Oberhausen. Ein Oberhausener Elftklässler überzeugt eine ukrainische Austauschschülerin, nach Deutschland zu fliehen – und erzählt von der schwierigen Flucht.

Die Flucht nach Deutschland war alles andere als einfach: Drei Tage lang kämpften sich eine ukrainische Schülerin und ihre Oma mit der Bahn von Saporishja durch bis nach Oberhausen. Während der Flucht hatten sie weder Lebensmittel dabei, noch gab es Toiletten oder Schlafmöglichkeiten. Nicht mal einen Koffer hatten sie bei sich – „damit mehr Leute Platz im Zug haben“, erklärt Johannes May, bei dem die beiden Ukrainerinnen nun untergekommen sind.

Der Elftklässler am Bertha-von-Suttner-Gymnasium in Oberhausen ist nicht der einzige mit intensiven Beziehungen nach Saporishja. Seit 22 Jahren besteht eine enge Schulpartnerschaft, vor der Pandemie fanden jährlich Schüleraustausche statt. Seit dem Ausbruch des Kriegs helfen Schüler und Lehrer ihren ukrainischen Freunden, wo sie nur können – und haben sogar schon erste Kriegsflüchtlinge bei sich aufgenommen.

Johannes May nahm bereits an zwei Schüleraustauschen in die Ukraine teil, 2019 war er das letzte Mal in Saporishja. Als er vom russischen Angriff auf die Ukraine erfuhr, machte er sich gleich große Sorgen um seine Freunde vor Ort, wollte irgendwie helfen. Um nicht tatenlos zuzusehen, überzeugte der Schüler gemeinsam mit seiner Familie eine ukrainische Austauschschülerin, mit ihrer Oma nach Deutschland zu flüchten. Mittwochnacht kamen die beiden endlich an. Als Johannes May über die Herausforderungen der letzten Tage spricht, schüttelt er immer wieder mit dem Kopf, kann nicht begreifen, was seine Freunde in der Ukraine zurzeit durchleben.

Erinnerung an unbeschwerte Zeiten: Beim letzten Schüleraustausch in Saporishja 2019 war für die Schüler die Welt noch in Ordnung.
Erinnerung an unbeschwerte Zeiten: Beim letzten Schüleraustausch in Saporishja 2019 war für die Schüler die Welt noch in Ordnung. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

„Ich habe seit dem russischen Angriff auf die Ukraine viel Kontakt zu meinen Austauschpartnern, genauso wie meine Schwester, die ebenfalls schon mit der Schule in Saporishja war. Die meisten unserer Freunde wollen lieber in ihrer Heimat bleiben und nicht alles zurücklassen. Die Austauschpartnerin meiner Schwester wollte am Anfang auch nicht fliehen, aber wir konnten sie dann doch davon überzeugen, gemeinsam mit ihrer Oma zu uns nach Deutschland zu kommen. Ihre Eltern sind aber in Saporishja geblieben – ihr Vater darf nicht ausreisen und ihre Mutter ist bei ihm geblieben, damit er nicht alleine ist“, erklärt der Elftklässler.

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Bei Johannes May und seiner Familie leben die Ukrainerinnen jetzt vorerst im Wohnzimmer, wie es weitergeht, sei noch völlig unklar. „Es ist so furchtbar, die beiden standen mitten im Leben und jetzt ist alles weg. Sie haben nur noch die Klamotten, die sie bei ihrer Flucht getragen haben“, erzählt der Elftklässler. In den kommenden Tagen müsse Johannes’ Familie jetzt erstmal einkaufen und Kleidung besorgen.

Schon über 22.000 Euro an Spenden gesammelt

Seit dem Jahr 2000 findet jährlich ein gegenseitiger Schüleraustausch zwischen dem Bertha-von-Suttner-Gymnasium in Oberhausen und der Schule 46 in Saporishja statt.Mit einer Crowdfunding-Aktion sammeln die Schüler spenden für ihre Partnerschule, es sind bereits über 22.000 Euro gesammelt worden. Wer sich daran beteiligen möchte, kann unter https://www.oberhausen-crowd.de/ukraine einen Beitrag spenden.

Schulleiter Sascha Reuen besorgt die Situation in Saporishja ebenfalls sehr, gleichzeitig ist er wahnsinnig stolz auf das Engagement seiner Schüler. Er erzählt, dass auch in der fünften Klasse ein Schüler seinen Austauschpartner aufgenommen habe – „und ich bin mir sicher, dass da noch einige nachkommen werden.“ Nun müsse geklärt werden, wo die Kriegsgeflüchteten längerfristig unterkommen könnten.

Die Schüler des „Berthas“ hoffen nun, dass die ukrainischen Flüchtlinge mit der gleichen Gastfreundschaften aufgenommen werden, wie sie damals bei ihrem Austausch: „Als ich dort zu Besuch war, sind alle so unglaublich herzlich und gastfreundlich gewesen“, meint Johannes May. Caroline Stübler aus der zehnten Klasse nickt bestätigend mit dem Kopf und ergänzt: „Meine Gastfamilie hatte sogar ein paar Worte auf deutsch für mich gelernt, damit ich mich gleich wohl fühle. Es ist komplett surreal, dass dort jetzt nichts mehr so ist, wie wir es kennengelernt haben“.