Essen. Clean Meat, das klingt zu schön, um wahr zu sein. Doch Fleisch aus dem Labor ist weder vegan noch frei von Tierleid. Das steckt dahinter.
- In-Vitro-Fleisch entsteht durch eine Vermehrung von Tierzellen in einem Bioreaktor
- Das Kunstfleisch soll die ethischen und ökologischen Probleme der herkömmlichen Produktion lösen
- Noch fehlen den Wissenschaftlern Studien, um die Umweltwirkungen einzuschätzen
- In der EU ist In-Vitro-Fleisch noch nicht erhältlich
Lebensmittel aus dem Bioreaktor oder dem 3-D-Drucker sind schon lange keine Science-Fiction mehr. Vor wenigen Wochen erst stellte das US-Lebensmittelunternehmen Eat Just in Singapur seine neueste Generation von Hähnchenfleisch vor, das aus Stammzellen gezüchtet wurde. Den ersten Burger aus künstlich hergestelltem Rindfleisch gab es in den Niederlanden schon 2013 - zu einem Preis von über 250.000 Euro.
Clean Meat gilt als Revolution der Fleischerzeugung
Fleisch aus dem Labor hat inzwischen viele Namen: Cultured Meat, In-vitro-Fleisch oder Clean Meat. Für viele Menschen ist es der Ausweg aus Tierleid, industrieller Massentierhaltung und klimaschädlicher Produktion. Denn tatsächlich wäre es die Revolution der Fleischerzeugung: Das Fleisch wächst aus den Zellen der Tiere in einem Bioreaktor heran, Tiere müssten nicht mehr über Monate gemästet werden, um sie dann zu schlachten. Doch so einfach ist das mit der Revolution noch nicht.
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Hinter dem Laborfleisch steckt ein Verfahren, das sich „Tissue Engineering“ nennt, auf Deutsch Gewebekonstruktion oder Gewebezüchtung. Dafür gebraucht wird Muskel- und Fettgewebe von Tieren, das unter lokaler Betäubung entnommen wird. Aus dem Gewebe werden vermehrungsfähige Stammzellen gewonnen.
"Echte" Steaks brauchen Zellgerüste aus dem 3-D-Drucker
In einem Behälter wachsen sie in einem Nährmedium zu einer Masse zusammen, die Hackfleisch ähnelt. Um neben Burger-Patties oder Nuggets auch „echte“ Fleischstücke oder Steaks herstellen zu können, werden dreidimensionale Gerüstsubstanzen gebraucht, auf denen die Zellen wachsen können, etwa Chinin oder Kollagen. Im kleinen Maßstab funktioniere dies bereits gut, eine Massenproduktion aber sei noch nicht möglich, so die Einschätzung von Ernährungsexperten und Verbraucherschützern.
Auf dem Papier scheint die Idee von der Herstellung in Bioreaktoren einleuchtend, denn die traditionelle Fleischerzeugung bringt viele Probleme mit sich – ethische wie ökologische. Wie nachhaltig aber ist Fleisch aus dem Glas („in vitro“) wirklich?
Nährmedium aus dem Blut von Kälberföten
Ein genauer Blick zeigt: Weder ist das Hightech-Lebensmittel vegan oder vegetarisch, noch frei von Tierleid. In-vitro-Fleisch besteht aus tierischen Zellen, vegan kann es daher nicht sein. Das größte Problem ist das Nährmedium, in dem die Zellen wachsen. Es wird aus dem Blut von Kälberföten gewonnen. Das ungeborene Kalb stirbt bei der Entnahme. Nährlösungen aus Pilzen, Hefen oder Algen könnten in Zukunft Alternativen dieser Nährlösung sein.
Noch aber sei die Produktion zu teuer und zu energieaufwändig, so das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE). Solange aber für das Nährmedium Tiere sterben müssten, sei der Begriff „Clean Meat“ irreführend, kritisiert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).
Überhaupt fehlen Daten. Da In-Vitro-Fleisch noch nicht in industriellen Mengen produziert wird und somit so gut wie keine unabhängigen Aussagen zum CO2-Ausstoß sowie Energie- und Wasserverbrauch vorliegen, sind die Umweltwirkungen aus Sicht der Wissenschaftler kaum einzuschätzen.
Für viele Entscheidungen fehlen Studiendaten
Vergleichsstudien, die sich auf Schätzwerte stützen, sehen bei der Züchtung von Rind- und Schaffleisch im Labor eine geringere Klimabelastung als bei herkömmlich erzeugtem Fleisch. Bei In-Vitro-Schweinefleisch und Geflügel jedoch sei der Energieverbrauch höher als bei der konventionellen Methode. Das Umweltbundesamt hat auf dieser Seite frühe Studien bis 2019 zusammengefasst.
Aus Sicht der Wissenschaftlicher kann auch noch nicht belegt werden, dass Laborfleisch gesünder ist. Experten halten die Produktion unter kontrollierten Bedingungen im Labor zwar für weniger keimanfällig. Doch auch den Zellkulturen müssten teilweise Antibiotika zugesetzt werden, um Infektionen zu verhindern. Stand der Wissenschaft aber ist: Ein hoher Konsum von konventionellem Fleisch gilt als ungesund. Ein häufiger Verzehr von rotem Fleisch steigere etwa das Risiko für Darmkrebs.
Upside Foods erhält grünes Licht in den USA
Start-ups und Biotech-Firmen aus den USA (Eat Just, Upside Foods), Israel (Aleph Farms) und den Niederlanden (Mosa Meat) forschen mit Hochdruck. Als bislang einziges Land der Welt hat Singapur Ende 2020 Fleisch aus einem Bioreaktor eine Zulassung erteilt. Dort darf es der Verbraucher in einem exklusiven Klub konsumieren.
Auch in den USA soll das bald möglich sein. Vor wenigen Wochen erklärte die oberste Lebensmittelbehörde FDA erstmals im Labor gezüchtetes Fleisch als für den menschlichen Verzehr geeignet. Dabei handelte es sich um zellgezüchtetes Hühnerfleisch des kalifornischen Unternehmens Upside Foods. Alle Fragen seien geklärt, der Verzehr sei unbedenklich, erklärte die FDA. Nun muss auch das US-Landwirtschaftsministerium grünes Licht geben. Upside Foods erzeugt neben Fleisch auch Meeresfrüchte direkt aus tierischen Zellen.
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Für „Clean Meat“ ist der Weg in die Supermärkte Europas allerdings noch weit. In der EU fällt zellbasiertes Fleisch in die Kategorie Novel Food. Die dort gelisteten „neuartigen Lebensmittel“ müssen vor einer Marktzulassung umfangreiche Tests bestehen. Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA prüft die Sicherheit der Produkte, ehe auf Zulassung entschieden wird. Zuvor muss dann auch geklärt sein, ob In-vitro-Fleisch überhaupt als „Fleisch“ für den Verbraucher gekennzeichnet werden darf.
EU-weit noch kein Antrag auf Zulassung von Laborfleisch
"Ja es wird sicherlich Verbraucher geben, für die In-Vitro-Fleisch die Lösung sein wird", sagt Christiane Kunzel, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale NRW. "Ob sich aber die Mehrheit der Verbraucher dafür interessieren wird, ist aus heutiger Sicht schwer einzuschätzen."
Der Markt jedenfalls wird auf die Proteinalternative aus dem Labor noch warten müssen: Nach Angaben der Bundesregierung hat bislang noch kein einziges Unternehmen einen Antrag auf Zulassung gestellt.