oberhausen. . Schon Zwölfjährige schicken sich per Handy Pornos zu. Gewalttätige Bilder führen immer öfter zu übergriffigem Verhalten unter Jugendlichen.
Die Zeit drängt: Völlig unbemerkt von vielen Eltern sehen sich schon Kinder Gewalt- und Sex-Filme per Handy an. „Nur wenige Zwölfjährige haben noch keinen Porno gesehen“, weiß Andreas Müller. Der Leiter von Pro Familia schlägt Alarm – und erhält dabei Unterstützung von Dr. Angela Klinger, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.
Zahlreiche Anfragen nach sexualpädagogischen Gruppenveranstaltungen, besonders von Gesamtschulen und Gymnasien, hatten Pro Familia 2016 erreicht. „Wir führten insgesamt in fast allen Schulformen 65 Gruppenangebote durch und erreichten damit 811 Schüler“, erläutert Müller. Dabei stieß der Sexualpädagoge auf ein zunehmendes Dauerproblem: „Die Jungs schicken sich über ihre Handys Pornos zu.“ Die Bilder, die sie dort sehen, gingen ihnen nicht aus dem Kopf. „Gewalt spielt in diesen Filmen eine Rolle, Frauen werden als Objekte benutzt.“
Eine Darstellung mit Folgen, wie Diplom-Pädagogin und Pro Familia-Mitarbeiterin Susanne Kaltwasser in den parallel stattfindenden Mädchengruppen erfährt. „Da beschweren sich zunehmend mehr Mädchen darüber, von Jungs bedrängt zu werden.“ Übergriffiges Verhalten unter Jugendlichen nehme zu. „Eben weil die Jungen ein völlig falsches Bild im Kopf haben.“
Liebe und Zärtlichkeit
Andreas Müller hilft durch Aufklärung: „Ich mache den Schülern der Jahrgangsstufen sechs bis neun klar, dass nahezu alle Pornos nur von Männern gemacht werden.“ Dann fragt er die Jugendlichen, wie wohl ein Sexfilm wäre, der auch einem Mädchen gefallen würde. „So fangen die Jungs an nachzudenken, sprechen plötzlich von Liebe und Zärtlichkeit.“
Von der Not ihrer Söhne und Töchter bekommen die Eltern meist nichts mit. „Das ist ja ein Alter, in dem es peinlich ist, mit seinen Eltern über so etwas zu sprechen“, sagt Susanne Kaltwasser.
Wichtig sei es, den Kontakt zu den Kindern zu halten, betont Dr. Angela Klinger. Die Kinder- und Jugendtherapeutin sieht die Eltern in der Pflicht: „Die Begrenzungsmöglichkeiten, die es bei fast jedem Gerät gibt, werden oft gar nicht genutzt.“ Und so zeigten manchmal sogar schon Kindergartenkinder ein stark sexualisiertes Verhalten. „Weil sie beim unbegrenzten Surfen im Netz zufällig auf Bilder gestoßen sind, die sie kognitiv nicht verstehen können, die ihnen Angst machen und die sie nachspielen, um sie zu verarbeiten.“
Handy wegnehmen ist keine Lösung
Angela Klinger warnt: „Je öfter ich etwas sehe, desto normaler wird es für mich.“ Das führe in letzter Konsequenz zu falschen Vorstellungen und Verhaltensweisen. Kindern und Jugendlichen das Handy wegzunehmen, sei aber keine Lösung. „Darüber laufen heute so viele soziale Kontakte, dass man die Kinder isolieren würde.“ Stattdessen sollten die Sicherheitseinstellungen mit guten Passwörtern geschützt werden – und die Eltern mit ihren Kindern sprechen. „Mit ,das darfst du nicht gucken’, ist es nicht getan“, sagt Klinger. Besser sei es, die Kinder über das, was sie da sehen, aufzuklären und nachzuhaken, wie sie sich mit diesen Bildern in ihrem Kopf fühlen.
Andreas Müller fordert auch von den Schulen mehr Engagement. „Medienkompetenz sollte endlich ein Unterrichtsfach werden.“ Das sei längst überfällig.