Herne. Die rund 16.000 Nutzer der Facebook-Gruppe „Pottsteine“ wollen mit kleinen Kunstwerken auf Steinen den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Viel Platz bleibt nicht auf dem großen Holztisch im Wohnzimmer, wenn Petra Ebbinghaus ihre Malsachen auspackt. Dutzende bunte Stifte stehen bereit, dazu Fläschchen mit Lacken und Tuben voll Farbe. Nur eines hat die Hernerin nicht: eine Leinwand.
Die 53-Jährige verziert Steine mit verschiedenen Motiven und ist damit eine von rund 16.000 Facebook-Nutzern, die sich in der Gruppe „Pottsteine“ tummeln. Gemeinsam wollen sie Farbe ins Revier bringen und wildern deshalb ihre kunstvollen Kiesel aus. Der Finder eines solchen Pottsteins greift anschließend nicht selten selbst zum Pinsel.
Ein gefundener „Pottstein“ ließ Hernerin kreativ werden
So hat es auch bei Petra Ebbinghaus angefangen. Vor sechs Monaten fand sie ihren ersten Pottstein. „Sie sollen jemandem ein Lächeln ins Gesicht zaubern und genau so war es bei mir“, erinnert sie sich. „Dieses gute Gefühl wollte ich weitergeben.“ Kurz danach kramte sie die alten Malfarben ihrer Tochter hervor und legte los.
Mit eher mäßigem Erfolg. „Am Anfang macht man erstmal alles falsch“, sagt sie und lacht. Viele Versuche, dem Stein ein bisschen Farbe zu verleihen, scheiterten. Filzstifte quittierten auf der rauen Oberfläche schon nach den ersten drei Strichen den Dienst. Farben aus der Tube ließen sich besser auftragen, hielten aber keinem Tröpfchen Regen stand. Erst der Griff zur Acrylfarbe ließ die kleinen Kunstwerke leuchten. Sie ist Petra Ebbinghaus’ erste Wahl, ob nun aus der Tube oder in Form eines Markers. Versiegelt wird der Stein zum Schluss noch mit Klarlack.
Gemeinschaft auf Facebook
Bei der Wahl der richtigen Farben haben der Hernerin die alten „Pottstein“-Hasen in der Facebook-Gruppe geholfen. In der Gemeinschaft geben sich die Hobby-Künstler gegenseitig Tipps, und auch Freundschaften entwickeln sich dabei. „Es gibt auch einige Regeln beim Bemalen“, erklärt Ebbinghaus. „Bei der Gestaltung der Pottsteine soll auf Glitzer, Pailletten oder diese aufklebbaren Wackelaugen verzichtet werden.“
Der Grund dafür ist recht einfach. Die Kunstwerke landen schließlich nicht im Rahmen, sondern in der Natur. Aufgeklebte Dinge können von den Steinen auf den Waldboden purzeln und von neugierigen Tieren gefuttert werden. Kunst trifft ja bekanntlich nicht jeden Geschmack, allerdings sollte sie auch nicht schwer im Magen liegen.
Steine sind auch von weitem gut zu sehen
Selbst ohne viel Chichi lassen sich die oft faustgroßen Pottsteine im Vorbeigehen oder vom Rad aus gut sehen. Teilweise sogar ein bisschen zu gut. „Es gibt tatsächlich Ecken, da warten die Menschen nur darauf, dass Steine dort ausgelegt werden. Aber das ist keine Schnitzeljagd. Du findest nicht den Stein, der Stein findet dich“, sagt Petra Ebbinghaus.
Deshalb verrät sie vor dem „Auswildern“ auch keinem, wo genau sie die Kiesel-Kunstwerke platziert. Nur ein Bild davon lädt sie vorab in der Facebook-Gruppe hoch. Weit hat sie es in die nächstgelegne Freiluft-Galerie nicht – nur einen Steinwurf von ihrem Herner Zuhause entfernt gibt es gleich mehrere Waldgebiete.
Beim Ausflug sind die Taschen voll
Beim Ausflug über Stock und Stein hat Petra Ebbinghaus die Taschen voll. Zehn bis 15 Kunstwerke werden bei guten Wetter ausgesetzt. Und nicht nur das. Bei der Tour werden gleich neue, noch nackige Findlinge mit nach Hause genommen. „Ich bremse auch für Steine“, erklärt sie und lacht.
Sollte das Wetter keine Ausflüge erlauben, bleibt noch der Gang zum Baumarkt. Die Steine landen erstmal im Garten. Und auch jetzt liegt da ein kleiner Haufen, der saubergemacht und verschönert werden will.
„Malen kann jeder!“
Ziel ist es dabei nicht, in Picassos Fußstapfen zu treten. „Jeder kann malen, ob gut oder schlecht sei mal dahin gestellt. Aber darum geht es nicht. Die Steine sollen Menschen eine Freude machen und das klappt auch mit herrlich buntem Kindergekritzel.“
Eine Blaue Schaffensperiode, wie der Meister des Kubismus sie einst hatte, erlebt Petra Ebbinghaus allerdings auch. Die Grundierung in leuchtendem Blau ist auf dem eiförmigen Stein endlich trocken. Nur der Hauptakteur der Szene ziert sich anscheinend noch. Nach einer weiteren abendlichen Mal-Session wird sich ein comichafter Udo Lindenberg vor den blauen Kacheln unter der Dusche schrubben. Mit Hut und Sonnenbrille versteht sich – dafür aber mit nacktem Po.
Ein Stein für Udo Lindenberg
Das neckische Motiv hat sie schon mehrmals gemalt. Ein Stein ging an die Freundin mit einem Faible für den Panik-Präsidenten. Der andere an Lindenberg höchstpersönlich. „Ich habe ihm noch einen Zettel mitgeschickt und ihn gebeten, ein Bild des Steins doch bei uns in der Facebook-Gruppe zu posten.“ Bisher gab es noch keinen Post von Udo Lindenberg, seines Zeichen Eierlikör-Künstler. „Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.“
Neues Futter für die Facebook-Gruppe gibt es mehrmals täglich. Jeder, der über einen Pottstein stolpert, wird mit den Worten „finden, freuen, posten“ auf der Rückseite des Findlings gebeten, einen Schnappschuss im Sozialen Netzwerk hochzuladen. „Oft erzählen die Finder dann eine Geschichte zum Stein. Das ist das Schönste“, findet Ebbinghaus. Nach dem Posten können die Steine entweder an anderer Stelle ausgesetzt oder behalten werden. Und wer weiß, vielleicht schenkt die Hernerin mit einem ihrer Kunstwerke dem Finder ja einen „Stein des Anstoßes“. Aber Vorsicht: „Es macht ein bisschen süchtig.“
Die Anfänge der Trends:
Den Stein ins Rollen brachten vier Damen aus dem Revier: Stefanie Vedder und ihre Töchter Tatjana und Michelle sowie Jessika Grigat. Sie geben nun als Administratoren der Facebook-Gruppe Tipps.
Die Aktivistin Megan Murphy startete 2015 das „Kindness Rocks Project“. Der Trend aus den USA schwappte nicht nur ins Revier, auch ins Sauerland (u.a. „Sauerlandstones“) und an den Niederrhein (u.a. „Niederrhein Rocks“).