Brüssel. Neben Politiker und ihre wissenschaftlichen Fehltritte nehmen Plagiatsjäger im Internet jetzt ein ganzes System ins Fadenkreuz: Lobbyismus im Europaparlament. Auf LobbyPlag.eu werden die Papiere von Interessenvertretern mit Gesetzesvorlagen verglichen. Wörtliche Übernahmen sind keine Seltenheit.

Die Jagd auf zusammenkopierte Gesetzestexte ist eröffnet. Neben den wissenschaftlichen Arbeiten von Politikern haben Internetaktivisten nun neue Ziele im Visier. Auf LobbyPlag.eu werden Gesetzesvorlagen mit den Handreichungen von Firmen und Organisationen verglichen. Am Beispiel der geplanten EU-Datenschutzgrundverordnung wird die unmittelbare Einflussnahme von Interessengruppen aufgezeigt.

Der Beschluss eines Gesetzes im Europaparlament ist kompliziert und langwierig. Am Ende steht stets ein hehres Ziel: Es soll im Interesse der EU-Bürger gefällt werden.

Wie groß ist der Lobbyeinfluss wirklich?

Doch wer zieht im Hintergrund die Strippen? Verlassen sich die EU-Abgeordneten auf ihren eigenen Verstand, eigene Recherche und die Arbeit ihrer Mitarbeiter? Oder greifen sie häufig auf die Vorschläge von Konzernen und Interessengruppen zurück?

Der Journalist und bekannte Blogger Richard Gutjahr will diesen Fragen auf den Grund gehen. Gemeinsam mit Marco Maas und Sebastian Vollnhals von der Datenjournalismus-Plattform OpenDataCity hat er die Seite LobbyPlag ins Leben gerufen. Dort sollen Internetnutzer Texte von Interessenvertretern mit Gesetzesvorlagen vergleichen und Übereinstimmungen kenntlich machen.

Beispielfall Datenschutz-Grundverordnung

Anstoß zur Gründung der Plattform waren die Rechercheergebnisse des Österreichers Max Schrems, Betreiber von Europe-v-Facebook.org. Die Initiative zeigte auf, dass ganze Abschnitte in der Stellungnahme des EU-Parlaments zur Datenschutzreform aus Papieren von Lobbyisten großer Firmen wie Amazon und Ebay oder der amerikanischen Handelskammer kopiert wurden.

Mit der neuen Datenschutz-Grundverordnung will die Europäische Union unter anderem neue Regeln für den Umgang mit personenbezogenen Daten durch Internetkonzerne wie Google, Facebook und Amazon aufstellen. Kein Wunder, dass diese Firmen mitreden wollen.

Transparenz durch Crowdsourcing 

Politische Transparenz soll mit der Hilfe Vieler hergestellt werden. Ein ähnliches Vorgehen brachte schon den Plagiatssuchern von GuttenPlag oder VroniPlag Erfolg. Mehrere Politiker gerieten bereits ins Visier der Plagiatsjäger. Zuletzt gab Annette Schavan ihr Amt als Bildungsministerin auf, nachdem Mängel in ihrer Doktorarbeit festgestellt worden waren.

Die Abkürzung für Plagiat bleibt auch bei LobbyPlag bestehen. Dabei handelt es sich streng genommen gar nicht um geistigen Diebstahl in wissenschaftlichem Sinne. Schließlich zielt die Arbeit der Lobbyisten auf diese Einflussnahme ab. Und genau da sehen die Kritiker das Problem.

Mitunter wortgleiche Kopien

In seinem Blog erklärt Initiator Richard Gutjahr das Problem: „In ihrem Gepäck haben die Interessenvertreter Papiere, die den Volksvertretern dabei helfen sollen, ihre Arbeit schneller und auf Grundlage “besserer” Informationen bewältigen zu können. Viele dieser Unterlagen gehen regelmäßig als “Informationspapiere” per Massen-E-Mail raus. Wirklich wichtige Vorlagen dagegen werden persönlich adressiert und oft so verfasst, dass sie von den Abgeordneten direkt für die eigenen Anträge 1:1 übernommen werden können.“

Dass sich Politiker gelegentlich der Formulierung der Interessenvertreter bedienen, überrascht kaum. Gutjahr sorgt sich um das Ausmaß: „Wo immer mehr Abgeordnete überfordert sind, sei es zeitlich, oder auch sonst, sind Lobbyisten zur Stelle, um das jeweilige Vakuum mit ihren Formulierungen zu füllen.“ Den Blogger treibt dabei vor allem die Beeinflussung des Kräfteverhältnisses um. Schließlich können Multimilliardenkonzerne gezielter Einfluss nehmen als einzelne EU-Bürger.

EU-Abgeordnete wehren sich gegen die Vorwürfe

Die EU-Kommissarin Neelie Kroes widerspricht den Vorwürfen, bei der Neufassung des europäischen Datenschutzrechtes hätten Unternehmensvertreter einen zu großen Einfluss gehabt. "Kein Lobbyist sagt mir, was zu tun ist, weder ein amerikanischer noch irgendein anderer", schreibt Kroes auf ihrem Twitter-Profil.

<blockquote class="twitter-tweet" lang="de"><p>No lobbyist calls my shots: American or otherwise @<a href="https://twitter.com/spragued">spragued</a> @<a href="https://twitter.com/jackschofield">jackschofield</a> @<a href="https://twitter.com/glynmoody">glynmoody</a> @<a href="https://twitter.com/computerworlduk">computerworlduk</a></p>&mdash; Neelie Kroes (@NeelieKroesEU) <a href="https://twitter.com/NeelieKroesEU/status/301042244046188544">11. Februar 2013</a></blockquote>

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Auch der EU-Abgeordnete Alexander Alvaro warnt in einem Interview davor, EU-Parlamentarier pauschal als Spielbälle der Industrie zu verurteilen. Bei Twitter verweist Alvaro darauf, dass auch Vorschläge von Datenschützern in der geplanten Verordnung zum Tragen kommen.

<blockquote class="twitter-tweet" lang="de"><p>@<a href="https://twitter.com/paulnemitz">paulnemitz</a> If lobbyplag.eu seeks transparency it should list all proposals taken, incl from "bits of freedom". Otherwise it's hypocritical.</p>&mdash; Alexander Alvaro (@AlexAlvaro) <a href="https://twitter.com/AlexAlvaro/status/300742065489326080">10. Februar 2013</a></blockquote>

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Tatsächlich fehlen in der Darstellung auf LobbyPlag bislang Hinweise, ob nicht auch Textblöcke von Bürgerrechtsorganisationen und Datenschützern übernommen wurden. (mit dpa)