Gelsenkirchen. Alina und Tim Machein erleben in kurzer Zeit Himmel und Hölle: Geburt ihres Sohnes, Krebsdiagnose, Hochzeit. Wie sie gegen die Krankheit kämpfen.
Alina Machein zupft sich ihre schwarze Wollmütze über ihrer Glatze zurecht, strafft ihren grauen Pullover und streicht sanft über ihr Armband. „Cancer sucks“ steht darauf und steht für den Schmerz und die Angst, die die junge Frau dieses Jahr durchlebt. Tim kommt dazu, setzt sich neben sie, schaut in ihre blau-grauen Augen und gibt ihr einen Kuss. Seit zehn Jahren gehört der 34-Jährige zu Alinas Leben, seit diesem Sommer ist er ihr Ehemann. 2020 sollte ihr Jahr werden, das wurde es auch. Im Guten wie im Schlechten.
„Aufgeben ist keine Option“, sagt Alina entschlossen, Tim Machein wiederholt die Worte. Es ist das Versprechen, dass sie sich gegeben haben, als die 31-Jährige am 4. Mai dieses Jahres erfährt, was ihr Leben fortan auf den Kopf stellen wird. Alina hat Brustkrebs, erklärt ihr ein Arzt in den Evangelischen Kliniken Gelsenkirchen. Die junge Frau sitzt dem Mediziner alleine gegenüber in dessen Büro. Wegen der Coronapandemie darf sie niemand ins Krankenhaus begleiten. Draußen ist ihre Mutter mit dem kleinen Marten spazieren – Alinas und Tims erstem Kind.
Während der Schwangerschaft Knoten in der Brust gespürt
Nur zwei Monate bevor die Ärzte den Tumor in Alinas rechter Brust finden, erblickt Marten im Marienhospital Ückendorf das Licht der Welt. Drei Wochen zu früh, aber gesund. 51 cm und 3120 Gramm misst der kleine Mann da schon und bedeutet für seine stolzen Eltern die ganze Welt.
Schon während ihrer Schwangerschaft fällt Alina ein Knoten in ihrer Brust auf, ihre Frauenärztin rät ihr dazu abzuwarten. Es könne sich um einen Milchstau handeln, so die Annahme. Im Frühjahr suchen die Macheins das Brustzentrum an der Munckelstraße unter der Leitung des renommierten Chefarztes Dr. Abdallah Abdallah auf. Die Biopsie ergibt, was die junge Mutter bereits ahnt: Es ist Krebs.
Als Alina an jenem Tag im Mai das Ergebnis der Untersuchung zu hören bekommt, sitzt Tim nervös im Büro. Es ist der erste Tag nach rund acht Wochen Kurzarbeit und trauter Dreisamkeit zu Hause.
Eine Schocknachricht
„Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, erinnert sich der 34-Jährige an das Telefonat mit seiner Frau. „Als Alina mir gesagt hat, dass sie Krebs hat, ich glaube, ich habe so etwas wie eine Panikattacke bekommen.“ Sofort macht sich der Automobilkaufmann auf den Weg nach Hause. Oma Silvia dreht mit dem kleinen Marten noch eine Runde. Oben in der Wohnung weinen Alina und Tim bis sie keine Tränen mehr haben.
Schreckensszenarien gehen den jungen Eltern durch den Kopf. Die Welt, sie scheint plötzlich nur noch kalt und dunkel zu sein, unwirklich und fremd. Und gleichzeitig ist da dieser Sonnenschein, ist da Marten. Er ist Hoffnung, Stolz, Liebe und der Grund für die Macheins, „den Kampf anzunehmen, den Krebs nicht unser Leben bestimmen zu lassen.“
„Ich habe meine Oma an den Krebs verloren, ich will nicht eine weitere geliebte Frau in meinem Leben an diese schreckliche Krankheit verlieren“, sagt Tim. Wann immer es die Coronaschutzbestimmungen im Krankenhaus zulassen, begleitet er seine Frau zu den Untersuchungen und Behandlungen. Oma Silvia ist bei den Macheins eingezogen und unterstützt die junge Familie nach Kräften im Haushalt und bei der Betreuung von Marten. Denn, wenn Alina beispielsweise ihre Chemotherapien bekommt, soll sie mindestens 24 Stunden Abstand von ihrem Kind halten.
Keine Metastasen - Ärzte raten zu schnellem Handeln
Die Macheins haben Glück im Unglück, der Krebs hat noch nicht gestreut, als die Ärzte empfehlen, die belastete Brust abzunehmen. Schlimmer als die Narbe ist für die Fotografin der Verlust ihrer Haare wegen der Chemotherapie. „Dadurch wird der Krebs erst für jeden sichtbar“, sagt sie. Und doch hat sie ihre Perücke nur einmal getragen: Bei ihrer Hochzeit, nur eine Woche nach der Brust-OP.
„Ich weiß nicht, ob ich dir schon einmal richtig gesagt habe, wie unglaublich stolz ich auf dich bin“, sagt Ehemann Tim. „Klar hast du diese Tage, in denen du alles hinterfragst und nur weinen möchtest, aber du gibst nicht auf und kämpft immer weiter für Marten und mich. Du bist unsere Powerfrau, Superheldin, Ehefrau und die schönste Mami auf dieser Welt“, sagt der Gelsenkirchener und blickt dabei auf die schwarze Wollmütze auf Alinas Kopf.
Alina strahlt, nimmt die Mütze ab und zeigt auf den ersten Haaransatz, der auf ihrem Kopf wieder wächst. Am 11. November, einen Tag vor ihrem 32. Geburtstag, bekommt sie ihre letzte Chemotherapie. Einige Wochen später werden die Macheins wissen, wo sie stehen im Kampf gegen den Krebs. „Ganz egal, was die Untersuchungen dann zeigen: Aufgeben ist für uns keine Option“, sagen sie gemeinsam.
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