Essen. In „Pokémon Karmesin & Purpur“ trifft eine großartige Spielmechanik mit vielen neuen Ideen auf grafische Probleme.
Pokémon-Fans kennen das: Ein neues Spiel beginnt im Kinderzimmer. Und wer die Treppe runtergeht, verabschiedet sich zunächst von der stets fürsorglichen Mama, bevor er oder sie in die große weite Welt hinauszieht, um Champion der Pokémon-Liga zu werden. Dass die neuesten Editionen der Nintendo-Erfolgsserie ein gewaltiges Handicap haben, wird in exakt dieser Szene sofort deutlich. Denn die Füße unserer Figur verschwinden beim Herabsteigen von der Treppe in ebendieser und werden unsichtbar, nur um zwei Schritte später wieder aufzutauchen.
Der Grafikfehler ist kein Einzelfall. Denn Nintendo hat mit „Pokémon Karmesin & Purpur“ zwei technisch unfertige Spiele auf den Markt gebracht. Nicht nur, dass die offene Spielwelt oft karg wirkt, es gibt in ihr massive Ruckler und pixelige Texturen. Passanten bewegen sich mechanisch wie Roboter statt flüssig wie Menschen, Bäume, Gebäude und auch die mal kleinen, mal riesigen Monster werden deutlich zu langsam ins Bewegtbild geladen.
Pokémon: Erstmals mit offener Spielwelt
Das nervt. Vor allem, weil all das völlig vermeidbar gewesen wäre, hätten sich die Entwickler von Game Freak einfach mehr Zeit gelassen. Dass die Nintendo Switch dazu fähig ist, grafisch hochwertig abzuliefern, bewies schon vor über fünf Jahren „The Legend of Zelda: Breath of the Wild“.
Doch genug gemeckert: Denn wenn man über die technischen Unzulänglichkeiten hinwegsieht, machen die neuen Episoden, die mehr als 100 neue und knapp 300 ältere Pokémon enthalten, richtig Spaß. Dafür sorgt vor allem die (manche mögen unken: lange überfällige) Umstrukturierung des altbekannten Spielprinzips. In bisherigen Teilen bewegten wir uns „nur“ aus der Vogelperspektive durch Städte, Höhlen und Landschaften, fingen wilde und je nach Edition verschiedene Pokémon, machten diese stärker und besiegten unzählige Trainer, um Meister zu werden.
Zwei weitere Story-Pfade
Diesen Handlungsstrang gibt es immer noch – allerdings zusätzlich zwei einschneidende Änderungen. So laufen wir nun in Drittperson-Perspektive mit drehbarer Kamera durch eine offene Spielwelt mit Namen Paldea und haben somit so viele Freiheiten wie nie zuvor. Und: Es gibt zwei weitere Story-Pfade. Kurz nach Beginn des Abenteuers wird die Hauptfigur an einer Akademie vorstellig und lernt dort verschiedene Charaktere kennen.
Zum Beispiel rebellierende Studierende des „Team Star“, ähnlich den „Team Rocket“-Bösewichten in früheren Teilen. Oder Hobbykoch Pepper, der seltene Geheimgewürze benötigt. Diese werden von besonders riesigen Pokémon bewacht, die quer über die Paldea-Region verteilt sind. Aus der Bekanntschaft mit „Team Star“ und Pepper resultieren Aufgaben, die – wenig überraschend – gelöst werden können, indem die jeweils gegnerischen Pokémon im Kampf besiegt werden. Das geschieht in nicht allzu abwechslungsreicher Manier, liefert aber einen Mehrwert im Vergleich zu älteren Editionen.
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Vor allem, weil uns die Reihenfolge, in der unsere Figur die Aufträge erfüllt, selbst überlassen bleibt – zumindest weitgehend. Denn bestimmte Gebiete erreichen wir nur, wenn unser Fortbewegungs-Pokémon Koraidon (Karmesin) respektive Miraidon (Purpur) gewisse Fähigkeiten erlernt. Das geschieht Stück für Stück im Laufe des normalen Spielfortschritts. Ja, es gibt nun nicht mehr das aus alten Pokémon-Episoden bekannte Fahrrad, sondern ein drachenähnliches Monster, mit dem wir durch die offene Welt rasen, über Gewässer schwimmen oder Wände hochklettern. In Kämpfen einsetzen können wir unseren treuen Begleiter allerdings nicht.
Ein Kristall verstärkt Attacken
Damit wären immer noch nicht alle Neuerungen aufgelistet. Unser Charakter kann nun, während er oder sie die Welt erkundet, ein Pokémon einfach per Tastendruck auf wilde Monsterchen loslassen, damit es gegen diese kämpft, Erfahrungspunkte erhält und so schnell ein höheres Level erreicht. Und dann wäre da noch die „Tera-Kristallisierung“, die in Kämpfen eingesetzt werden kann. Dabei legt das Pokémon der Wahl eine Art Kristallpanzer an, der Attacken eines bestimmten Typs verstärkt.
Apropos Typen, von denen es weiterhin 18 verschiedene gibt, die nach Naturgesetzen und Schere-Stein-Papier-Prinzip Vor- oder Nachteile gegenüber anderen haben: Am (rundenbasierten) Kampfsystem selber hat sich nichts geändert – Feuer-Pokémon besiegen beispielsweise leicht Pflanzen-Pokémon, die wiederum ohne große Probleme Wasser-Monster, welche logischerweise klare Vorteile gegenüber dem Typ Feuer haben.
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So muss man dem Entwicklerteam zugute halten, dass es viele kreative Einfälle gibt, um die Pokémon-Historie in ihrer nun schon neunten Generation in Teilen neu zu schreiben. Gute Ideen treffen auf Altbewährtes, die neuen Monster sind liebevoll designt und animiert, das Sammeln und Hochleveln des eigenen Teams bereitet wieder einmal Freude und motiviert langfristig. Wären da nicht die technischen Mängel, für die Game Freak hoffentlich zeitnah verschiedene Updates programmiert.
„Pokémon Karmesin & Purpur“ von Nintendo und Game Freak ist zum Preis von je ca. 60 € exklusiv für Nintendo Switch erhältlich. USK: 6.