Gelsenkirchen-Horst. Im Gelsenkirchener „Textilkaufhaus Strickling“ können Kunden jetzt wieder einkaufen. Das kommt nach drei Monaten Corona-Abstinenz mehr gut an.
Es ist 11 Uhr. Vor der Tür des Horster „Textilkaufhauses Strickling“ stehen die Kunden an. Sie haben jetzt, zur vollen Stunde, einen Termin mit einer der fünf Damen, die jeweils eine Abteilung beaufsichtigen. Wo man einkauft, ob in der Damenoberbekleidung, der Wäscheabteilung oder der für Herrenmode, für Kindermode oder Heimtextilien, das muss man auch bei der Terminabsprache angeben. Wer jetzt rein darf, hat eine halbe Stunde Zeit zum Shoppen. Dann warten die nächsten vor der Türe auf Einlass.
„Für uns war es sehr dringend. Wir haben einiges für die Mutter eingekauft. Man hat schon Bedarf“, sagt Barbara Hohenberg. Nach drei Lockdown-Monaten sei die Einkaufsliste schon recht lang gewesen. Wie er sich anfühlt, der erste Einkauf nach dem Lockdown? „Man ist noch unsicher, weil man noch immer Angst hat.“
Fachverkäuferinnen sind auch oft Seelsorger vor Ort
Schaut man sich um, ist das kleine Kaufhaus unfassbar leer. „Man kann dadurch ein paar Kosten auffangen. Aber wirtschaftlich ist das nicht“, sagt Bernd Strickling, der Eigentümer. Zumal man die meiste Winterware nicht an die Frau und den Mann bringen konnte. „Dadurch, dass das Weihnachtsgeschäft kaputt ging, haben wir jetzt einen hohen Warenbestand.“ Der sei nun ins Lager gewandert. In der Hoffnung, dass sich im nächsten Winter Käufer dafür finden – zum ermäßigten Preis. Insgesamt jedoch ist die Familie froh, dass es überhaupt wieder weiter geht.
Öffnung half, Kurzarbeit zu reduzieren
Seit Montag, 8. März, dürfen Einzelhändler in der Stadt wieder öffnen und Kunden nach vorheriger Terminabsprache empfangen. Das „Textilkaufhaus Strickling“ ist somit wieder an sechs Tagen in der Woche für seine Kunden da. Dadurch konnte man, so Bernd Strickling, die Kurzarbeit herabsetzen und die Stundenzahl der Mitarbeiterinnen erhöhen.Es ist noch nicht der große Wurf, aber doch ein Schritt in die richtige Richtung für das Familienunternehmen, das eine lange Tradition hat. 1936 übernahm Bernhard Strickling zusammen mit seiner Frau Elisabeth das alteingeführte Textilfachgeschäft Halbeisen an der damaligen Schloßstraße. Jenes wurde jedoch 1944 ausgebombt. Nach dem Krieg baute die Unternehmerfamilie das Textilkaufhaus wieder auf.
Immer wieder klingelt das Telefon. Mutter Heidi Strickling beantwortet jeden Anruf freudig, führt penibel eine Liste, wer wann kommt und was er braucht. „Die Kunden sind geduldig, machen das mit. Aber viele sagen auch, das ist zu umständlich, da lasse ich es bleiben“, erzählt Bernd Strickling. „Andere aber freuen sich sehr, sagen, wie schön es ist, wieder zu uns kommen zu können“, ergänzt Schwester Ute Vieth. „Man spürt, die Menschen sind ausgehungert, nicht nur nach dem Einkauf, auch nach den sozialen Kontakten.“ Bruder Bernd Strickling fügt hinzu: „Wir verstehen uns auch als Seelsorger vor Ort. Schließlich kennen wir viele Kunden seit Jahren.“
Anrufen und einkaufen an einem Tag
Das Kaufhaus leert sich zusehends. Der Grund: Die meisten Kunden benötigen für den ersten Einkauf gar keine halbe Stunde. Ganz genau wird eingetragen, wer wann kommt und wann wieder geht. Nur Milena Puzig schaut sich noch bei den Handtüchern um, hat schon einen kleinen Stapel auf einem Tisch liegen. Jenen will sie gleich mitnehmen. „Ich bin froh, dass ich hier heute überhaupt die Möglichkeit habe, vor Ort einzukaufen. Nur online zu kaufen, das finde ich nicht so toll. Allein der viele Pakete und der Folgen für die Umwelt wegen.“
Die paar Minuten Einkauf genießt sie. „Ich fühle mich gut, habe keine Angst. Natürlich wäre es ohne diese Regeln schöner. Aber ich hoffe, dass es wenigstens dabei bleibt, vorerst.“ Dann erzählt sie noch, wie unkompliziert die Terminbuchung war. „Ich habe erst heute angerufen und gleich meinen Wunschtermin bekommen.“ Am selben Tag anrufen und einkaufen, das ist also möglich.
Die neue Hose muss eine Nummer größer sein
Sabine Birkenhauer hat eben eine neue Kundin begrüßt. Neu bezieht sich aber nur auf heute. Tatsächlich ist man gut bekannt. Im Moment steht die Fachverkäuferin für Damenoberbekleidung nur bereit für eventuelle Hilfe. „Wir fragen, ob die Kunden erst einmal selbst durchschauen möchten oder Beratung brauchen.“ Die benötigt Marlies Siebert nicht. Sie hat sich schon eine Hose ausgesucht und ein Shirt. „Das wurde Zeit“, sagt sie und erzählt, auch sie ist froh, endlich wieder das Kaufhaus besuchen zu dürfen. „Man muss das Beste draus machen. Diese Situation wird uns noch lange begleiten.“
Schon verlässt die Kundin die Abteilung wieder. Ein paar Minuten, dann kommt die nächste. Was besonders gut geht in diesen ersten Tagen seit der Öffnung des stationären Einzelhandels? Sabine Birkenhauer lacht. „Die meisten Kundinnen kommen und sagen, ich brauche eine neue Hose – aber eine Nummer größer, weil sie im Lockdown ein paar Kilo zugenommen haben.“
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