Hamburg.. Das Fahrradhelm-Urteil des schleswig-holsteinischen Oberlandesgerichts löst Empörung aus. Das Gericht hatte einer Radfahrerin eine Mitschuld an ihren Unfallfolgen zugesprochen. Die Radfahrer-Lobby will die Entscheidung anfechten. Eine Helmpflicht dürfe nicht durch die Hintertür kommen.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) will das Urteil zur indirekten Helmpflicht für Radfahrer zu Fall bringen. "Das ist nicht in Ordnung und darf auch nicht so stehen bleiben", sagte der ADFC-Bundesvorsitzende Ulrich Syberg der "Rheinischen Post" am Mittwoch. Nach einer Entscheidung des schleswig-holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) in Schleswig hat ein Radfahrer, der keinen Kopfschutz trägt, bei einem Sturz nach dem Zusammenstoß mit einem anderen Verkehrsteilnehmer eine Mitschuld - wenn das Tragen eines Helms die Kopfverletzungen vermieden oder gemindert hätte (Az. 7 U 11/12). Das gilt nach Ansicht des OLG auch dann, wenn sich der Unfallgegner verkehrswidrig verhalten hat.

Ein Helm ist für Fahrradfahrer bislang keine Pflicht - sie tragen aber trotzdem besser einen, um eine Mitschuld bei einem Unfall auszuschließen. "Gerade aufgrund von Kopfverletzungen können Betroffene lebenslang invalide sein", sagte die Hamburger Verkehrsrechtsanwältin Daniela Mielchen. Als Folgekosten könnten mehrere Hunderttausend Euro zusammenkommen.

"Man hat eine Mitschuld im Ausmaß des eigenen Schadens"

Mielchen zufolge kann Fahrradfahrern, die keinen Helm tragen, eine Mitschuld an eigenen Kopfverletzungen zugesprochen werden, obwohl in Deutschland keine Pflicht zum Tragen eines Fahrradhelms besteht. "Wenn man durch sein Verhalten seinen eigenen Schaden vergrößert hat, kann man dies nicht in voller Höhe beim Gegner geltend machen", erklärte die Verkehrsrechtsanwältin. "Man hat eine Mitschuld am Ausmaß des eigenen Schadens." Allgemein bedeutet das: Bringen sich Verkehrsteilnehmer fahrlässig in Gefahr, haften sie unter Umständen für Schäden - selbst wenn sie kein Recht gebrochen haben.

Im konkreten Fall hatte sich die Klägerin eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung zugezogen, als sie wegen einer plötzlich geöffneten Autotür stürzte. Die Richter sahen einen Mitverschuldensanteil von 20 Prozent, weil sie keinen Helm getragen hatte. Es könne "grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird", hieß es.

Dann seien 90 Prozent der Radfahrer keine verständigen Menschen, sagte ADFC-Bundesvorsitzender Syberg. Der ADFC will die Klägerin nun dabei unterstützen, die Entscheidung per Revision beim Bundesgerichtshof aufheben zu lassen, wie der Vorsitzende ankündigte.

Helmpflicht für Motorradfahrer gibt es erst seit 1976

Mit dem OLG-Urteil werde eine Teilschuld auf eine schwächere Verkehrsteilnehmerin abgewälzt, obwohl diese sich nicht falsch verhalten habe, kritisierte Syberg. Der ADFC wehre sich gegen die Einführung einer Helmpflicht durch die Hintertür. Studien aus anderen Ländern belegten, dass eine Helmpflicht viele Menschen vom Radfahren abbringe und es für die verbliebenen Radler noch gefährlicher werde. Das Gericht argumentierte, ohne Helm setze man sich im Straßenverkehr auf dem Fahrrad einem besonderen Verletzungsrisiko aus. Man könne davon ausgehen, "dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird".

Neu ist diese Argumentationsweise in der Rechtsprechung nicht. Bereits 1965, als es noch keine Helmpflicht für Motorradfahrer gab, entschied der Bundesgerichtshof nach einem Motorradunfall ähnlich: Es könne davon ausgegangen werden, dass sich ein "allgemeines Verkehrsbewusstsein dahingehend ausgebildet hat, dass dem Schutzhelm größte Bedeutung zur Abwehr und Minderung von Unfallverletzungen zukommt", zitiert Mielchen die Entscheidung von damals. In diesem Fall habe der betreffende Motorradfahrer durch eigenes Verhalten, also dem Fahren ohne Helm, den Schaden vergrößert. Erst 1976 sei die Helmpflicht für Motorradfahrer eingeführt worden, sagte Mielchen.

Im Fall der Fahrradfahrerin ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, weil das schleswig-holsteinischen Oberlandesgericht die Revision zugelassen hat. Der Fall könnte damit vor den Bundesgerichtshof kommen. (dpa)