Oberhausen. Patienten bestürmen die Praxen. Familien sind darunter, die in den Urlaub wollen. Dabei sind selbst viele Vorerkrankte noch immer nicht geimpft.

Die Vorerkrankten der Gruppe 3 sind die großen Impfverlierer. Sie sind krebskrank, leiden an Herzschwäche oder Diabetes und haben diese Bescheinigung in der Tasche: „Bei dem Patienten liegt ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf nach Paragraph 4 Ziffer 2 der Impfverordnung vor.“ Nach den Vorgaben des Bundes gehören sie in die Priorisierungsgruppe 3. Nur genützt hat ihnen das wenig.

Auch in Oberhausen sind die meisten bislang nicht gegen Covid-19 geimpft. Und das dürfte sich auch nicht so schnell ändern. Denn der Impfstoff bleibt knapp. Dennoch entfällt ab dem 7. Juni nach den Vorgaben des Bundes die Priorisierung komplett. Bereits seit einigen Tagen bestürmen die Menschen die Praxen.

Die Aufhebung gilt zwar gleichermaßen für Arztpraxen, Betriebsärzte und Impfzentren. Doch Dr. Stephan Becker, als Ärztlicher Leiter im Oberhausener Impfzentrum im Einsatz, winkt ab: „Wegen des fehlenden Impfstoffes können in den kommenden drei Wochen keine Erstimpfungen in der Willy-Jürissen-Halle durchgeführt werden.“

Aktuell werden dort statt dessen Berufsgruppen wie etwa Lehrerinnen und Lehrer fleißig durchgeimpft. Auch sie gehören zur Priorisierungsgruppe 3. Gerade bei den Pädagogen ist die Erleichterung groß. Denn dank sinkender Inzidenzen sitzen die Schüler nun wieder dicht gedrängt in vollen Klassenräumen. Zahlen dazu, wie viele Eltern durch ernste Erkrankungen ebenfalls zur Priorisierungsgruppe 3 gehören, liegen für Oberhausen nicht vor. Immerhin gibt es für sie die Möglichkeit, ihre Kinder mit einem ärztlichen Attest eine Zeit lang vom Unterricht befreien zu lassen. Doch als Dauerlösung ist das vom NRW-Schulministerium nicht vorgesehen.

Die Lagerbestände an Impfstoff sind seit April fast aufgelöst

Auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte inzwischen mehrfach eingeräumt: Die Lagerbestände an Impfstoff sind seit April fast vollständig aufgelöst. Seine Prognose: Bis mindestens Mitte Juni werde es deshalb in den Impfzentren keine Erstimpfungen geben können.

Entsprechend groß sind die Magenschmerzen bei den niedergelassenen Ärzten auch in Oberhausen. Denn dort stehen die Menschen längst Schlange. „Dabei haben wir noch viele Patienten mit Vorerkrankungen aus der Gruppe 3, die keine einzige Impfung erhalten haben und im Impfzentrum noch keine Termine vereinbaren dürfen“, sagt Stephan Becker (Allgemeinmediziner der Revierparkpraxis in Osterfeld).

Dazu kämen nun alle ohne chronische Erkrankungen, die sich in den Praxen für einen Termin vormerken lassen wollen und „oft sehr uneinsichtig sind, wenn sie keinen erhalten“. Eine seiner langjährigen Mitarbeiterinnen habe soeben wegen des zunehmend rauen Tons der Patienten gekündigt. „Die psychische Belastung ist enorm, deshalb haben die meisten Kollegen so wie wir große Sorge, dass immer mehr Arzthelferinnen das Handtuch schmeißen.“

Die Entscheidung des Bundesgesundheitsministeriums, den noch knappen Impfstoff jetzt obendrein für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren freizugeben, kann Dr. Becker, der die niedergelassenen Ärzte auch im Krisenstab der Stadt vertritt, nicht nachvollziehen. „Wir haben im Evangelischen Krankenhaus drei Langzeitfälle auf der Intensivstation liegen, die beatmet werden müssen – hätten die auch nur eine Erstimpfung gegen Covid-19 erhalten können, lägen sie nicht dort.“

Impfung besser erst einmal nur für kranke Kinder

Die Coronaschutzimpfung jetzt für alle Zwölf- bis 15-Jährigen freizugeben, hält Dr. Stephan Becker (Vorsitzender der Kreisstelle Oberhausen der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein) angesichts knapper Impfstoffmengen für nicht sinnvoll.Anders sieht es allerdings bei einer Impfung für vorerkrankte Kinder aus: „In diesen Fällen würde ich sofort Ja sagen.“

Dennoch kommt genau diese Frage jetzt auf alle niedergelassenen Ärzte zu: „Soll ich den Zwölfjährigen impfen, der mit seiner Familie nach Spanien fliegen will, und dafür einem 50-Jährigen mit Vorerkrankung die rettende Dosis verweigern?“ Nach den Vorgaben des Bundes ist genau dies künftig möglich.

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