Peking. . Während des aktuellen Machtwechsels in China ist das internationale Interesse am Land hoch. Wer sich auch abseits großer Ereignisse über das Leben in China informieren will, ist bei “Tea Leaf Nation“ richtig. Die Website berichtet über die Themen, die in Sozialen Netzwerken des Landes hohe Wellen schlagen.

Tee kann in China für vieles stehen. Jeder Taxifahrer hat seinen Teebecher mit Schraubverschluss neben sich. Kritische Journalisten werden von der Staatssicherheit zum Teetrinken herbeizitiert und ins Gebet genommen. Der Name, den sich David Wertime und seine Mitstreiter für ihre Website ausgesucht haben, passt zu beiden Assoziationen: Bei „Tea Leaf Nation“ berichten sie über das „Teeblattland“ China. Über Themen, die mal so alltäglich sind wie eine Fahrt mit dem Taxi, und mal so politisch wie ein kritischer Korrespondentenbericht.

Spannend daran ist die Quelle, aus der Wertime und Kollegen ihre Informationen bekommen. Sie durchkämmen Chinas populäre Mikroblogging-Plattformen nach Einträgen, die intensiv diskutiert oder oft weitergeleitet werden.

Was in Deutschland Twitter ist, ist in China Weibo

Was in Deutschland und anderen westlichen Ländern Twitter ist, ist in China Weibo – wörtlich übersetzt ein „Kleinst-“oder eben „Mikroblog“. Mit dem Unterschied, dass gleich mehre Firmen solche Dienste anbieten, allen voran Sina Weibo, das stramm auf die Marke von 400 Millionen Nutzern zuwächst. Zum Vergleich: Twitter-Nutzer gibt es nach Unternehmensangaben weltweit 140 Millionen.

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Aus den chinesischsprachigen Weibo-Posts werden bei „Tea Leaf Nation“ englische, einordnende Artikel. „Wir haben nur zwei eiserne Regeln“; erklärt Wertime, der das privat finanzierte Portal 2011 zusammen mit zwei weiteren China-Kennern gegründet hat. „Der Artikel muss gut geschrieben sein, und er muss dem Leser etwas über größere Zusammenhänge in China erzählen.“

Auch bei Weibo greift die Staatszensur ein

Vom Foto einer Frau, die sich lächelnd dabei fotografieren lässt, wie sie ein weinendes Kindergartenkind an den Ohren hochhebt, bis zu Berichten über Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten nach dem Tod eines Autofahrers reichen die Fundstücke, die „Tea Leaf Nation“ aus den Sozialen Netzen fischt.

Zwar greift auch bei Weibo-Einträgen immer wieder die chinesische Staatszensur ein. Viele Posts rutschen aber ob der schieren unkontrollierbaren Anzahl auch durch. Experten gehen außerdem davon aus, dass die Zentralregierung manche Kritik bei Weibo auch bewusst durchgehen lässt – damit sich der Volkszorn gegen die Provinzregierungen richtet und nicht gegen Missstände auf höherer Ebene. Weibo als Ventil.

Journalisten nutzen Weibo, um an der Zensur vorbei Details zu veröffentlichen

„Ohne Weibo hätten Chinas Bürger über viele Themen nur ein sehr reglementiertes Wissen“, erklärt Wertime. „Durch das Wachstum Sozialer Medien in China ist es für die Regierung schwerer kontrollierbar, welche Informationen einer internet-affinen Öffentlichkeit zugänglich sind und welche nicht.“ Manche Journalisten, denen die Zensur verbiete, bestimmte Aspekte ihrer Recherchen zu veröffentlichen, seien inzwischen dazu übergegangen, die Details stattdessen über ihren Weibo-Account zu posten.

„Weibos Rolle in China ist sehr viel größer als die, die Twitter in westlichen Ländern spielt“, erläutert Wertime die Macht der Mikroblogs. Während im Westen viele Wege bestehen, an verlässliche aktuelle Nachrichten zu kommen und seine Meinung zu äußern, gibt es in China ein großes Defizit, das Weibo teilweise fülle. Zum anderen haben chinesische Mikroblogs einige Funktionalitäten, die sie besonders debattentauglich machen – nicht zuletzt, weil sich in 140 Zeichen auf Deutsch oder Englisch lange nicht so viel sagen lässt wie in 140 chinesischen Schriftzeichen. „So entstehen bei Weibo quasi spontane Diskussionsforen zu aktuellen Themen.“

Tea Leaf Nation veröffentlicht keine Nutzerzahlen

Nutzerzahlen veröffentlicht Tea Leaf Nation derzeit keine. Man freue sich lieber über die Leser, unter denen prominente China-Experten aus Wirtschaft, Regierung, Journalismus und Wissenschaft seien, heißt es freundlich-unverbindlich.

Bei den Quellen seiner Berichte ist Tea Leaf Nation deutlich transparenter: Wer mit einem Mikroblog-Post oder -Foto in einem Text auf der Seite vorkommt, wird namentlich genannt und verlinkt – mit einer Ausnahme, so David Wertime: „Wenn für den Weibo-Nutzer eine Gefahr davon ausgehen könnte, dass er über ein heikles Thema postet oder dass westliche Medien sein Zitat aufgreifen, dann anonymisieren wir die Quelle.“