Gelsenkirchen. Wieso vier Fraktionen im Bezirk Ost eine Resolution verfasst haben. Und warum es kein festes Enddatum für die Gelsenkirchener Müllhalde gibt.

Eigentlich ist Bezirksbürgermeister Wilfried Heidl ein zurückhaltender Zeitgenosse. Nun aber schäumt der SPD-Politiker: „Das ist eine Frechheit in Hochpotenz!“, schimpft er, „eine völlige Missachtung des Bürgerwillens.“ Anlass ist die seit mehr als zwei Monaten ausbleibende Stellungnahme zu einer Resolution der Bezirksvertretung Ost, die SPD, CDU, Grüne und FDP Mitte April gemeinsam verabschiedet und am 24. April an Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und den Regionalverband Ruhr (RVR) geschickt hatten. Zentrale Forderung: Schließung der Zentralen Deponie Emscherbruch (ZDE).

Es sei nicht zu akzeptieren, heißt es in dem Resolutionstext, dass die Deponie gemäß einem entsprechenden Antrag des Betreibers AGR von 2018 erweitert und um 4,6 Millionen Kubikmeter zusätzliche Abfallmengen erhöht werden soll. Dies bringe eine weitere Laufzeit von rund zehn Jahren mit sich und sei ein „herber Rückschlag für all diejenigen Anwohnerinnen und Anwohner, die sich auf eine Schließung bzw. ein Auslaufen bereits eingestellt hatten“.

Gelsenkirchener Politiker fordern sofortige Suche nach einem Alternativstandort

Ansicht auf das Waagehaus: Die Zentraldeponie Emscherbruch wurde 1968 vom damaligen Kommunalverband Ruhrgebiet auf dem Gelände der 1966 stillgelegten Steinkohle-Zeche Graf Bismarck in Gelsenkirchen angelegt und war die erste geordnete Deponie in Deutschland.
Ansicht auf das Waagehaus: Die Zentraldeponie Emscherbruch wurde 1968 vom damaligen Kommunalverband Ruhrgebiet auf dem Gelände der 1966 stillgelegten Steinkohle-Zeche Graf Bismarck in Gelsenkirchen angelegt und war die erste geordnete Deponie in Deutschland. © Funke Foto Services GmbH | Olaf Ziegler

„Seit 50 Jahren ist die ZDE in Betrieb. Sie erzeugt seither Emissionen, Verkehr, Lärm, Verschmutzungen und ein unsicheres Gefühl für die Anwohner, die ihre Gesundheit gefährdet und ihre Lebensqualität eingeschränkt sehen“, kritisieren die Kommunalpolitiker in Ost die Zustimmung der Bezirksregierung Münster zum vorzeitigen Baubeginn, sprich: die Rodung des Waldbestandes im Nordbereich des Geländes. Sie bekräftigen die vom Umweltausschuss erhobenen Einwände gegen die ZDE-Erweiterung – und schließen drei Forderungen an.

So verlangen sie die Festlegung eines verbindlichen Enddatums der Deponie und zeigen sich dabei durchaus kompromissbereit: „Spätestens nach dieser Verlängerung, die von uns abgelehnt wird, muss Schluss sein.“ Nötig sei zudem die „sofortige Standortsuche für einen Alternativstandort“, die spätestens in fünf Jahren beendet sein müsse, „um ein sicheres Auslaufen der Deponiedauer kurzfristig zu gewährleisten.“

Nicht nur Reifen, sondern die gesamten Lkw sollen gewaschen werden

Nicht zuletzt müsse der „ordnungsgemäße Betrieb“ sichergestellt werden. „Dazu zählt auch, dass die Lkw gründlich und nachweislich gewaschen werden (nicht nur die Reifen), wenn sie das Gelände verlassen, damit keine Schadstoffe in der weiteren Umgebung verteilt werden.“

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Die Anlage müsse darüber hinaus gegen unbefugtes Betreten gesichert werden, verlangen die Fraktionen vor dem Hintergrund, dass in der Vergangenheit Personen durch Löcher im Zaun auf das Gelände gelangt sind und gar ein Motorcross-Rennen stattgefunden habe. Schließlich müsse der Betreiber Kontrollen und Vorbeugung „erheblich verbessern“, auch um zu vermeiden, dass es (erneut) zu Bränden komme.

NRW-Umweltministerium und RVR verteidigen Deponie-Erweiterung als notwendig

Während sich Heidl darüber ärgert, noch immer keine inhaltliche Stellungnahme von RVR und NRW-Umweltministerium erhalten zu haben, haben beide auf eine entsprechende Anfrage dieser Redaktion reagiert und das Erweiterungsprojekt verteidigt.

Warum für die Erweiterung keine weiteren Flächen nötig sind

Betreiberin AGR und RVR werben für die Erweiterung und Erhöhung der Deponie, indem sie darauf hinweisen, dafür keine zusätzlichen Flächen in Anspruch zu nehmen.Möglich ist dies, weil das Sonderabfall-Zwischenlager von der ZDE auf das Gelände des Rohstoff-Rückgewinnungs-Zentrums (RZR) Herten verlegt wurde, das ebenfalls zur AGR gehört. Zudem wurden Betriebsgebäude im Bereich des einstigen Zwischenlagers und des Ex-Laborgebäudes auf dem ZDE-Gelände zurückgebaut und ein Grundstück für den neuen Standort der Schlackenaufbereitungsanlage gekauft, das etwa 2024/25 in Betrieb gehen soll.

Verschiedene amtliche Bedarfsanalysen hätten den „dringenden Bedarf an zusätzlichen Deponiekapazitäten in NRW und insbesondere in der Metropole Ruhr nachgewiesen, springt der RVR seiner 100-prozentigen Tochter Abfallentsorgungs-Gesellschaft Ruhrgebiet (AGR) bei. Jedoch würden dabei keine zusätzlichen Flächen verbraucht (s. Infobox).

RVR: Verlängerung um zehn Jahre sei nicht fix

Mit „knappen“ Deponiekapazitäten begründet auch das Umweltministerium die Notwendigkeit für die Erweiterung. Nach Angaben von AGR-Sprecher Jürgen Fröhlich ist schon jetzt kein Platz mehr für Abfälle der Deponieklasse (DK) I; ausgehend von den durchschnittlichen Anlieferungen der letzten fünf Jahre seien die Rest-Volumina für Müll im DK II- und III-Bereich jeweils bis spätestens im zweiten Halbjahr 2022 verfüllt „mit den Konsequenzen von Annahmestopp und fehlender Entsorgungssicherheit“.

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Auf ein fixes Enddatum der Deponie, wie in der Resolution gefordert, mag sich der RVR nicht einlassen: Die ZDE-Kapazitäten könnten womöglich schon vor 2030/31 ausgeschöpft sein, wenn mehr Abfälle als geplant dort entsorgt würden; andererseits könne sich das geplante Enddatum auch wegen möglicher Klagen gegen eine Planfeststellung nach hinten verschieben – oder weil dort weniger Müll abgeladen werde als erwartet. AGR-Sprecher Fröhlich bringt es so auf den Punkt: „Wir denken nicht in Zeiten, sondern in Schüttvolumen.“

https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/gelsenkirchener-spd-hat-plaene-fuer-die-zeit-nach-der-deponie-id231533103.htmlEr unterstreicht jedoch, worauf das Umweltministerium hinweist: „Eine weitere Erhöhung (als die jetzt beantragte, d. Red.) ist aus technischen Gründen nicht möglich.“ Sprich: Nach Verfüllung der zusätzlichen 4,6 Millionen Kubikmeter Abfall ist Schluss mit der Deponie Im Emscherbruch. Bis dahin müssten also Alternativstandorte gefunden und entwickelt sein. Wichtiges Kriterium dabei: Der Müll muss laut Landesentwicklungsplan „entstehungsnah“ entsorgt werden.

RVR verweist auf neues Sicherheitskonzept

Was die Kritik an der Reifenwaschanlage angeht, so sei die alte durch eine modernere, mit integrierter Wasseraufbereitung im Kreislaufverfahren ersetzt worden. Auf die Forderung nach der Reinigung der gesamten Lkw geht er allerdings nicht ein.

In Bezug auf eine mögliche Brandgefahr betont der RVR, dass die AGR nach den vier Bränden „im Ausnahmesommer 2018“ ein erweitertes Sicherheitskonzept, abgestimmt mit der Feuerwehr Gelsenkirchen und der Bezirksregierung Münster, umgesetzt habe. Seither sei es zu keinen weiteren Bränden im Revisions- und Notfalllager gekommen.

Regionalverband sieht jetzigen Standort in Resse im Vorteil

Hapke: „In diesem Zusammenhang hat sich auch der Standort auf der ZDE als günstig erwiesen. Bei den Bränden hat es weder Personen- noch Sachschaden gegeben. Alternativ im Stadtgebiet verteilte Revisionslager hätten vermutlich zu erheblicheren Beeinträchtigungen von Wohn- und Gewerbegebieten geführt.“

Ein Eindringen Unbefugter habe unterdessen bislang „weitestgehend unterbunden werden“ können, weist der RVR auch den Vorwurf mangelnder Kontrolle des 113 Hektar großen ZDE-Geländes zurück. Dieses werde außerhalb der Betriebszeiten durch Wachpersonal kontrolliert, mögliche Zugangspunkte würden baulich zusätzlich gesichert. Seit der Umsetzung des erweiterten Sicherheitskonzepts seien keine Unbefugten mehr auf dem Areal registriert worden.

Bezirksbürgermeister Heidl ist unterdessen gespannt, wann Umweltministerium und RVR auf seine Schreiben reagieren werden. Unabhängig davon steht für ihn fest: „Gelsenkirchen hat lange genug eine Deponie ertragen, von der auch andere Städte profitiert haben. Jetzt sind andere Kommunen an der Reihe.“