Gelsenkirchen. Besucher erleben die Natur bei einem Audiowalk über das Bismarcker Consol-Gelände ganz neu. Was Anwohner damit zu tun haben und was sie fordern.

Die Welt unterm Förderturm wirkt plötzlich rosarot. Menschen mit pinkfarbenen Megaphonen wandern durchs grüne Gras rund um die Bismarcker Zeche Consol und lauschen. Sie hören, was ihnen die Blindschleiche und die Brombeere, die Zikade und die Zwergfledermaus, der Regenwurm und der Wiesenchampignon zu erzählen haben. 28 Organismen melden sich an rosa markierten Stationen zu Wort, 28 ihrer menschlichen Vertreter verleihen ihnen übers Megafon die Stimme.

Gelsenkirchener Kunstprojekt zeigt Natur aus völlig anderer Perspektive

Was merkwürdig klingt, ist in Wirklichkeit ein überraschend spannendes Erlebnis, bei dem die Besucher der Anlage die Natur aus völlig neuer Perspektive erleben. Die Ausstellung „Organismendemokratie Gelsenkirchen. 800.000 Jahre Photosynthese“ ist Teil des revierweiten Projektes „Ruhr Ding: Klima“, initiiert von Urbane Künste Ruhr.

Das Auditorium unterm Förderturm: In Gelsenkirchen auf Consol in Bismarck startet die Ausstellung „Organismendemokratie Gelsenkirchen. 800.000 Jahre Photosynthese“ als Teil von „Ruhr Ding: Klima“.
Das Auditorium unterm Förderturm: In Gelsenkirchen auf Consol in Bismarck startet die Ausstellung „Organismendemokratie Gelsenkirchen. 800.000 Jahre Photosynthese“ als Teil von „Ruhr Ding: Klima“. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Mit der Performance im Park beauftragte Urbane Künste Ruhr die Berliner Künstlergruppe „Club Real“. Mitglied Georg Reinhardt nennt die Aktion weniger ein Naturprojekt denn ein gesellschaftspolitisches: „Es geht um die gemeinsame Welt im öffentlichen Raum und wer darüber bestimmt, wie die in Zukunft aussieht. [Lesen Sie auch:Urbane Künste Ruhr: Klimawandel-Kunst vor der Haustür]

Ausstellungsbesucher bekommen statt einer Eintrittskarte ein rosarotes Megafon

Bei Club Real bestimmt die Natur mit. 28 Lebewesen bekommen von Menschen, die rund um die Zeche wohnen, eine parlamentarische Vertretung. Dafür wurde im Atrium unterm Förderturm ein Auditorium eingerichtet, wo die Parlamentarier auf rosa Stühlen zu regelmäßigen Sitzungen zusammenkommen. Auch in der sitzungsfreien Zeit kann der Gast die Abgeordneten kennenlernen. An den Fenstern des Maschinenhauses, das die Sammlung Thiel beherbergt, gibt’s kurze Steckbriefe der Abgeordneten und der Spezies, die sie vertreten. Außerdem läuft ein Video, das die Gründungssitzung dokumentiert.

Kooperation mit Consol Theater und der Stadt

Die Ausstellung „Ruhr Ding Klima“ wird auf dem Gelände an der Bismarckstraße 240 noch bis zum 27. Juni zu sehen sein. Die kostenlosen Tickets können über Eventbrite gebucht werden.In Gelsenkirchen findet die Aktion in Kooperation mit dem Consol Theater und der Stadt Gelsenkirchen statt. Weitere Ausstellungen gibt es in Herne, Haltern und Recklinghausen.Weitere Infos: urbanekuensteruhr.de

Janina zum Beispiel vertritt die Zwergfledermaus und fordert für sie alternative Nistplätze, wenn die Hängebank abgerissen wird. Oder Victoria, die für das Bakterium Geobacter metallireducens und dessen Lebensrechte kämpft. Andere setzen sich für die Bedürfnisse des Grünen Augentierchens oder der blaugrünen Binse ein. Einige der gestellten Forderungen des Parlaments, darunter die Aussaat von Getreide für Mäuse oder Nistkästen für Dohlen, sollen demnächst auch umgesetzt werden.

Einige der Forderungen der Abgeordneten sollen in die Tat umgesetzt werden

Georg Kentrup vom Gelsenkirchener Consol Theater ist fasziniert von den neuen Blickwinkeln auf die Natur.
Georg Kentrup vom Gelsenkirchener Consol Theater ist fasziniert von den neuen Blickwinkeln auf die Natur. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Georg Kentrup vom Consol Theater ist fasziniert von den neuen Blickwinkeln, die er in den letzten Tagen auf die Natur gewonnen hat, und staunt schmunzelnd: „Ich wusste vorher nichts von den Bedürfnissen einer Schwarznapfflechte.“ Jetzt schon, seit er immer mal wieder mit dem Megaphon übers Gelände wandert.

Mit einem kostenlosen Tagesticket, das online gebucht werden kann, dürfen das nun auch von mittwochs bis sonntags, 11 bis 18 Uhr, die Ausstellungsbesucher. An einem Infopoint-Wagen wird das Ticket gegen ein rosa Megaphon getauscht, und der Audiowalk über das Areal kann beginnen. Abrufbar sind die Audiobeiträge auch übers Smartphone. Kleine rosa Blöcke markieren die jeweiligen Hörstationen.

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Für die Künstlergruppe Club Real, die ähnliche Projekte unter anderem in Wien und Berlin realisiert hat, bietet das alte Consol-Gelände mit seiner Deponie unter der Erde und den Altlasten besonders attraktive Möglichkeiten, wie Georg Reinhardt erzählt. Der Club errechnete, dass 800.000 Jahre Photosynthese durch die Natur rund um Consol notwendig seien, um das durch die Kohleverbrennung ausgestoßene Co2 wieder auszugleichen. Reinhardt nennt das eine „Ewigkeitsaufgabe“. [Lesen Sie auch:Consol-Theater erhält vom Bund 130.000 Euro Fördermittel]

Darum will sich der Club Real auch nach Ausstellungsende nicht von dem Projekt der Organismen-Demokratie verabschieden. Die Uhr zum Beispiel am Theaterturm, die die Jahre von 800.000 herunter zählt, soll bleiben. Reinhardt ist sicher: „Die Menschen hier sind neugierig und offen für solche Projekte.“ Die Farbe Rosa habe man übrigens gewählt, „weil sie Energie und Fröhlichkeit vermittelt“.