Überstundenberge und marode Dienstgebäude: zwei von einer Reihe von Problemen, die der Gelsenkirchener Polizeigewerkschafter Jörg Klink benennt.
Es ist kein loser Spruch, dass Polizisten oft kaum aus den Stiefeln kommen. Schon vor der Corona-Pandemie haben sich bei den Beamten abertausende Überstunden angehäuft. Nicht wesentlich besser ist die Situation etwas mehr als ein Jahr nach Beginn der Krise, wie der Gelsenkirchener Polizeigewerkschafter Jörg Klink berichtet. Vor den anstehenden Personalratswahlen Anfang Mai geht der 57-jährige Erste Polizeihauptkommissar an die Öffentlichkeit, um den Forderungen seiner organisierten Kollegen mehr Nachdruck zu verleihen.
In der Gelsenkirchener Polizeibehörde sind bis Ende 2020 mindestens 58.000 Überstunden aufgelaufen
Eine der Kernforderungen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist die Reduzierung der Arbeitswochenzeit von 41 auf 35 Stunden. „Wir sind praktisch die einzigen, die mit 41 Stunden Wochenarbeitszeit im Wechseldienst arbeiten“, sagt Klink. Nur die Kollegen in der Hauptstadt Berlin arbeiteten mit 42 Stunden die Woche noch mehr. Früh-, Spät- und Nachtdienste gingen auf Dauer an die Substanz, allein schon wegen des Gesundheitsschutzes müsse diese Stundenzahl reduziert werden.
Klink erinnert daran, dass die Heraufsetzung der Arbeitswochenzeit von 39 auf 41 Stunden mal als temporäre Maßnahme verkündet worden sei – „mittlerweile aber hat das schon seit 15 Jahren Bestand. Das kann nicht sein.“
Die Mehrbelastung führt zu tausenden Überstunden. Auch, weil es Zeit braucht, bis die Stellen durch den Abbau früherer Jahre durch neue Kräfte wieder aufgefüllt werden. Das Land bildet aktuell 2500 neue Polizisten pro Jahr aus. Dennoch: In der „uniformierten Direktion“ sind Jörg Klink zufolge „bis Ende 2020 rund 58.000 Überstunden aufgelaufen“ – da sei das Mehr an Aufwand der Kriminalpolizei und der Verwaltung noch nicht gar mit eingerechnet. Und – das ist nur eine von 47 Kreispolizeibehörden in NRW. Die Forderung daher: die Einführung von Lebensarbeitszeitkonten, um eher in den Ruhestand gehen zu können.
Auf der Agenda von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) stehen neben modernerer Ausstattung für die Sicherheitsbehörden auch zeitgemäße Dienstgebäude. Das hatte er im April 2019 in Gelsenkirchen noch bei einer Stippvisite in der Neustadt ausdrücklich betont. Knapp eine Milliarde Euro stünden für die Modernisierung vieler maroder Liegenschaften bereit, sagte er damals, nach Schutzwesten, Bodycams und Helmen sollen Beamte auch Smartphones bekommen.
Hundertschaft in einem maroden Gebäude an der Manfredstraße untergebracht
Vom Investitionsschub in neue Immobilien für Polizeibeamte kann Jörg Klink allerdings in Gelsenkirchen noch nicht viel sehen. Im Blick hat er dabei das Gebäude der Hundertschaft an der Manfredstraße. Als schwer erträglich klassifiziert der 57-Jährige den Zustand des Hauses, bezeichnet es als „Schandfleck“. Mitunter sei es schwer, Männer und Frauen räumlich zu trennen.
Wahlberechtigte bei der Polizei Gelsenkirchen: 1609
Bei den Personalratswahlen in der ersten Maiwoche sind bei der Gelsenkirchener Polizei nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei 1609 Menschen wahlberechtigt, davon sind 139 angestellte Arbeitnehmer, der Rest sind Beamte.830 der Wahlberechtigten sind noch Studierende, also Kommissaranwärter.Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) will keine Mitglieder haben, die der AfD nahestehen oder Mitglied in der Partei sind. Das gilt auch für die Kreisgruppe Gelsenkirchen.
Aber nicht nur die Hundertschaft weilt an einem trostlosen Ort, manche wären schon froh, überhaupt einen festen Platz zu haben, so scheint es. Klink: „Beim Staatsschutz und der Abteilung für Kinderpornografie hat nicht unbedingt jeder Sachbearbeiter auch einen eigenen Schreibtisch.“
In Sachen Lohn stehen zwar Tarifgespräche erst 2022 an, aber auch hier sieht Jörg Klink Nachholbedarf. Die Nachtschichtzulage von 1,28 pro Stunde ist für den Beamten nicht mehr zeitgemäß. In den Forderungskatalog fügt der 57-Jährige noch die anwendungsfreundlichere Nutzbarkeit der Dienstprogramme, mit denen Vorgänge polizeilich erfasst werden und die flächendeckende Anschaffung von CO-Meldegeräten, damit Beamte bei Einsätzen in Häusern nicht Gefahr laufen, sich eine Kohlenmonoxid-Vergiftung einzufangen. „Bislang schaffen sich die Kollegen diese Geräte privat an, und das ist teuer“, so Klink.
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