Oberhausen.. Cyber-Mobbing ist kein spaßiger Jugendtrend - es ist eine ernsthafte Bedrohung. Durch Erfahrungen im eigenen Haus motiviert, versuchen nun Lehrer des Elsa-Brändström-Gymnasiums, Hilfestellung zu leisten und entwickeln Auswege aus der Cyber-Falle.

Cyber-Mobbing und seine Folgen. Zwei Mädchen des Elsa-Brändström-Gymnasiums mussten sie hautnah erleben. Was im Internet begann, gipfelte in einer handfesten Prügelei. Das war der jüngste Vorfall. Es gab noch unzählige zuvor.

Doch Schüler und Lehrer wehren sich, entwickelten eine - mittlerweile sogar vom Bundeswirtschaftsministerium ausgezeichnete - Strategie gegen Beleidigungen und Bloßstellungen im Internet.

Dem Schlagabtausch im Netz folgte eine echte Bedrohung

Brigitte Fontein, Schulleiterin des „Elsa“ erinnert sich: „Im Internetforum SchülerVZ waren zwei Mädchen übel von Teenagern einer anderen Schule beschimpft worden.“ Dem Schlagabtausch im Netz folgte eine echte Bedrohung. Die Jugendlichen lauerten ihren Opfern schließlich sogar vor der Haustür auf. „Es kam zu einer Schlägerei“, erzählt die Rektorin. Die beiden verzweifelten Elsa-Schülerinnen wagten sich nicht mehr aus der Wohnung - bis sich die Eltern bei der Schule meldeten. „Wir vereinbarten mit den Eltern der anderen Mädchen ein Gespräch“, so Fontein. „Eine Diskussion mit Eltern, Lehrern und den betroffenen Schülerinnen folgte - und konnte die Situation zum Glück klären.“

Geklaute Bilder hochladen

Was Cyber-Mobbing bedeutet, musste auch Franziska Brands erfahren. Die 15-jährige Elsa-Schülerin und ihre Freundin hatten sich aus Jux gegenseitig im Schlafanzug abgelichtet. Der Freund der Freundin fand die Fotos auf deren Rechner und stellte sie ins Netz. Da hörte für Franziska der Spaß auf. „Nachdem ich ihn mehrfach gebeten hatte, die Bilder zu löschen und nichts passierte, ging ich zu seiner Klassenlehrerin.“ Das fruchtete. Die Lehrerin selbst habe hinter ihm gestanden, bis die Fotos aus dem Schülerforum verschwunden waren.

Kaum angemeldet, schon angepöbelt

Schlechte Erfahrungen im Netz machte auch Elsa-Schülerin Adriana Chojnacka. Kaum bei SchülerVZ angemeldet wurde die 16-Jährige Opfer übelster Beleidigungen. „Ich wusste nicht, was ich machen sollte, ignorierte die Schreiben dann einfach.“ Bis der Täter sich ein neues Profil erstellte und erneut Kontakt zu ihr aufnahm. „Und schon ging es weiter.“ Erst Wochen, Monate später hat Adriana offen darüber gesprochen. Und auch Franziska weiß: „Die Hemmschwelle, sich jemandem anzuvertrauen, ist groß. Die Eltern zum Beispiel haben von solchen Sachen meist keine Ahnung, außerdem ist einem das alles auch furchtbar peinlich.“

Was Cyber-Mobbing so gefährlich macht

Marco Fileccia, am Elsa u.a. als Informatiklehrer tätig, weiß, was Cyber-Mobbing so bedrohlich macht: „Die Täter sind meist anonym, erstellen sich häufig mehrere Profile - dadurch ist die Hemmschwelle niedriger.“ Und: „Der Computer steht zu Hause, durch Angriffe aus dem Netz fühlen sich die Opfer selbst in diesem Schutzraum nicht mehr sicher.“ Dazu kämen die schnelle Verbreitung und ein unüberschaubar großes Publikum. Die Kinder und Jugendlichen glauben, den Attacken ausgeliefert zu sein. Falls sie überhaupt Hilfe suchen, liegt oft ein langer Leidensweg hinter ihnen - mit teils gravierenden psychischen Folgen.

Gemeinsam mit Kollegin Tina Dietrich entwickelte Marco Fileccia deshalb Wege aus der Cyber-Falle. In den achten Klassen des Elsa-Brändström-Gymnasiums hörten sich die beiden Lehrer um, wer Lust hätte, SchülerVZ-Scout zu werden. Innerhalb von einer Woche meldeten sich 20 Schüler. Darunter auch Franziska Brands und Adriana Chojnacka. An sechs Ausbildungstagen, u.a. beim Kommissariat Vorbeugung und in der Zentrale von SchülerVZ in Berlin, erlernten die Scouts Strategien gegen Cyber-Mobbing. Dazu gehört vor allem: „Informationen einholen.“ So erfuhren die Scouts etwa, dass sie sich bei unerwünschten Kontakten mit einer Mail- und Ignoriertaste schützen können. „Dann hat der Mobber keinen Zugriff auf das soziale Netzwerk mehr“, erläutert Fileccia. Aber auch eine Meldung an die SchülerVZ Zentrale ist ratsam. „Die können den Täter abmahnen, aus dem Netz schmeißen oder die Polizei einschalten.“

Erste Devise: Aktiv werden

Die erste Devise für Opfer lautet: Aktiv werden und sofort darüber reden. „Falls das mit den Eltern nicht möglich ist, mit einem Lehrer oder einem Freund, einer Freundin.“ Wichtig sei es auch, Beweise zu sichern. „Am besten sofort alles ausdrucken“, rät Marco Fileccia. Außerdem: „Den Mobber ignorieren, nie antworten und die Attacken sofort dem Betreiber melden!“

Die SchülerVZ-Scouts setzen auf Prävention. Sie ziehen durch alle sechsten Klassen und klären auf. Etwa darüber, was Mobbing mit den Opfern macht, dass diese oft monatelang andauernden Attacken schwere psychische Folgen haben können. Ein Sozialtraining folgt, in dem auch von Eigen- und Fremdwahrnehmung die Rede ist, Rollenspiele gemacht werden. Aber auch die rechtlichen Aspekte kommen auf den Tisch. „Denn es gibt ja z.B. ein Recht am eigenen Bild - und wer das ignoriert, muss mit einer Anzeige rechnen“, klärt Fileccia auf.

Wie wichtig diese Aufklärung ist, zeigt folgender Fakt: Obwohl SchülerVZ erst Mitglieder ab zwölf Jahren aufnimmt, sind die Hälfte aller Sechstklässler online. „Bereits Zehnjährige machen mit“, weiß der Pädagoge.

Thema "Grooming"

Facebook und der Themenbereich Grooming (versteckte sexuelle Kontaktaufnahme) werden aktuell in das Projekt integriert. „Wir wollen die Jugendlichen aufklären, wie Erwachsene, die auf der Suche nach sexuellen Kontakten sind, vorgehen“, erläutert Fileccia. Da werde etwa gerne auf „Defizite“ gesetzt. „Jugendliche sind auf der Suche nach sich selbst und häufig nicht so recht mit sich zufrieden.“Also hagele es Komplimente, würde über einen langen Zeitraum Vertrauen aufgebaut. „Da werden Pseudoprofile angefertigt, die auf die Bedürfnisse der Kinder zugeschnitten sind.“

Umso wichtiger: „Die Kontrolle darüber behalten, wen ich als Kontakt annehme. Wenn ich 400 Freunde im Netz habe, weiß ich nie, wer sich dahinter verbirgt.“