Gelsenkirchen/Essen/Duisburg. Seit fünf Jahren sitzt Yusuf T. im Knast. Jetzt erzählt er, wie er zum Terroristen wurde und wie knapp der Limbecker Platz einem Anschlag entkam.
Diese Bilder haben sich tief ins kollektive Gedächtnis der Menschen im Ruhrgebiet eingebrannt: Drei junge Islamisten, die in Essen einen Bombenanschlag auf die Sikh-Gemeinde verüben, versetzen eine ganze Region in Angst und Schrecken, ehe sie einige Tage später festgenommen werden. Allein dem Unvermögen und sehr viel Glück ist es zu verdanken, dass der Anschlag am 16. April 2016 vergleichsweise glimpflich endet.
Die IS-Anhänger und selbst ernannten Gotteskrieger gehen als „die Tempelbomber von Essen“ in die Kriminalgeschichte des Ruhrgebiets ein. Fünf Jahre danach, gewährt der Gelsenkirchener Yusuf T., Anführer der Attentäter, nun aus dem Jugendgefängnis in Iserlohn einen Einblick auf seinen Weg in den islamistischen Fanatismus hinein und wieder heraus und berichtet, wie knapp der Essener Hauptbahnhof und das Einkaufszentrum Limbecker Platz an jenem Tag einem Bombenanschlag entgangen sind.
„Wir waren bereits im Limbecker Platz mit der Bombe“
Im Gespräch mit seinem Anwalt Burkhard Benecken berichtet Yusuf T., wie einer seiner Komplizen den als Sprengsatz präparierten Feuerlöscher im Essener Hauptbahnhof hochgehen lassen wollte. Doch Yusuf T. habe widersprochen. Erstmals wird öffentlich bekannt, was sich unmittelbar vor dem Anschlag auf den Sikh-Tempel abgespielt haben soll.
Das Gespräch zwischen Anwalt Benecken und dem inzwischen 20-jährigen Yusuf T. liegt unserer Redaktion exklusiv vor:
„Ich habe gesagt, dass wir auf dem besten Weg sind, Mörder zu werden. Vielleicht sterben dort [Anm. d Red.: am Hauptbahnhof] durch unsere Tat Muslime. Deshalb sind wir weitergelaufen. Dann wollte mein Freund das Ding am Limbecker Platz ablegen. Wir waren bereits im Einkaufszentrum mit der Bombe. All die kapitalistischen Läden und die Menschenmassen schienen uns zunächst als perfektes Ziel. Wir haben überlegt, die Bombe nahe einem Aufzug zu platzieren. Aber ich habe dann zu bedenken gegeben, dass auch hier Muslime Opfer unserer Bombe werden könnten. Der Anschlag sollte aber nur Ungläubige treffen, deshalb sind wir aus dem Einkaufszentrum wieder raus. Dann sahen wir den Sikh-Tempel. Da habe ich gesagt: Hier, das ist es“, berichtet der Gelsenkirchener.
Im Gebetshaus findet gerade eine Hochzeitsfeier statt, als Yusuf T. den Sprengkörper aus seinem Rucksack holt und ihn vor der Eingangstür deponiert.
„Von jetzt an gibt’s nur noch den Tod oder die Zelle“
„Alles verlief wie in Zeitlupe. Ich bin nur zirka 20 Meter mit der Bombe auf dem Rücken gelaufen, doch es hat sich angefühlt wie ein 20-Kilometer-Lauf. Ich warf die Bombe vor die Tür und ging dann zur Seite, habe zitternd den Knopf gedrückt, habe ein Piep gehört, dann war alles weiß, der Boden bebte, ich habe noch nie vorher so was Lautes gehört. Und ich dachte, dass ich brennen würde.“
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Durch die Druckwelle geht die gläserne Eingangstür zu Bruch. Ein indischer Priester erleidet schwere Verletzungen durch die umherfliegenden Glassplitter, zwei Besucher des Tempels werden leicht verletzt. Yusuf T. berichtet, dass er zu diesem Zeitpunkt gleich gewusst habe, „von jetzt an gibt’s nur noch den Tod oder die Zelle“. Und doch seien die drei Attentäter zunächst erstmal zum Berliner Platz gegangen und hätten in aller Ruhe einen Döner gegessen.
Yusuf T. stellt sich auf einer Polizeiwache in Gelsenkirchen
Wenige Tage nach dem Anschlag offenbart sich Yusuf T., der Teenager, zunächst seiner Mutter als Terrorist und dann den Beamten einer Gelsenkirchener Polizeiwache.
Hinter Gittern zeigt sich der damals 16-Jährige anfangs unkooperativ, wie sein Anwalt berichtet. Er macht keinen Hehl aus seiner Verachtung der hiesigen Gesellschaft. Kaum in Untersuchungshaft, fangen die Probleme an. Er soll auch in der JVA Iserlohn für den IS geworben haben. Zellendurchsuchungen und abgefangene Briefe zwischen Yusuf T. und seinen Mittätern fördern kompromittierendes Material zutage. Auch in der U-Haft gibt der junge Mann demnach zunächst den Amir, den Anführer der Terrorzelle.
Das Landgericht Essen verurteilt ihn im März 2017 zu sieben Jahren Jugendstrafe, unter anderem wegen versuchten Mordes und der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion. Das Ausländeramt Gelsenkirchen will den jungen Mann nach verbüßter Strafe in seine türkische Heimat abschieben. Das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen hat einen ersten Antrag auf Aussetzung der Ausweisung und Abschiebung abgelehnt. Normalerweise wäre T. schon in die Türkei abgeschoben. Doch im Jugendgerichtsgesetz gibt es eine Vorschrift, wonach der für die Vollstreckung zuständige Jugendrichter zustimmen muss, was dieser bisher nicht getan hat.
Yusuf T. sagt als Kronzeuge gegen IS-Größen in Deutschland aus
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Der junge Mann, der behauptet, dem religiösen Fanatismus abgeschworen zu haben, will vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen werden. Er gibt sich geläutert, hat in der JVA eine Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker absolviert und als Kronzeuge gegen IS-Hintermänner und Scharfmacher in Deutschland ausgepackt. Gegen Hassprediger wie den mutmaßlichen deutschen IS-Statthalter mit dem Kampfnamen Abu Walaa, der Yusuf T. den Segen zu seinen Anschlagsplänen erteilt und ihn zum Anführer der Truppe ernannt haben soll.
Da aber eine Gutachterin den Gelsenkirchener noch immer für gefährlich hält, darf Yusuf T. nicht in den offenen Vollzug wechseln. Aus Sicht der Anstaltsleitung bestehe unter anderem die Gefahr, dass er die Lockerungsmaßnahmen als Chance zur Flucht ergreifen könnte, erklärt Anwalt Benecken.
„Gehirnwäsche“ in den geheimen Koranschulen in Dortmund und Duisburg
Wenn Yusuf T. heute an die „Gehirnwäsche“ in den geheimen Koranschulen in Dortmund und Duisburg denke, in der ihm die Dschihad-Ideologie eingebläut worden sei, werde er wütend, berichtet sein Advokat. „Die haben mir mein Leben versaut, die haben aus einem Jugendlichen einen Bombenleger gemacht“, zitiert Benecken seinen Mandaten.
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Dennoch suche Yusuf T. heute nicht nur die Schuld bei anderen, sondern auch bei sich selbst: „Ich wollte damals provozieren und habe die Aufmerksamkeit genossen, wenn ich mit einem Gewand und Turban durch die Gelsenkirchener Innenstadt gelaufen bin. Heute verstehe ich die Sorgen meiner damaligen Lehrer, über die ich mich seinerzeit lustig gemacht habe. Sie hatten absolut recht. Ich war zunächst auf dem Grillo-Gymnasium, musste dann zur Gertrud-Bäumer-Realschule und anschließend wegen meines fürchterlichen Verhaltens zur Realschule an der Sankt Michael Straße in Hassel gewechselt. Ich habe mich unantastbar gefühlt – aus heutiger Sicht absurd“, lässt Yusuf T. der WAZ über seinen Anwalt mitteilen.
„Mein Sohn, der Salafist“
Yusufs Mutter Neriman berichtet in ihrem Buch „Mein Sohn, der Salafist“ von ihrer Hilflosigkeit, obwohl sie schon früh gemerkt habe, dass etwas nicht stimmt mit Yusuf T., der sich in seinem Zimmer eingeschlossen und stundenlang Predigten im Internet zugehört habe, der seiner Mutter verboten habe, Musik zu hören und seine Eltern für ihren „unzüchtigen Lebensstil“ verachtet habe.
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Neriman T. wandte sich nach eigener Aussage an das salafistische Präventionsprogramm des Landes NRW, doch während ihr Sohn in den Gesprächen mit den Betreuern Besserung gelobt habe, machte er das Gegenteil und radikalisiert sich immer weiter – vor allem unter dem Einfluss des Koran-Lehrers Boban S. aus Dortmund und eines Reisebürobetreibers aus Duisburg namens Hasan C.. Auch gegen diese Männer laufen Terror-Prozesse.
„Wenn du wieder rauskommst, dann willst du den Leuten den Kopf abschlagen.“
Der Duisburger, so berichtet es Yusuf T., habe den jungen Männern in einem Hinterzimmer seiner Geschäftsräume Arabisch beigebracht und sie „mit der IS-Ideologie infiziert“. „Du gehst in das Reisebüro rein und wenn du wieder rauskommst, dann willst du den Leuten den Kopf abschlagen“, erinnert sich Yusuf T..
Seine Haftjahre habe er genutzt, um sich selber wiederzufinden. „Ich weiß wieder, was mich ausmacht, wo ich hinwill und wo ich herkomme. Ich habe meine Werte und mein moralischer Kompass funktioniert wieder“, beteuert der 20-Jährige.
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Inzwischen ist Yusuf in eine der Wohngruppen im geschlossenen Vollzug des Jugendgefängnisses gewechselt. Hier stehen die Türen von morgens bis abends offen. Die Insassen dürfen den Tagesablauf selbst gestalten. Yusuf T. hat seinen Realschulabschluss nachgeholt. Und nach dem Einschluss macht er häufig noch Musik. Er durfte sich eine Art Mini-Studio in seiner Zelle einrichten, berichtet Benecken.
Yusufs Entlassung wäre ein Neuanfang für die ganze Familie, so sein Anwalt. Die Eltern, die in Ückendorf einen Obst- und Gemüsehandel betrieben hatten, wollen ein Haus in einem anderen Stadtteil in Gelsenkirchen beziehen. Mit dem alten verbinden sie zu viele negative Erinnerungen. Auf dem neuen Anwesen soll eine Garage mit einem Tonstudio entstehen, in der Yusuf seinem Hobby nachgehen können soll: Musik zu produzieren.
Doch sollte T. nach der Haft in die Türkei abgeschoben werden, ein Land, das er nach Aussage seiner Mutter kaum kennt, wäre das zwar ein herber Einschnitt im Leben der Familie, weil sie alles aufgeben müsste, was sie sich hier aufgebaut hat. Dennoch würde die Familie mit Yusuf T. in die Türkei zurückkehren. „Wir lassen unseren Jungen nicht alleine“, sagt seine Mutter.
Das Gespräch zwischen dem Anwalt und Yusuf T. ist Teil des neuen Buches „Inside Knast - Leben hinter Gittern – der knallharte Alltag in deutschen Gefängnissen“ von Burkhard Benecken, das am 23. März im Riva Verlag erscheint. Die gebundene Ausgabe kostet 19,99 Euro, Kindle 15,99 Euro.