mit einem Modefreaks als „Catwalk“ bekannten Steg zweigeteilt hat.

Regina Leenders in der Rolle der Elke Volkerts, rechts hinten: Daniel Rothaug als Ole Peters.
Regina Leenders in der Rolle der Elke Volkerts, rechts hinten: Daniel Rothaug als Ole Peters. © Theater Oberhausen | Jochen Quast

Optischer Mittelpunkt des kargen Ambientes ist ein Sandkasten, der ob seiner wechselnden Beamer-Illumination im Programmflyer hübsch neudeutsch als „Augmented Reality Sandbox“ bezeichnet wird. In dem buddelt, formt und wischt vom Fleck weg ein buntgekleideter Hippie mit John-Lennon-Brille, den David Lau eindringlich verkörpert. Es ist Hauke Haien, ein jugendlicher Rechenkünstler mit der Idee eines neuartigen Deichprofils, das seine Heimat vor künftigen Unbilden einer mit Gewissheit kommenden, unvorstellbaren Sturmflut schützen soll.

Sinnbild der aktuellen Klimakrise

Dieser stummen, lediglich von monotoner Rockmusik (wie gerne hätte man „Riders On The Storm“ gehört) begleiteten Einführung folgt ein für Kenner radikaler Bruch. Verzichtet Turaček doch auf Storms mythisches Raunen samt aller Spökenkiekerei, die Hauke Haien das Leben als kommender Deichgraf schwer machen wird, weshalb auch die unheilige Symbolik des Schimmels keine weitere Rolle spielt. Stattdessen lässt er Daniel Rothaug, der robust-bollerig den Großknecht Ole Peters als Hauke Haiens Gegenpart gibt, die kommende Handlung als Sinnbild der aktuellen Klimakrise erläutern.

So nimmt denn ein Sandkastenspiel seinen Lauf, dem die selbst- und auch machtbewusste Elke Volkerts – handfest in Netzstrümpfen Regina Leenders als Tochter des amtierenden Deichgrafs (hübsch lethargisch, Klaus Zwick) – die Richtung vorgibt. Erst macht sie den mittellosen Hauke zum Assistenten ihres von seinen Aufgaben überforderten Vaters und botet dann Ole Peters, den Konkurrenten um die Nachfolge als Deichgraf, geschickt aus. „Man hat ja seinen Stolz. Ich will den reichsten Mann des Dorfes heiraten“, weshalb Hauke Haien kurzerhand ihr Erbe übertragen bekommt, und so Elkes Gatte und der neue Deichgraf wird.

Szene aus „Der Schimmelreiter“ am Theater Oberhausen, hier: Regina Leenders und David Lau.
Szene aus „Der Schimmelreiter“ am Theater Oberhausen, hier: Regina Leenders und David Lau. © Theater Oberhausen | Jochen Quast

Der Weg dorthin wird von amüsanten Regie-Einfällen begleitet, dem landestypischen Bosseln als Trinkspiel etwa oder dem von Elke und ihrem Vater dialogisch rezitierten Poem „Das Gewitter“ mit bekannt feiner Pointe – nix Otto, von Heinz Erhardt ist’s. Zwischendurch wird immer wieder mächtig Sand geschippt, bis gegen alle Widerstände der neuartige Deich des weitsichtigen Klimaaktivisten steht. Dass Hauke Haien sich schließlich von seinem alten Gegner Ole Peters einlullen lässt, die Schwächen des alten Dorfdeiches zu ignorieren, führt bei der von ihm vorhergesagten großen Sturmflut prompt zur Katastrophe. Die verzweifelte Elke (und nicht etwa der Deichgraf) reitet auf dem hier sinnbefreiten Schimmel in den Tod und das Dorf säuft ab.

Trockenes Fazit: Diese auf die Jugend zielende Inszenierung ist eine durchaus nachdenklich stimmende Neudeutung einer alten Geschichte über die verheerende Macht der Naturgewalten, denen man nur klug handelnd nicht hilflos ausgeliefert ist. Die fünfminütige Publikumsbefragung nach Tod und Verderben im Stile von „Was will uns dieses sagen?“ jedoch hätten sich Gregor Turaček und seine vier Akteure sparen dürfen – die aktuellen Bezüge sind deutlich genug.

Der Schimmelreiter am Theater Oberhausen: Termine

Die nächsten Vorstellungen von „Der Schimmelreiter“ sind am Sonntag um 16 Uhr sowie am 8., 9., 14. und 15. Februar jeweils um 9.30 und 12 Uhr. Außerdem gibt es am 12. Februar noch einen Abendtermin um 18 Uhr im Studio. Näheres auf www.theater-oberhausen.de.Die Besetzung des Schimmelreiters: David Lau spielt Hauke Haien, Regina Leenders schlüpft in die Rolle der Elke Volkerts, Daniel Rothaug spielt Ole Peters, Klaus Zwick gibt den Deichgrafen.