Washington. . Das erste Engagement bei Apple endete für Steve Jobs mit dem Rausschmiss und mündeten in Depressionen und Selbstzweifel. Jahre später rettete Jobs das Unternehmen, indem er radikal nutzerfreundliche und einfache Geräte entwickeln ließ.

Obowenga aus Eritrea muss sein nagelneues iPad kurz auf den Bürgersteig legen. Anders kriegt der 24-jährige Student der Wirtschaftswissenschaften aus Ghana die Kerzen nicht angezündet, die er vor der Glasfront des Geschäftes abstellen möchte, das vielen gestern zur Ersatz-Kirche wird. Dann kniet Obo für einen Augenblick nieder, schließt die Augen und betet. Für Steve Jobs.

Die kleine, ruhige Szene, die sich am Mittag vor dem überlaufenen Apple-Store im Washingtoner Universitäts-Viertel Georgetown abgespielt hat, steht beispielhaft für die weltweite Trauer und Anteilnahme nach dem Tod eines Mannes, den der amerikanische Präsident Barack Obama einen der „größten Erfinder unserer Zeit“ nennt und in eine Reihe mit Thomas Edison oder Henry Ford rückt.

Steve Jobs starb an Bauchspeicheldrüsen-Krebs

Steve Jobs, Mitbegründer des Kommunikationsallzweck-Konzerns Apple, der Mann, der in Jeans und schwarzem Rollkragenpullover seit gut zehn Jahren der Welt ein ästhetisch schwerlich zu übertreffendes Spielzeug nach dem anderen unter die Fingerkuppen schob, ist am Mittwoch im Alter von 56 Jahren an den Folgen von Bauchspeicheldrüsen-Krebs in seinem Haus im kalifornischen Palo Alto gestorben.

Er hinterlässt Ehefrau Laurene, drei Töchter, einen Sohn, eines der börsenwertvollsten Unternehmen auf diesem Planeten und jede Menge Fragen. Apple war Jobs. Jobs war Apple. Ohne die Leidenschaft, ja Besessenheit des von seinen leiblichen Eltern, der Vater war Syrer, kurz nach der Geburt 1955 zur Adoption freigebenen Kaliforniers, wäre Apple heute nicht der vielleicht umtriebigste Lebenserleichterer von Millionen von Menschen. „Wie ein Terrorist“, beschreiben nahe Wegbegleiter ihren ehemaligen Chef, habe Jobs der Belegschaft bis tief in die Nacht zugesetzt, um noch perfekter zu machen, was doch bereits perfekt erschien. Nicht aus Boshaftigkeit oder Attitüde. Aus Überzeugung.

Steve Jobs hatte ein Gespür für das, was Menschen brauchen

Steve Wozniak, mit dem Jobs 1976 in der Garage seine Adoptiveltern an den ersten Computern herumschraubte und Apple aus der Taufe hob, beschrieb schon vor Jahren, was den Zen-Bhuddisten Jobs ausmachte. „Steve sieht, was andere nicht sehen. Er hat ein Gespür für das, was kommt. Er weiß, was den Menschen gefallen könnte, lange, bevor sie wissen, dass sie es brauchen.“

Jobs Vision von schlichten, schönen Gegenständen, die das digitale Zeitalter für viele so einfach wie möglich erlebbar machen, zerschellte jedoch zunächst an seinem Ego. Schon 1985, der erste Apple Macintosh war gerade herausgekommen, setzte ihm die noch junge Firma wegen heftiger Streitigkeiten über die Strategie den Stuhl vor die Tür. Jobs verfiel in Depressionen und Selbstzweifel. Nur mühsam gelang die Befreiung.

Dann kaufte er Hollywood-Regisseur George Lucas für vergleichsweise wenig Geld dessen Computergrafik-Abteilung ab. Daraus wurde später Pixar. Vater von Kino-Erfolgen wie “Toy Story”. Jobs lebte wieder auf. Pixar ging an die Börse. Und machte den Bob Dylan-Anhänger zum Milliardär. Als Apple Ende der 90er Jahre in schweres Fahrwasser geriet und vor der Pleite stand, suchte die Firma einen Retter.

Kritik an Arbeitsbedingungen in Apple-Werken

Jobs kam, sah, ordnete sich alles neu und unter. Und siegte. Weil er, wie er später sagen sollte, fortan nur noch das tat, wovon er und einige wenige Getreue selbst bei massivem Gegenwind hunderttprozentig überzeugt waren: radikal nutzerfreundliche und einfache Geräte zu entwickeln, die technologisches Fortschrittspotenzial allein den Bedürfnissen der Kunden unterordnen. So entstand der iPod. So wuchs der Online-Laden iTunes. So kam 2007 das iPhone auf den Markt und weniger Jahre später das iPad.

Neuerungen, die es erlauben, mit den Fingerspitzen Kontakt mit der Welt aufzunehmen. Der Verkauf erreicht dreistellige Millionenzahlen. Um seiner Philosophie Geltung zu verschaffen, steckte Jobs aber auch Kritik ein, die sein Werk streckenweise ins Zwielicht setzt. An den teils katastrophalen Arbeitsbedingungen in den chinesischen Foxconn-Werken, in denen der große Teil der iPhones gebaut wird und wo sich mehrere Beschäftigte aus Überforderung das Leben nahmen, hat sich nach Ansicht von internationalen Beobachtern in der Vergangenheit nicht viel geändert.

Um zu ermessen, von welchem Motto sich Jobs, dessen cholerisches Temperant und Besserwisserei Legende waren, hat leiten lassen, kommt man an einem herrlichen Sommertag im Jahr 2005 nicht vorbei. Ein Jahr nach seiner Bauchspeicheldrüsen-Krebs-Diagnose war Steve Jobs, wie immer mit Nickelbrille und Acht-Tage-Bart als Gastredner an die kalifornische Elite-Universität Stanford geladen worden; einen Steinwurf von seinem Wohnsitz entfernt. Unter freiem Himmel galt es den Abschlussjahrgang zu verabschieden. Oft ein Martyrium für die Zuhörer. Und ein Beispiel für Redekunst, die keine ist.

Steve Jobs sprach offen über den Tod

Jobs war anders. Jobs verknüpfte seine Lebensgeschichte mit der Jugend auf den Stuhlreihen vor ihm. 15 Minuten pure Lebensklugheit, die in diesen Tagen auf vielen Fernsehkanälen zu erleben ist. Detailliert rief er die ersten Tage als Krebs-Kranker und die gedankliche Nah-Tod-Erfahrung in Erinnerung, als die Ärzte ihm zwischen drei und sechs Monaten gaben und ihm rieten, doch besser nach Hause zu gehen und die letzten Dinge in Ordnung zu bringen. Jobs war aber noch nicht fertig.

Dann kam der erste Silberstreif am Horizont, als sich erwies, das Böse ist doch operierbar. „Heute“, sagte Jobs an diesem Sommertag vor sechs Jahren, „geht es mir gut.“ Das Wissen um die Sterblichkeit, die Erkenntnis, dass jeder Tag plötzlich der letzte sein könnte, war ihm Lehre und zugleich Elixier auf dem Weg zu jenen technischen Innovationen, die sein Konzern in der Folgezeit schaffen sollte: “Mich selbst daran zu erinnern, dass ich bald tot sein werde, ist das wichtigste Mittel, das ich je gefunden habe, um die großen Entscheidungen meines Lebens zu treffen”, rief Jobs den ehrfürchtig lauschenden Studenten zu, “denn der Tod ist höchstwahrscheinlich die beste Erfindung des Lebens. Er bewirkt den Wandel. Er entrümpelt das Alte, um Platz zu machen für das Neue.“ Steve Jobs hat Platz gemacht. Zu früh. Wer das Neue bringt, weiß heute noch niemand.