Mülheim. Zwei Töchter, die gleichen Eltern – und trotzdem zwei ungleiche Staatsangehörigkeiten? Ein Mülheimer Paar verzweifelt an den deutschen Behörden.

Baschira El-Zein erblickt im September 2019 in Duisburg das Licht der Welt, ihre kleine Schwester Leyla wird rund zwei Jahre später im selben Krankenhaus geboren. Was die beiden Mädchen unterscheidet: Baschira ist deutsche Staatsbürgerin, Leyla hingegen gilt bei den Behörden als syrisch-türkisch. „Dabei“, betont Mutter Nessrin Alkadi (32), „hat sich in der Zwischenzeit rein gar nichts geändert.“ Für sie und ihren Mann Mohammed El-Zein (36) ist bis heute unklar, wieso ihre Töchter so ungleich behandelt werden. Das Mülheimer Paar berichtet von einer Odyssee an Amts-Besuchen, unklaren Verhältnissen und Willkür der deutschen Bürokratie.

Sowohl Nessrin Alkadi als auch Mohammed El-Zein sind in Deutschland geboren, beide stammen sie von libanesischen Eltern ab, die in den 1980er-Jahren nach Deutschland eingewandert sind. Während El-Zein zwar als staatenlos gilt, aber einen gültigen Aufenthaltstitel und einen Reiseausweis besitzt, ist das einzige Ausweisdokument, das Nessrin Alkadi über Jahre vorweisen kann, eine sogenannte Fiktionsbescheinigung. Damit verfügt sie über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht, das regelmäßig bei der zuständigen Ausländerbehörde erneuert werden muss. Auch sie gilt bei den Behörden als staatenlos, „und das, obwohl ich zwei feste Arbeitsverträge habe und mich regelmäßig beim Amt melde.“

Ausländerbehörde Mülheim stellt Alkadi zunächst Reiseausweis aus

Viele Dinge sind Nessrin Alkadi mit der Fiktionsbescheinigung nicht möglich. „Man darf seinen Aufenthaltsort nicht verlassen, zum Beispiel“, erklärt Alkadi. „Ich bin noch nie verreist.“ Um das zu ändern, beantragt sie im Sommer 2021 einen Reiseausweis bei der Mülheimer Ausländerbehörde. „Ich erinnere mich noch genau, wie ich bei meinem Sachbearbeiter saß.“ Ihm seien die Hände gebunden, er könne ihr nicht helfen. „Sein Abteilungsleiter hat das im Vorbeigehen mitbekommen, und meinte nur: Stell’ ihr doch einfach einen vorläufigen Reiseausweis aus“, erzählt die 32-Jährige. „Ich war so glücklich, endlich konnten wir einen Urlaub planen.“ Durch eine Corona-Infektion und die Schwangerschaft mit Leyla liegen die Reisepläne erst mal auf Eis, der für ein Jahr gültige Pass lief im Juni 2022 aus.

Telefonisch ist beim Amt kein Durchkommen, mit einer Vollmacht schickt Nessrin Alkadi ihren Mann zur Ausländerbehörde, die nur einen Steinwurf vom Zuhause der jungen Familie entfernt ist. Die kleine Leyla kränkelt, die Schlange ist wie so oft sehr lang. „Ich konnte aus dem Fenster sehen, dass Momo reingekommen ist und habe mich richtig gefreut“, erinnert sie sich zurück. Dann der Schock: „Die Mitarbeiterin wollte meinen Reiseausweis einziehen und mir eine Duldung geben.“

Den Reiseausweis, ihr bislang erstes offizielles Ausweisdokument, möchte Nessrin Alkadi nicht hergeben. Zu groß ist aus ihrer Sicht die Gefahr, dass damit der Status ihrer jüngeren Tochter in Gefahr gerät. „Baschira hat zwar eine deutsche Staatsangehörigkeit, aber Leyla gilt bei den Behörden als syrisch-türkisch“, erklärt die 32-Jährige. „Wieso, das wissen wir nicht. Vermutlich, weil unsere Familien aus dem Libanon unter anderen über Syrien und die Türkei nach Deutschland gekommen sind.“ Entsprechende Aufzeichnungen gebe es aber nicht. „Leyla bleibt so lange syrisch-türkisch, bis wir das Gegenteil beweisen“, so Alkadi. Dazu brauche es Papiere aus den Ländern selbst oder den Generalkonsulaten, „mit einem Termin hat es dort bislang noch nicht geklappt“.

Stadt Mülheim: Mitwirkungspflicht sei nicht erfüllt worden

Die Mülheimer Behörden schieben die Verantwortung von sich, lautet Nessrin Alkadis Vorwurf: „Weil Leyla in Duisburg geboren ist, sollten wir erst dorthin. Von dort nach Mülheim. Und von hier aus am besten direkt nach Syrien oder in die Türkei?“ Die Stadt Mülheim erklärt auf Nachfrage, „dass die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum jetzigen Zeitpunkt nicht erfüllt sind“. Nessrin Alkadi sei ihrer Mitwirkungspflicht bislang nicht nachgekommen, der Reiseausweis für Ausländer sei ihr aber genau zu dem Zweck ausgestellt worden. Und auch bezüglich der Staatsangehörigkeit der beiden Töchter laufe derzeit noch ein Verfahren: „Hinsichtlich der Kinder Baschira und Leyla wird derzeit geprüft, ob die Voraussetzungen zur Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit vorlagen/vorliegen.“ Diese Prüfung erfordere aufgrund der komplexen Sachlage eine gewisse Zeit.

Dieser unsichere Zustand belastet die junge Familie sehr. „Man kann einfach nicht ruhig leben“, sagt Nessrin Alkadi. Mittlerweile haben sie und Mohammed El-Zein einen Anwalt eingeschaltet, der auf Aufenthaltsrecht spezialisiert ist. „Das ist ehrlich gesagt unsere letzte Hoffnung. Wir geben nicht auf.“