Mülheim. Rund 250 junge Leute überlegten auf dem Mülheimer Kirchenhügel beim Kongress „MH22“, was die evangelische Kirche in Zukunft braucht. Ihre Ideen.
Es gibt sie, allen Kirchenkritikern und Kirchenaustretern zum Trotz: Junge Menschen, die sich ehrenamtlich in der kirchlichen Jugendarbeit engagieren und Freude daran haben. 250 von ihnen, die in der Jugendarbeit der Evangelischen Kirche im Rheinland mitwirken, konnte man am 7. Mai beim Zukunftskongress „MH22“ auf dem Kirchenhügel treffen.
Das Themenspektrum der Workshops bei dem Kongress, den die Rheinische Landeskirche und der Evangelische Kirchenkreis an der Ruhr gemeinsam ausrichteten, reichte vom Frieden über den Umweltschutz, das Problem des Alltagsrassismus bis hin zur Diskussion darüber, was die evangelische Kirche gut macht und was sie noch besser machen muss, um Menschen aus der Generation U 30 zu gewinnen, zu halten oder wieder zurückzugewinnen.
Bewusstsein für unbewussten und unterschwelligen Rassismus wird geschärft
Auch interessant
Mit der deutsch-senegalesischen Pädagogin Gilberte Raymonde Driesen vom multikulturellen Bildungsverein Axatin hatten die MH22-Macher auch eine Mülheimer Workshop-Leiterin verpflichtet. Mit sehr subtilen und interaktiven Übungen schärfte sie bei ihren etwa 40 jungen Workshop-Teilnehmenden das Bewusstsein für den oft unbewussten und unterschwelligen Rassismus, der in unserer Sprache, in unserem Sozialverhalten und in unserem Denken schlummert.
Dass die Sorgen, Ideen und Wünsche der jungen Generation auch vom evangelischen Kirchen-Establishment ernst genommen werden, zeigte eine sehr offene Zukunftsdiskussion, die der Präses der Rheinischen Landeskirche, Dr. Thorsten Latzel, und die erst 26-jährige Vorsitzende der EKD-Synode Anna Nicole Heinrich mit den Kongressteilnehmern und -teilnehmerinnen in der Petrikirche führten.
Ausdrücklich ermutigten sie die Jugendlichen zur Mitarbeit und zur Mitentscheidung in den gewählten Leitungsgremien der Evangelischen Kirche. „Es ist großartig, dass wir solch engagierte und nachdenkliche junge Leute in unserer Kirche haben. Das macht Mut und Lust auf die Zukunft der Kirche“, freute sich Präses Latzel nach dem Abschlussplenum in der Petrikirche.
Idee eines ökumenischen Jugendkongresses wurde in Mülheim angestoßen
Auch wenn es sich bei MH22 um einen Kongress junger evangelischer Christen und nicht um einen ökumenischen Jugendkongress handelte, setzte der Pfarrer von St. Mariae Geburt, Michael Janßen, ein ökumenisches Zeichen, indem er die katholische Marienkirche den jungen Protestanten als zusätzlichen Tagungsraum zur Verfügung stellte. Dafür verlegte Janßen die Samstagabendmesse eigens von der Marienkirche in die Heilig-Geist-Kirche an der Zeppelinstraße: „Auch mit einem ökumenischen Jugendkongress würde die evangelische Kirche bei mir offene Türen einrennen“, ließ der Stadtdechant im Gespräch mit dieser Zeitung wissen. Genau das könnten sich auch viele Teilnehmende des evangelischen Jugendkongresses MH22 vorstellen.
Auch die jungen MH22-Teilnehmenden berichteten zwischen den Tagungsorten Petrikirche, Marienkirche und dem Petrikirchenhaus im Gespräch mit dieser Redaktion und in der abschließenden Diskussion über ihre Ideen, die sie mitgebracht, und die Impulse, die sie vom Jugendkongress mitgenommen haben.
Mülheimer Student fordert: „Wir müssen in der Kirche stärker zusammenrücken“
Auch interessant
Der Mülheimer Student Simon Löwenberg (26) sagte: „Wir müssen in der Kirche stärker zusammenrücken und zusammenarbeiten, um für Menschen im umfassenden Sinn des Wortes attraktiv sein zu können. Wir müssen Traditionen hinterfragen und auf die Lebenswirklichkeit eingehen. Warum muss ein Gemeindegottesdienst unbedingt mit klassischer Liturgie am Sonntagmorgen gefeiert werden? Er kann ja vielleicht auch einmal lebensnäher und an einem Freitagabend gefeiert werden?“
Und der 16-jährige Rettungssanitäter Tyler Punte betonte: „Ich bin ohne feste Erwartungen, aber mit offenen Augen und Ohren gekommen. Ich nehme die Erkenntnis mit, dass wir als Kirche in der digitalen Kommunikation besser werden müssen und darin, Menschen anzusprechen und einzuladen, die nicht unbedingt zur Kirche gehören, aber an dem, was wir machen, interessiert sein und teilhaben können. Die, die jetzt schon zur Kirche gehören und dort aktiv sind, müssen Kirche stärker als Ganzes und nicht nur von ihrer Gemeinde her denken.“
17-jähriger Schüler: „Das motiviert mich, in der Kirche weiter mitzumachen“
Der 17-jährige Schüler Emil Spietz resümiert: „Ich finde es cool, hier zu erleben, dass es trotz der vielen Kirchenaustritte immer noch so viele Leute gibt, die die Kirche weiterführen. Das motiviert mich, in der Kirche weiter mitzumachen.“ Und der 27-jährige Student David Offermann bilanziert seinen MH22-Tag: „Ich habe hier den guten Spirit der evangelischen Jugendarbeit erlebt, der mir zeigt, dass wir in unserer Kirche nicht nur reden, sondern auch gemeinsam etwas bewegen können.“
Die ehrenamtliche Vorsitzende der Evangelischen Jugend im Rheinland, Fiona Paulus, erklärte in der Diskussion mit Präses Latzel und EKD-Synodalin Heinrich: „Wir müssen mehr Menschen mitnehmen. Denn Kirche geht uns alle an. Deshalb brauchen wir so viel Teilhabe wie möglich. Zukunft bedeutet für mich, dass wir heute die Chance haben, etwas zu verändern und nicht nur daran zu denken, was warum vielleicht nicht gehen könnte. Wenn wir als Kirche gesellschaftlich relevant bleiben wollen, müssen wir offener werden und über unseren Tellerrand hinausschauen.“
Man dürfe nicht in den kirchlichen Standards verharren, sondern alle Beteiligten müssten sich auch auf die Fragen und Antworten der Menschen einlassen, „die nicht in der Kirche sozialisiert worden sind und sich deshalb außerhalb der Blase unserer Kirchengemeinden bewegen“, sagte Fiona Paulus und forderte: „Kirche muss der Ort sein, an dem alle Menschen Gemeinschaft, Zusammenhalt und Hoffnung erleben können.“
Perspektiven der Jugendarbeit in der evangelischen Kirche
Die Zukunft der evangelischen Jugendarbeit im Kirchenkreis An der Ruhr wird auch Thema bei der kommenden Kreissynode am 20. und 21. Mai sein. Eine Arbeitsgruppe haupt- und ehrenamtlicher Jugendarbeiter wird auf der Grundlage eines in den Mülheimer Kirchengemeinden eingeholten Meinungs- und Sachstandsberichtes mögliche Handlungsperspektiven aufzeigen, wie die örtliche Jugendarbeit der evangelischen Kirche auch unter den absehbaren Vorzeichen einer Kirche, die weniger Kirchensteuermittel und weniger hauptamtliches Personal haben wird, auch mit Hilfe einer stärkeren Zentralisierung nachhaltiger, inklusiver und attraktiver werden könnte.