Gelsenkirchen. 14 Regionen in NRW haben den Inzidenzwert von 100 bereits wieder überschritten. Gelsenkirchen steht kurz davor und plant so damit umzugehen:

Seit Tagen steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen auch in Gelsenkirchen wieder deutlich. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts haben am Montagmorgen bereits 14 Regionen in NRW den 100er-Inzidenzwert überschritten. Gelsenkirchen übermittelt sonntags keine Werte ans RKI, weshalb die Sieben-Tage-Inzidenz zu Wochenbeginn weiterhin mit 91,7 angegeben wird. Zu erwarten ist aber, dass auch hier sehr bald wieder der Inzidenzwert über 100 steigt. Zumal sich die britsche Mutation des Coronavirus auch hier offenbar ausbreitet.

Grund für diese Annahme der Stadt ist, dass sich anders als in der ersten und zweiten Welle nun deutlich häufiger auch Familienmitglieder eines Neuinfizierten anstecken würden, berichtet Krisenstabsleiter Luidger Wolterhoff im WAZ-Gespräch. Um Gewissheit zu bekommen, lässt das Gesundheitsamt nun jeden neuen positiven Test auf die bekannten Mutationsvarianten testen. Dass Gelsenkirchen den 100er-Wert überschreitet gilt auch angesichts dieser Entwicklung als sehr wahrscheinlich.

Theoretisch könnte die Stadtverwaltung dann die Coronaschutzmaßnahmen wieder verschärfen. In der aktualisierten Coronaschutzverordnung NRW steht: „Kreise und kreisfreie Städte, in denen die Zahl der Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen bezogen auf 100.000 Einwohner (7-Tages-Inzidenz) … nachhaltig und signifikant über einem Wert von 100 liegt, prüfen die Erforderlichkeit … zusätzlicher Schutzmaßnahmen und können diese im Einvernehmen mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales anordnen.“

Wolterhoff erklärt auf Nachfrage, warum die Stadtverwaltung dennoch vorerst keine schärferen Maßnahmen plant.

Inzidenzwert ist wichtig, aber nicht alles

„Der Inzidenzwert ist wichtig, um eine Vergleichbarkeit des Infektionsgeschehens vor allem mit unseren Nachbarstädten herzustellen, und er ist auch wichtig, um die Geschwindigkeit der Ausbreitung ablesen zu können und gegebenenfalls frühzeitig Schutzmaßnahmen zu treffen“, so Wolterhoff.

Doch der Sieben-Tage-Wert allein sei eben nicht alles entscheidend, bestätigt der ehemalige Gesundheitsdezernent, was neben eher regierungskritischen Wissenschaftlern zuletzt auch Essens Gesundheitsdezernent Peter Renzel erklärte. Demnach sei die Inzidenz relevanter gewesen, als viele alte und vorerkrankte Menschen sich mit dem Coronavirus infizierten und es zu massenhaft schweren Verläufen und Todesfällen kam.

Dank der fortschreitenden Impfung der Risikogruppen, infizieren sich nun eher jüngere Menschen, die glücklicherweise aber selten schwer erkranken. 220 der 340 Corona-Todesfälle in Gelsenkirchen waren älter als 80, nur 20 waren jünger als 60.

Somit ist zunehmend fraglich, ob die Inzidenz wirklich noch als Messgröße für das Stilllegen des öffentlichen Lebens herangezogen werden kann oder ob dies nicht angesichts der psychischen, sozialen und finanziellen Schäden nicht unverhältnismäßig ist.

Nur noch wenige Corona-Patienten auf der Intensivstation in Gelsenkirchen

Fakt ist jedenfalls, dass in Gelsenkirchen am Montag nur noch fünf Corona-Patienten auf Intensivstationen behandelt werden, vier davon werden invasiv beatmet. Insgesamt werden aktuell 35 Personen wegen einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhaus behandelt. „Die Situation in den Krankenhäusern und im Gesundheitsamt ist vergleichsweise entspannt“, berichtet Wolterhoff.

Angesichts dessen und des Umstandes, dass die viele gefährdete Menschen inzwischen – etwa in den Pflegeheimen – geimpft sind und der Altersdurchschnitt der Infizierten in Gelsenkirchen sinkt, erwäge die Stadt zunächst keine Verschärfungen der Schutzmaßnahmen. „Wir haben natürlich Ideen, wie wir vorgehen können, wenn wir bestimmte Orte in der Stadt als Hotspots identifizieren, aber grundsätzlich macht es im Ballungsgebiet Ruhrgebiet nicht viel Sinn, von Nachbarstadt zu Nachbarstadt unterschiedliche Regeln aufzustellen“, so Wolterhoff.

Wenn die gerade erst gelockerten Maßnahmen also wieder ganz oder teilweise zurückgenommen werden sollten, dann höchstwahrscheinlich nur von der Landesregierung, sagt Gelsenkirchens oberster Pandemie-Manager. Jedenfalls solange wie der Inzidenzwert im Vergleich mit den anderen Städten im Rahmen liegt.