Oberhausen. Die steigenden Zinsen bringen die hoch verschuldeten Städte im Ruhrgebiet in Gefahr. Politiker drängen auf schnelle Lösungen für die Altschulden.
Das Thema „Altschulden“ erscheint abstrakt, ist aber für die Lebensqualität der Menschen in dieser Region extrem wichtig: In Oberhausen und anderen Ruhrgebietsstädten zahlen Familien hohe Kita-Gebühren, sie fahren ihre Autos über marode Straßen und es fehlt der schnelle Internet-Anschluss in Schulen, weil die Kommunen arm sind.
In diesem Jahr wird Oberhausen trotz eines dicken Jahrzehnt-Sparpakets mit deutlichen Belastungen für Bürger die Schallmauer von zwei Milliarden Euro Schuldenlast überschreiten – und zahlt dafür jährlich trotz Niedrigzinsphase 20 Millionen Euro an Zinsen. Dieser große Batzen an Geld fehlt im aktuellen Etat, wenn Ratspolitiker entscheiden, welche Probleme der Stadt wie bearbeitet werden.
Der Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) betrachtet die Lösung der Altschulden-Problematik durch Bund und Land etwa durch Übernahme der Kredite als entscheidend für einen nachhaltigen Aufschwung seiner Heimat: „So dynamisch sich unsere Stadt auch entwickelt hat: Die Altschulden hängen wie ein Mühlstein um unseren Hals. Steigen die Kreditzinsen, beeinträchtigt uns sein Gewicht immer stärker. Wir brauchen so schnell wie möglich eine Lösung der Problematik.“
Stadtkämmerer Apostolos Tsalastras (SPD) warnt: „Ohne eine Lösung der Altschulden-Problematik werden wir die Zukunftsaufgaben wie Klimaschutz und Digitalisierung nicht packen.“
Die Zeit drängt: Die Zinsen für Darlehen sind schon gestiegen, die Europäische Zentralbank gibt Signale für erste Zinsanhebungen ab Juni. Zwar hat Oberhausen wie andere Städte viele Kredite längerfristig zu Billigzinsen festschreiben lassen, trotzdem erwartet die Stadtkämmerei schon bald fünf Millionen Euro Mehrausgaben im Jahr nur für Zinsen – ein Plus von 25 Prozent. „Den günstigsten Zeitpunkt für die Übernahme der Altschulden haben Bund und Land schon verpasst, jetzt wird es immer teurer“, meint Tsalastras.
Anfang 2020 hatte der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) einen Finanzplan für hoch verschuldete Kommunen vorgelegt – die Hälfte der damals 45 Milliarden Euro Altschulden sollte der Bund, die andere Hälfte das Land übernehmen. Doch das Vorhaben scheiterte Mitte 2020 – auch weil die schwarz-gelbe Landesregierung keinen eigenen Entschuldungsplan vorlegte und lieber die höhere Übernahme von Unterkunftskosten der Arbeitslosen durch den Bund wählte.
CDU: Durch Inflation und Zinsanstieg droht Oberhausen der Kollaps
Die Oberhausener CDU-Ratsfraktionschefin und Landtags-Kandidatin Simone-Tatjana Stehr ist enttäuscht darüber, dass es bisher keine Landes- und Bundesregierung unabhängig von ihrer Koalitionsfarbe geschafft hat, den Bremsklotz für die aus wirtschaftlich-strukturellen Gründen in die Schulden gerutschten Kommunen zu lösen. „Die betroffenen Städte schaffen das nicht aus eigener Kraft. Bund und Land sind hier in der Verantwortung, Oberhausen aus der Schuldenfalle herauszuhelfen. Die Lösung des Altschuldenproblems ist zwingend und drängend. Durch Inflation und Zinsanstieg droht Oberhausen sonst ein Kollaps.“ Die Stadt sei dann nicht in der Lage, ausreichend nach eigenem Willen zu investieren und Krisen zu bewältigen.
SPD-Landtagsabgeordneter Stefan Zimkeit verlangt von der künftigen Landesregierung schnelles Handeln: „NRW muss endlich einen Beitrag zur Lösung der Altschuldenproblematik leisten. Die vergangenen fünf Jahre waren verlorene Jahre.“
Doch durch die Lasten des Ukraine-Krieges und der Corona-Pandemie scheint eine durchgreifende Altschulden-Lösung in weite Ferne gedrückt. Deshalb waren die Oberbürgermeister des Ruhrgebiets-Kommunalrates nach einer Gesprächsrunde mit führenden Entscheidern in Berlin Ende März durchaus positiv überrascht darüber, dass die Bundesregierung das Thema energisch verfolgen will – allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Noch vor Ende des Jahres soll ein Schuldenplan auf den Tisch liegen – nach dem alten Scholz-Modell der hälftigen Teilung von Bund und Land.
Im Koalitionsvertrag der Ampel (SPD, FDP, Grüne) von Ende 2021 ist tatsächlich das Versprechen notiert: „Es gibt viele Kommunen mit hohen Altschulden, die sich nicht mehr aus eigener Kraft aus dieser Situation befreien können. Wir wollen daher diese Kommunen von Altschulden entlasten“ – durch einen einmaligen Kraftakt von Bund und Land.
Allerdings hatte auch schon die schwarz-gelbe NRW-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag 2017 versichert: „Die Altschulden-Problematik bedarf einer Lösung. Wir werden den bestehenden Stärkungspakt in Bezug auf eine Lösung der kommunalen Altschuldenproblematik zu einer verlässlichen und nachhaltig wirkenden kommunalen Kredithilfe weiterentwickeln.“ Darauf warten die Städte noch heute.
66 Kommunen in ganz Deutschland betroffen
Seit vielen Jahren kämpfen 66 Kommunen mit 8,5 Millionen Einwohnern aus acht Bundesländern im Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“ für die Lösung des Altschuldenproblems. Sie argumentieren, dass sie besonders vom Strukturwandel betroffen, deshalb dauerhaft geringe Einnahmen aus Steuern haben und zugleich hohe Sozialausgaben.Saarland, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Brandenburg haben einen Teil des Altschuldenproblems ihrer Kommunen bereits gelöst. Rheinland-Pfalz hat einen solchen Schritt angekündigt, nur in Nordrhein-Westfalen gibt es bisher keine Lösung.