Gelsenkirchen. Die Wirtschaft in Gelsenkirchen und der Region hat sich erholt, zeigen Konjunkturdaten. Aber die Unternehmen haben Sorgen ums weitere Geschäft.
Die Wirtschaft in Gelsenkirchen und der Region kann etwas aufatmen: Nach dem schweren coronabedingten Einbruch ist das Geschäft wieder auf dem Niveau der Vorkrisen-Zeit. Das zeigt der neueste Emscher-Lippe-Index (ELIX) der Industrie- und Handelskammer (IHK) und Sparkasse. „Allerdings müssen wir etwas Wasser in den Wein gießen“, sagte Michael Hottinger, Geschäftsführer der Sparkassen-Tochter S-Private Banking Gelsenkirchen, bei der Vorstellung der aktuellen Konjunkturzahlen. Denn insbesondere die steigenden Energiepreise und der Materialmangel werden von den 150 befragten Unternehmen aus der Region als ernstzunehmendes Risiko für weiteres Wachstum eingestuft.
Gelsenkirchens Wirtschaft: „Der Erholungsprozess bleibt fragil“
In Zahlen heißt die neueste Entwicklung: Der ELIX liegt mit 125,6 Punkten auf dem Wert des Jahres 2018 und fast 15 Punkte höher als Anfang 2021. Der Index war schon vor der Coronakrise eingebrochen, lag im Herbst 2019 mit rund 99 Punkten auf dem niedrigsten Wert seit fünf Jahren. Damals wurden Turbulenzen in der Weltwirtschaft für den Einbruch verantwortlich gemacht. Im Frühjahr 2020, zu Beginn der Corona-Krise, fiel der ELIX dann erneut heftig – auf 66,2 Punkte.
Seitdem aber steigt der Wert stetig. Hottinger führte das auf „Nachholeffekte“ zurück: „Die Leute wollten nach den Lockdowns wieder konsumieren." Jochen Grütters, Leiter der IHK Emscher-Lippe wollte dennoch nicht zu euphorisch sein: „Der Erholungsprozess der Wirtschaft bleibt fragil, auch wenn wir die pandemiebedingten Verwerfungen überwunden haben. Hottinger ergänzte: „Die Boom-Phase ist für den Moment vorbei.“ Das heißt: Zur nächsten Erhebung wird der ELIX wohl wieder einen Abschwung zeigen.
IHK: Unternehmen nicht in der Lage, alleine in Klimaschutz zu investieren
Martin Westrich, ebenfalls Geschäftsführer bei der S-Private Banking, machte dies am Beispiel eines Gartenmöbel-Händlers anschaulich: „So jemand hatte ein fantastisches Jahr, da wurde der Laden leergekauft. Aber man stellt sich jetzt die Frage: Wie geht es angesichts der enormen Transportkosten aus China und der steigenden Energiepreise weiter?“ Die Preise für Öl, Gas und Kohle sind zuletzt genauso in die Höhe geschossen wie Frachtkosten aus China. Teils kostet der Transport per Container das Sechs- bis Achtfache im Vergleich zu 2019. Unternehmen, die Ware aus Asien beschaffen, rechnen deswegen laut Westrich damit, dass sie ihre Produkte teurer verkaufen müssen. „Die Sorge ist natürlich, ob die Kunden da dann mitgehen.“ Zum Thema:Hohe Energiepreise - Wirtschaft im Ruhrgebiet schlägt Alarm
Die Sorgen der Unternehmen haben sich damit seit dem Spätsommer 2020 enorm verschoben: Waren es damals noch die Nachfrage im In- und Ausland, die den Firmen Sorgen bereitete, sind es heute die Arbeitskosten, Energie- und Rohstoffpreise sowie der Fachkräftemangel.
Neben den akuten Problemen gibt es die großen Zukunftssorgen: Digitalisierung, Klimakrise und der noch schlimmer werdende Fachkräftemangel, insbesondere durch den demografischen Wandel in Deutschland. Am Beispiel des Klimaschutzes machte der IHK-Standortleiter deutlich, wo die Herausforderungen liegen: „Wir wissen aus Gesprächen, dass die Unternehmen von alleine nicht in der Lage sein werden, Investitionen in den Klimaschutz zu tätigen, hier braucht es Förderprogramme und Abschreibungsmöglichkeiten“.
Visionen für Gelsenkirchen: Ein „hippes Gründerzentrum?“
Martin Westrich ergänzte: „Schwerpunkt der Unternehmen sind aktuell die Ersatzinvestitionen. Das heißt: Man muss erst mal schauen, dass man sein Unternehmen überhaupt wirtschaftlich halten kann. Die Zusatzinvestitionen in Umwelt- und Klimaschutz sind aktuell nicht bezahlbar.“
Nicht nur um die Investitions-, auch um die Wettbewerbsfähigkeit machen sich die Konjunktur-Analysten Sorgen: „Der steigende CO2-Preis schlägt bei vielen kleinen und und mittelständischen Unternehmen im energieintensiven Bereich so sehr durch, dass sich mittelfristig die Frage stellt, ob man nicht Standortverlagerungen zu befürchten hat, wenn es keinen adäquaten Ausgleich gibt“, so Jochen Grütters. Hier erwarten die Experten „kluge Unterstützungsangebote“ von der Ampel-Koalition, die SPD, Grüne und FDP im Bund gerade verhandeln. Lesen Sie auch: So erleben Gelsenkirchens Abgeordnete die Ampel-Gespräche
Es ist allerdings nicht nur die Bundespolitik, an die Grütters Erwartungen stellt. „Warum machen wir Gelsenkirchen nicht zu einem hippen Gründerzentrum?“, formulierte der stellvertretende Geschäftsführer der IHK Nord Westfalen eine Idee. „Wir haben viele Gebäude, die in ihrer ursprünglichen Funktion nicht mehr genutzt werden - Kirchen, alte Fabriken.“ Mit einem tragenden Betreiberkonzept ließen sich diese Standorte zu Startup-Standorten umbauen, mit denen man den „Aufbruch nach außen“ zeigen könne.
Die Stadt habe mit dem Institut für Internet-Sicherheit der Westfälischen Hochschule (WH) oder dem Virtual-Reality-Festival „Places", mit dem Projekt Klimahafen und dem Westfälischen Energieinstitut der WH bereits Vorzeige-Strukturen für Zukunftsbranchen wie Digitalisierung und Wasserstoff. „Wir müssen unseren Vorsprung aber auch ausspielen“, betonte Grütters. „Wir müssen aus Konzepten Projekte machen und irgendwann den Mut haben, Entscheidungen zu treffen."
Was ist der ELIX?
Zweimal im Jahr gibt die S-Private Banking Gelsenkirchen GmbH, eine hundertprozentige Tochter der Sparkasse Gelsenkirchen, gemeinsam mit der IHK Nord Westfalen den ELIX heraus, ein regionales Konjunktur- und Stimmungsbarometer für die Emscher-Lippe-Region. Datengrundlage ist eine Befragung der IHK Nord Westfalen von rund 150 repräsentativ ausgewählten Mitgliedsunternehmen zur momentanen wirtschaftlichen Lage und zu ihren Zukunftserwartungen. Die Daten des ELIX´ zeigen nicht nur eine Momentaufnahme, sondern ermöglichen auch eine Darstellung der langfristigen Trends.