Oberhausen. Hans-Peter Becker arbeitet freiwillig im Altmarktgarten über den Dächern der Stadt. Der 63-Jährige hilft täglich – aus Überzeugung.

Nichts in seinem Leben führte Hans-Peter Becker dorthin, wo er heute die gute Seele und unentbehrliche Hilfe sein kann. Nicht seine Ausbildung zum Koch, die er mit 15 Jahren begann, nicht seine langen Jahre in der Lagerlogistik des Großhändlers Lekkerland, nicht seine Jahre der Arbeitslosigkeit und erst recht nicht seine Kindheit, die ihn als 63-Jährigen bis heute beschäftigt, antreibt und wie ein dunkler Schatten begleitet. Hans-Peter Becker arbeitet ehrenamtlich im Altmarktgarten hoch über den Dächern Oberhausens. Dort hilft er beim Gärtnern, sät und pflegt Pflanzen – und findet Erfüllung.

Der reine Zufall und der Wunsch, sich nützlich zu machen, führten Hans-Peter Becker in den Altmarktgarten, dessen Name eigentlich in die Irre führt, denn er ist weder alt, noch kann man dort einkaufen, und mit einem klassischen Garten hat die Hightech-Anlage nur wenig zu tun. Im September 2019 wurde das Projekt eröffnet und punktet seitdem mit Begriffen wie gebäudeintegriertes Dachgewächshaus, automatische Steuerung der Fenster nach Sonneneinstrahlung, computergesteuerte Bewässerung auf Ebbe-Flut-Tischen und vielem mehr, das eher nach Science-Fiction klingt als nach schmutzigen Händen, die in der Erde wühlen.

Schaut jeden Tag nach dem Rechten: Hobby-Gärtner Hans-Peter Becker.
Schaut jeden Tag nach dem Rechten: Hobby-Gärtner Hans-Peter Becker. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

„Sonst würde ich doch nur in der Bude herumhocken“

Doch es braucht das alles und einen Mann wie Hans-Peter Becker, um auf einem Innenstadt-Dach Kohlrabi wachsen zu lassen, Basilikum, Thymian, Salate und vor allem die Erdbeeren, deren Fortschritte er in Fotos festhält und stolz den Besuchern zeigt. Der Rentner wohnt keine 200 Meter entfernt und ist täglich vor Ort. Weil er gebraucht werden will, weil er sich nach Anerkennung sehnt. Dinge, die er als Heimkind von seinen Eltern nie erfuhr und die für ihn bis heute Motivation sind für sein ehrenamtliches Engagement.

Hinzu kommt eine Prise Langeweile: „Sonst würde ich doch nur in der Bude herumhocken“, sagt Hans-Peter Becker. Also besser gärtnern. Hans-Peter Becker pflanzt Samen, verteilt Erde, kontrolliert das Wachstum, beobachtet die Maschinen der futuristischen Wachstumsfabrik, packt Kisten, nimmt Lieferungen an und ist sofort zur Stelle, wenn ein Handwerker vor der verschlossenen Tür steht. Pflichtbewusst geht er jeden Tag – auch am Wochenende – morgens und abends durch das Gewächshaus und prüft, ob alles in Ordnung ist.

16.000 Salatköpfe, 150 Kilo Erdbeeren

„Kann ich helfen?“ so lautete seine Bewerbung als Fachkraft des „Urban Farming“, die er heute ist. Schon bei der Eröffnungsfeier des Altmarktgartens war Hans-Peter Becker als hilfsbereit aufgefallen und er blieb. In den letzten drei Jahren entwickelte er zahlreiche Kompetenzen und referiert nicht nur sachkundig über das Belüftungs-, Beleuchtungs- und Bewässerungssystem der Anlage, sondern kann sie auch bedienen. „Aber immer“, darauf legt er Wert, „nur zur Unterstützung und in Absprache mit den Hauptverantwortlichen. Blinkt hier eine Lampe, frage ich sofort nach“. Eine Unterstützung, die höchst willkommen ist, wollen doch auf den über tausend Quadratmetern Jahr für Jahr 16.000 Salatköpfe, 14.000 Kräutertöpfe und 150 Kilo Erdbeeren aufgezogen und an umliegende Restaurants und die Tafel verteilt werden.

Arbeitsplatz mit Ausblick: Vom Dach des Jobcenters kann Hans-Peter Becker auf den Altmarkt schauen.
Arbeitsplatz mit Ausblick: Vom Dach des Jobcenters kann Hans-Peter Becker auf den Altmarkt schauen. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Nichts in seinem Leben führte Hans-Peter Becker in das Ehrenamt auf dem Dach des Jobcenters, deren Kunde er lange war. Es waren sein eigener Antrieb für ein sinnvolles Leben, die Überwindung der Erfahrungen seiner Kindheit, sein, so nennt er es selbst: „Schrei nach Anerkennung“. Hans-Peter Becker erfuhr erst im Alter von elf Jahren, dass seine Eltern noch leben. Mit dieser biografischen Wunde ist es nicht verwunderlich, dass er es als seinen größten Lohn bezeichnet, wenn er nicht nur Handlanger ist, sondern als Experte, als Partner, behandelt wird. Wenn er um Rat gefragt oder gelobt wird.