Düsseldorf. Ein Sexualforscher erklärt, wie sich das Geschlechterbild verändert hat und wie diese Entwicklung mit der Nutzung des Internets zusammenhängt.
Sexualität ist durch den Porno zum massentauglichen Konsumgut geworden. Schließlich sind Pornos im Internet kostenlos und in einer großen Vielfalt für jeden frei verfügbar. Daher gehört es auch zur Normalität von jungen Menschen sich mit dem Porno sexuell aufzuklären. Im Interview erklärt der Sexologe Prof. Dr. Jakob Pastötter, was für Risiken das Nutzen von Apps wie Tinder birgt, welchen Einfluss der Porno-Konsum auf das Geschlechterbild haben kann und wie Jugendliche sich stattdessen aufklären sollten.
Haben Sie feststellen können, dass sich das Frauenbild junger Männer in letzter Zeit verändert hat?
Prof. Dr. Jakob Pastötter: Natürlich hat es sich verändert und zwar ganz gewaltig. Dafür muss man aber nicht zwei, sondern über vierzig Jahre zurückgehen: Die Einführung der Pille war zwar positiv, aber andererseits sind viele Männer dadurch nicht mehr in der Lage zu verstehen, was selbstbestimmter Sex ist. Als Beispiel: Früher hat der Mann mitaufgepasst, um sich nicht mit einer Schwangerschaft zu verpflichten. Heutzutage denken Männer, dass sie einen Freifahrtschein hätten. Durch die Pille entsteht der Eindruck, Frauen wollten es dauernd besorgt haben. Auch der Porno trägt dazu bei, glauben zu machen, dass Frauen es ununterbrochen wollen.
Der Porno hat einen großen Einfluss auf die sexuelle Bildung von Jugendlichen
Sie haben es gerade schon angesprochen: Pornographie ist überall frei verfügbar, ob in der Werbung oder auf Seiten im Internet. Welchen Einfluss hat denn der Porno auf das Frauenbild von Jugendlichen?
Pastötter: Es gehört zu einem wichtigen Aspekt der Jungenkultur sich heutzutage mit dem Porno aufzuklären. Pornographie, jenseits ob gut oder schlecht, hat einen unheimlichen Einfluss auf die sexuelle Bildung von Jugendlichen. Porno ist eine Botschaft. Er zeigt, wie wir miteinander umgehen und wie Sexualität funktioniert.
Es gibt ja das Klischee, dass vor allem das männliche Geschlecht Pornos schaut. Aber inzwischen geben auch immer mehr Frauen zu, gerne Pornos zu sehen. Sind Pornos nun eher „Jungensache“ oder nicht?
Pastötter: Ja, das kann man so sagen. Es gehört zu einem Aspekt der Jungenkultur sich mit Pornos aufzuklären. Frauen gucken zwar auch Pornos, aber viel weniger. Sie masturbieren auch weniger als Jungen. Männer neigen auch dazu, einen Porno nach dem andern zu schauen. Pornographie ist ja das ideale Konsumgut: Er ist umsonst und zeigt eine unglaubliche Vielfalt. Es gibt über acht Millionen Pornos. Das ist ein Wahnsinn. Wir reden hier nicht über einen Schmuddelfilm, sondern über den ganze Reigen an menschlichen Sex-Verhaltensweisen.
Weibliche Sexualität wird ausgeschlossen
Und was macht den Porno für Jugendliche so problematisch?
Pastötter: Der Porno dient nicht nur dazu, sich zu befriedigen, sondern er zeigt Bilder, die sich einprägen. Er führt vor, was Sex ist und dass das schon so richtig ist, was da passiert. Es wird dort eine Form von weiblicher Sexualität gezeigt, die nicht auf Konsens aufgebaut ist. Er sagt nicht, was sich für die Frau gut anfühlt, sondern er gibt rohe Verhaltensmuster vor. Damit ist die dargestellte Sexualität einseitig. Es ist ein Irrglaube zu denken, dass ein 12-Jähriger in der Lage ist, das Gesehen einzuordnen. Das Konsumieren von Pornos erfordert ein Mindestmaß an Lebenserfahrung. Wer bereits Erfahrung hat, weiß was Realität ist und was nicht. Pornos wären weniger problematisch, wenn Jugendliche nicht als Erstes und ausschließlich mit Pornographie in Kontakt kämen.
Das hört sich alles doch sehr negativ an. Ist die legale Pornografie damit auch frauenverachtend?
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Pastötter: Eher im Sinn von Frauen nicht beachtend. Sie spielen als Frau keine Rolle und füllen nur eine Phantasiefunktion aus. Pornos wollen Frauen nicht mit Absicht schlecht machen, sondern sie zeigen nur ein sehr eingeschränktes Bild von ihr. Es entsteht damit eine Kultur unter Ausschluss des Weiblichem als Charaktereigenschaft.
"Wir haben eine Krise von gesunder Männlichkeit"
Kulturkritiker fürchten ja schon länger, dass unter Jugendlichen eine verdorbene "Generation Porno" heranwachsen könnte…
Pastötter: Das größere Problem ist, dass wir in einer überwiegend vaterlosen Gesellschaft leben. Nicht nur das Frauenbild ist ein Problem, auch das Männerbild ist eins. Wir haben eine Krise von gesunder Männlichkeit an sich. Der Porno füllt und bestätigt diese Lücke und sie wird immer stärker.
Inwiefern ist das Männerbild der Gesellschaft denn ein Problem?
Pastötter: Die Männlichkeit befindet sich in einer Krise. Männer fehlen vor allem in der Erziehung. Wir haben heutzutage viele alleinstehende Mütter und egal ob im Kindergarten oder in der Grundschule: Dort sind es in der Regel Frauen, die die Erziehung übernehmen. Dadurch fehlen den Kindern männliche Vorbilder. Das ist für Mädchen und Jungen gleichsam problematisch, weil sie nicht wissen, was es bedeutet ein Mann zu sein. Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage stellen, was ein Mann ist und wie er sein sollte.
Aber dann könnte man doch annehmen, dass gerade die Präsenz von Frauen in der Pädagogik dazu führt, dass Jungen schon früh ein positives Frauenbild mit auf den Weg bekommen?
Pastötter: Nein, weil es keine Gleichwertigkeit hat. Frauen befinden sich als Erzieherin oder Lehrerin nur in einer Wachposition und so werden sie auch von den Jungen wahrgenommen. Daher gibt es zum Beispiel auch Machos, selbst wenn die Mutter noch so nett ist. Denn spätestens in der Pubertät wird es ein Problem. Der Junge will seine Grenzen austesten, dann kommt es zum Konflikt mit der Mutter.
Jugendliche sollten Apps wie Tinder meiden
Wie könnte man Jugendliche denn dann besser aufklären?
Pastötter: Sexualaufklärung wie sie heute abläuft ist dröge. Sexualpädagogik ist zwar wohlmeinend, aber sie läuft in den Schulen nur verbal ab. Dort ist man nett miteinander und damit zu sehr auf die Bedürfnisse der Mädchen konzentriert. Wir meinen, Quasseln sei Erziehung, dabei muss es hier mehr über das Visuelle laufen. Das hat wieder etwas mit der männlichen Kommunikation zu tun. Im Pädagogischen herrscht eine viel zu hohe Bewertung von Weiblichkeit, es wird zu wenig auf die Bedürfnisse von Jungen eingegangen und stößt bei ihnen damit nicht auf fruchtbaren Boden.
Und was könnte helfen der jungen Generation wieder ein positiveres Frauen- bzw. Männerbild zu vermitteln?
Pastötter: Ein Ausweg wäre wieder mehr reale Erfahrung untereinander zu machen. Orte an denen sich Jungs und Mädchen gegenseitig erleben können. Das wäre notwendig. Dass man sich als gleichwertige Partner kennenlernt, die man respektiert. Das sind Dinge, die sich nicht einfach verbal verordnen lassen.
Jeder dritte Jugendliche schickt laut einer ‚Safer-Internet'-Studie Nacktbilder von sich auf Handys weiter. Wieso betreiben so viele junge Leute dieses sogenannte „Sexting“?
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Pastötter: Es ist eine Mischung aus Grenzüberschreitung und Tabubruch. Und zum anderen spielt das Vorgreifen eine Rolle. Nacktsein kommt in einer Beziehung sonst relativ spät. Die Bilder greifen dem vor. Die Leute müssen nicht mehr warten. Aber gerade das Schöne an der Sexualität ist ja das Warten. Je mehr ich warte und nur ein bisschen getriezt werde, desto reizvoller werden Sexualität und Liebe.
Auch bei der Dating-App Tinder wird ein extremer Fokus auf das äußere Erscheinungsbild und auf ungezwungene sexuelle Begegnungen gelegt. Welche Risiken birgt so eine App für Jugendliche?
Pastötter: Auf den dargestellten Bildern präsentiert man sich meistens sexy. Man reduziert sich selber, um große Wirkung zu entfalten. Jugendliche sollten daher den Kontakt über Tinder vermeiden. Durch gemeinsame Erfahrungen, das ist das wie wir Menschen uns kennen lernen sollten – dann kann ein echtes Kennenlernen funktionieren.