Gelsenkirchen. Forscher haben Corona-Lüftungssysteme entwickelt, die Schulen sicherer machen. Auch in Gelsenkirchen könnten sie helfen. Doch die Stadt lehnt ab.
- Corona in Gelsenkirchen: Immer wieder haben Schüler, Lehrer, Eltern und Schulpersonal nach besserer Belüftung gerufen.
- Forscher des Max-Planck-Institues haben verschiedene Corona-Lüftungssysteme entwickelt. Diese könnten auch in den Schulen in Gelsenkirchen.
- Doch die Stadt Gelsenkirchen lehnt ab.
Die Diskussion ist schon oft geführt, derlei Worte in der Corona-Krise sind häufig gesagt: In immer wiederkehrender Intensität haben Schüler, Eltern, Lehrer und Schulpersonal laut nach einem besseren Lüftungsmanagement für Klassenräume gerufen. Natürliche Belüftung durch geöffnete Fenster im Winter? Luftfilter nur in den Räumen, die nicht ausreichend mit frischer Luft versorgt werden können? Manfred Stenzel, sachkundiger Bürger für die FDP im Ausschuss für Bau und Liegenschaften, hat eine andere Idee, die auch noch weit über die Pandemie, etwa bei Erkältungs- und Grippewellen, hinaus wirken könnte. Und zwar – so hofft er – für so viele Gelsenkirchener Schulen wie möglich.
Gelsenkirchen: So könnte eine neue Lüftungsanlage Schüler besser schützen
Der Hintergrund: Forscher des Max-Planck-Institutes (MPI) für Chemie mit Sitz in Mainz haben im ersten Jahr der Pandemie verschiedene Ventilator-Lüftungssysteme erdacht und entwickelt, die im Vergleich zu den teuren Luftfiltergeräten wenig kosten, gleichzeitig effektiv in der Bekämpfung von Viren sein sollen und mit wenig Aufwand und Material aus dem Baumarkt selbst aufgebaut werden können.
Die einzigen Anforderungen an den Raum: Er muss über eine Steckdose verfügen und ein kippbares Fenster oder Oberlicht haben. Wie effektiv die Anlagen sind, zeigt eine Zahl des MPI: Sie sollen in der Lage sein, bis zu 90 Prozent der Aerosole aus den Klassenzimmern zu entfernen. Hinzu komme, so das MPI: Der CO2-Gehalt in den Klassenräumen könne ebenfalls gesenkt werden. Und darüber hinaus ergebe sich eine deutliche Reduzierung des Wärmeverlustes gegenüber dem Stoßlüften. Des Weiteren verweist das MPI auf „geringste“ Anschaffungs- und Betriebskosten.
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Eine aktuelle Studie vom 11. Februar 2022 beweist im Jahr drei der Pandemie erneut die Vorteile der MPI-Idee: „Insgesamt zeigt der Vergleich, dass Fensterlüften mit einfachen technischen Hilfsmitteln wie Ventilatoren und Abzugshauben nicht nur kostengünstig und leicht realisierbar ist, sondern auch besonders effektiv in der Luftreinhaltung und gegen die Aerosolübertragung von Infektionskrankheiten wie COVID-19 oder Influenza.“
In Mainz hat man schon Erfahrungen mit verschiedenen Ventilator-Lüftungssystemen gemacht – mittlerweile sind sie nach Angaben des MPI dort in rund 600 Klassenräumen in Betrieb, auf ähnliche Systeme vertrauen Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer in rund 2000 Klassenräumen deutschlandweit.
Und die Kosten? Laut einem Bericht des Südwestrundfunks hatte die Stadt Mainz für die Ausstattung der Grundschulen die Gesamtkosten von 160.000 Euro übernommen – das wären 580 Euro pro Klassenzimmer.
Corona Gelsenkirchen: Kosten für das Material könnten von Eltern übernommen werden
Doch darum geht es Manfred Stenzel bei einer Lösung für Gelsenkirchens Schulen gar nicht. Denn die Kosten für die Materialbeschaffung könnten, so der Wunsch, von Seiten der Elternschaft übernommen oder durch weitere Spenden generiert werden. „Es werden sich sicherlich Eltern finden, die bereit sind, das zu unterstützen“, ist Stenzel überzeugt.
Tatsächlich gab es sogar schon eine Schule, die das System hätte ausprobieren wollen: Am Schalker Gymnasium hätte sich ein Physiklehrer bereit erklärt, das Projekt und den Bau im Unterricht umzusetzen, berichtet Manfred Stenzel. Doch die Verwaltung stoppte die Pläne.
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Im Sommer 2021 kam das Thema auf die Tagesordnung im Bau-Ausschuss – damals stellte Manfred Stenzel der Verwaltung eine Anfrage und bat um Stellungnahme. Die liest sich nicht sehr optimistisch: So müsste etwa fachliches Personal bei der Planung der Anlage hinzugezogen werden, ebenso bei der „baulichen Umsetzung“, heißt es seitens der Verwaltung. Und dann wäre da noch das leidige Thema Asbest: Sämtliche Gebäude, die vor 1996 errichtet wurden, stehen in Gelsenkirchen unter „Schadstoffgeneralverdacht“. Die Befestigung der Rohre an der Decke müsste dann unter besonderen Bedingungen erfolgen.
Ein weiterer Punkt, der die Pläne durchkreuzen könnte: Da die Anlagen nur in Räumen eingebaut werden können, die ein Oberlicht oder ein Fenster mit Kippfunktion haben, sind die Möglichkeiten in dieser Stadt endlich. Denn: „Diese Kombination ist in städtischen Gebäuden eher selten“, heißt es seitens der Verwaltung.
Nichtsdestotrotz hatte die Stadt zugesagt: „Unabhängig aller Prüfungen und Stellungnahme wird die Verwaltung einen Erfahrungsbericht abfragen“ heißt es im letzten Satz der Vorlage.
FDP fordert einen Sachstandsbericht der Gelsenkirchener Verwaltung
Passiert sei bislang noch nichts, sagt Manfred Stenzel. Deswegen sollen die Lüftungsanlagen noch einmal in der nächsten Sitzung des Bau-Ausschusses im April behandelt werden, vielmehr fordern Stenzel und die FDP nun einen Sachstandsbericht von der Stadtverwaltung. „Die FDP möchte wissen, warum ein solches System nicht an Gelsenkirchener Schulen eingebaut werden soll“, heißt es in einer Mitteilung.
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Eine Antwort kann Christoph Heidenreich geben. „Wir haben das für uns bewertet“, erklärt Gelsenkirchens Stadtbaurat. Für die Verwaltung handele es sich eher um ein Experiment, was das MPI da auf die Beine gestellt hat. Der Leiter des Baureferates bringt einen weiteren Aspekt ins Spiel: „Wir sind nachher in der Haftung“. Denn, so steht es im Haftungsausschluss des MPI: „Es wird insbesondere keine Gewähr dafür übernommen, dass die hier beschriebene Abluftanlage die dargestellten Funktionen erfüllt und sich für die dargestellte bzw. beabsichtigte Verwendung eignet. Die Nutzung der Inhalte erfolgt auf eigene Gefahr des Nutzers.“
Die Funktionsweise der Abluftanlagen
Zur Funktionsweise der Anlagen erklärt das Max-Planck-Institut für Chemie: „Die von uns entwickelte Abluftanlage nimmt ausgeatmete Luft, die möglicherweise Viren oder Bakterien enthält, gezielt mit Hilfe von Abzugshauben aus der direkten Umgebung von Personen auf, die an Tischen sitzen. Die Abluft gelangt über Verbindungsrohre in ein Zentralrohr und wird mit Hilfe eines Ventilators durch ein gekipptes Fenster nach draußen geführt.“Die an einem warmen Körper aufsteigende Luft unterstütze die Aufnahme und bringe diese zusammen mit der ausgeatmeten Luft innerhalb von etwa zehn Sekunden direkt in die Abzugshaube.„Die Zuluft kann wie beim normalen manuellen Lüften durch ein gekipptes Fenster oder eine geöffnete Tür erfolgen. Alternativ kann sie über Filter von draußen zugeführt werden“, so das MPI weiter. „Gegenüber dreimaligem Stoßlüften pro Stunde kann die Anlage die Anreicherung von SARS-CoV 2 um bis zu einer Größenordnung und CO2 um bis zu einem Faktor drei senken. Gleichzeitig kann sie die Energieverluste durch das Lüften deutlich reduzieren“, heißt es seitens des MPI.Eine Anleitung zum Selberbauen und weitere Informationen gibt es im Netz unter ventilation-mainz.de
Heidenreich verweist noch einmal auf den fachgerechten Aufbau durch entsprechende Handwerker, ohne den in den hiesigen Schulen keine Installation möglich wäre. „Wir legen da schon Wert drauf“, sagt Heidenreich. Vom Kosten-Nutzen-Verhältnis stehe das in keiner Relation, so Heidenreich auch.