Essen. Durch den Facebook-Börsengang werden am Freitag viele reich. Nur einer nicht: Der Erfinder der Internetseite facebook.com. Dies hier ist seine Geschichte.
Die Suche nach dem Erfinder von facebook.com führt nicht ins Silicon Valley oder zu Mark Zuckerberg, die Suche führt in einen kleinen amerikanischen Vorort an der Ostküste der USA. Über Zuckerberg und Facebook gibt es Bücher und einen Hollywood-Film, doch den Erfinder der Webseite hat bislang niemand enthüllt. Das Facebook-Imperium versucht, die Spuren zu verwischen. Wir haben den Erfinder trotzdem gefunden.
Die offizielle Story von Facebook ist ein Heldenepos: Mark Zuckerberg gründete das Netzwerk 2004 an der Harvard-Uni in Boston. Das Konzept: Die Nutzer können sich in einem geschlossenen Netzwerk frei mit ihren Freunden über alles austauschen. Texte, Bilder, Musik, Videos. Kostenlos, weltweit. Ein Konzept, das Gold wert ist. Jeder, der heute Anteile an Facebook hält, wird beim Börsengang ein Vermögen machen. Facebook ist mit bis zu 100 Milliarden Dollar eine der kostbarsten Firmen der Welt.
facebook.com wird registriert, da ist Zuckerberg zwölf Jahre alt
Doch das ist nicht die ganze Geschichte. Die Anfänge der Webseite reichen weit zurück, bis ins Jahr 1997. Als die Seite facebook.com registriert und die Idee vom Online-Netzwerk geboren wurde, war Mark Zuckerberg gerade zwölf Jahre alt. Der Erfinder von facebook.com wohnt heute in einem Vorort von Boston, im US-Bundesstaat Massachusetts. Und er geht leer aus, wenn Zuckerberg & Co. am Freitag Milliarden scheffeln.
Wer die Anmeldung der Domain facebook.com überprüft, stößt auf den 28. März 1997, einen Freitag. Doch nirgendwo steht, wer die Seite angemeldet hat. Zuckerberg hatte sein Imperium 2004 mit der Seite thefacebook.com gestartet. Die bekannte Domain facebook.com gehörte jemand anderem.
Anfragen nach der Vergangenheit der Domain facebook.com beantwortet der Konzern vor dem Börsengang nicht. Eine PR-Agentin aus Hamburg sagt, dass sie aus Amerika zum Schweigen angewiesen worden sei. Zitieren dürfe man sie aber auch mit diesem Satz nicht.
Die Facebook-Chronik jedes Nutzers soll mit seiner Geburt beginnen, auf der Seite von Facebook selbst klafft dort ein Loch. Niemand verrät etwas über die Geburtsstunde von facebook.com.
Der Internetriese kauft ständig Domains. Facebook besitzt tausende Adressen im World Wide Web. Der letzte große Deal: Der Kauf von fb.com im Jahr 2010. Vorbesitzer war ein Landwirtschaftsverband: Die „American Farm BureauFederation“ bekam 8,5 Millionen US-Dollar für ihre Anlaufstelle fb.com.
Die Suche nach dem Vater von facebook.com führt über das Internet. In den Domain-Infos taucht neben dem Namen Facebook die Firma MarkMonitor auf. Frank Schulz ist für Europa zuständig. Bei einem Treffen sagt er, dass MarkMonitor seit einigen Jahren die Domains von Facebook betreue – und die Domains fast aller anderen großen Firmen im Silicon Valley – von Google über Yahoo bis zu Ebay. MarkMonitor kauft Adressen und leitet sie auf die Schlüsselseiten der Firmen um. Dadurch sind die Seiten der Konzerne besser zu finden. Kunden landen auch bei Tippfehlern oder ähnlichen Formulierungen auf den richtigen Seiten. Über sein Business redet Schulz gerne und viel, doch die Frage nach dem Vorbesitzer von facebook.com – der wichtigsten Domain für Facebook – blockt er ab. Wer die Webseite vor 2005 besaß, dürfe niemand sagen. Datenschutz.
200.000 Dollar – statt Milliarden
Der amerikanische Journalist David Kirkpatrick enthüllte 2010 in seinem Buch „The Facebook Effect“: Die Firma „AboutFace Corporation“ verkaufte die Seite facebook.com im Jahr 2005 an Facebook. AboutFace und Facebook verhandelten demnach mehrere Monate über den Deal. Zuckerberg wollte die Domain, um weiter wachsen zu können. AboutFace war grundsätzlich bereit für das Geschäft, wollte die Domain aber nicht gegen Firmenanteile von Facebook eintauschen. AboutFace wollte Bargeld, schreibt Kirkpatrick. Damals war das Bargeld ein Hindernis für das Studenten-Start-Up. Nach einigem hin und her einigten sich die beiden Unternehmen im August 2005 auf einen Deal. Kaufsumme: 200.000 US-Dollar. Facebook zahlte Cash.
Im Nachhinein ist dieser Deal das wohl schlechteste Geschäft, seit es Domain-Handel gibt. Mit dem Börsengang von Facebook ist allein die Web-Adresse facebook.com Milliarden wert.
Doch wer hat den Deal gemacht? Wer steckt hinter AboutFace? Bei Kirkpatrick steht kein Wort dazu. Bleibt die Spur zur „AboutFace Corporation“. Google liefert gleich mehrere Firmen mit identischen Namen in den USA und auch in Kanada. Davon kommen aufgrund ihres Alters nur zwei als ursprüngliche facebook.com-Besitzer in Frage. Weder der kanadische Verein für Kinder mit Gesichtsmissbildungen noch die Unternehmensberatung aus den USA antworten auf Anfragen.
Den Weg aus der Sackgasse bietet die Webseite archive.org. Mit dieser Suchhilfe kann man auf alte Versionen von Webseiten zurückgreifen. Dort tut sich plötzlich eine neue Spur auf: Sie führt zurück nach Boston, in die Stadt der Elite-Universität Harvard. Dorthin, wo auch Zuckerberg sein Imperium schuf. Die Spur führt zu einer alten und längst inaktiven Webseite eines Software-Anbieters mit dem Namen AboutFace.com.
Diese Firma hat eine Software entwickelt, deren Marke ein blaues Logo war. Wer sich bei AboutFace mit einem Benutzernamen und Passwort einloggte, sah die Profile seiner Kontakte und Freunde – von Charlotte, Eva und Walter etwa. In seiner Struktur sah AboutFace.com dem heutigen Facebook verblüffend ähnlich.
Auch das Ziel der Internetseiten war identisch: Mit Hilfe von AboutFace.com sollten sich Mitarbeiter von Firmen oder Schüler an Schulen untereinander vernetzen können. Erfunden wurde diese Software bereits im Frühsommer 1993. Elf Jahre bevor Mark Zuckerberg Facebook gründete.
Der entscheidende Unterschied zwischen der Zuckerberg-Seite und AboutFace? Die Software von AboutFace war kostenpflichtig. Das Zuckerberg-Reich „ist und bleibt kostenlos“, so zumindest steht es auf der Startseite von Facebook. Das kostenpflichtige AboutFace ging unter. Die Umsonst-Seite setzte sich durch. Die Zuckerberg-Seite wächst und wächst. Facebook hat heute fast eine Milliarde Nutzer.
Doch wer hat facebook.com damals für AboutFace registriert? Die Spuren führen über das US-Handelsregister zu Adam Grossman. Dieser gibt im Facebook-Konkurrenten LinkedIn an, er sei Gründer und Chef von AboutFace. Im Juni 1993 studiert Grossman – und gründet seine erste Firma. Die „Atlantic Media Corporation“ stellt gedruckte Jahrbücher für Schulen her. Diese werden im Englischen „facebook“ genannt, sie versammeln Porträts von Schülern und ihren Klassen – mit Hobbys oder besten Freunden. Adam Grossman kennt sich mit Jahrbüchern aus: Er produzierte sie schon während seiner Zeit am Williams College in Massachusetts. Nach seinem Abschluss 1994 will er expandieren und seine „facebooks“ auch anderen Schulen, Hochschulen und Unternehmen anbieten.
“The Electronic Facebook”
Grossman ist erfolgreich, sogar die Harvard-Uni zählt zu seinen Kunden. Nur in Unternehmen ist das Geschäft schwierig. Dort wechseln die Mitarbeiter ständig, die Verzeichnisse sind schnell überholt. Bei jedem Mitarbeiterwechsel ein neues Facebook auf Papier zu drucken, ist den Kunden von Adam Grossman zu teuer. Seine Idee: ein elektronisches Facebook, ein digitales Verzeichnis, in dem jeder sein Profil mit Foto einfach selbst verwaltet. Das ist die Geburtsstunde von „The Electronic Facebook“ – so nennt Grossman sein neues Produkt.
War das auch die Geburtsstunde von facebook.com? Ein Hinweis dafür findet sich auf einer Webseite aus dem Jahr 1998, dort wirbt Grossman für sein elektronisches Mitarbeiterverzeichnis, das Electronic Facebook. Auf einer Unterseite steht die Kontakt-Adresse: info@facebook.com. Grossman selbst vermarktet sein Produkt nur wenige Monate auf facebook.com. Als er „The Eletronic Facebook“ im September 1997 in "AboutFace" umbenennt, zieht er auf die Domain aboutface.com um.
War es Adam Grossman, der facebook.com registrierte?
Im Gegensatz zu Zuckerberg hat Grossman ein abgeschlossenes Studium. 1993 macht er seinen Bachelor in Volkswirtschaft und setzt 2008 noch einen MBA am Massachusetts Institute of Technology oben drauf. Heute arbeitet er bei einer Investmentfirma in Boston. Eines seiner Spezialgebiete: Informationstechnologie. Der dunkelhaarige Familienvater lebt in einem Einfamilienhaus in Brookline, einem Vorort von Boston. Seine Frau und er sind dort in einer religiösen Gemeinde aktiv. Er scheint zufrieden zu sein.
Die gleiche Email – seit 15 Jahren
Im Zuckerberg-Facebook gibt es hunderte Menschen mit diesem Namen. Der Gründer und Geschäftsführer von AboutFace.com ist dort nicht zu finden. Auf Google finden sich über 100.000 Treffer zum Suchbegriff „Adam Grossman”. Nur eine Fährte führt zum richtigen Adam Grossman. Eine alte Email-Adresse aus seiner Zeit bei AboutFace. Adam Grossman benutzt sie seit 15 Jahren.
Die E-Mail-Anfrage an ihn: „Wissen Sie, wer die Domain facebook.com an einem Freitag im März 1997 registriert hat?”
Adam Grossman antwortet:
“That was me.”