Essen. . Bei Kräutertouren zeigt Biologin Ursula Stratmann, was vermeintliches Unkraut zu bieten hat – und wie es sich verwerten lässt.
Mannshoch sind die gelb blühenden Pflanzen und so dicht gewachsen, dass sie wie eine Mauer aus Unkraut am Wegesrand wirken. Eine Handvoll Wagemutiger traut sich heran, rupft goldgelbe Blüten ab – schnuppert, beäugt. Mit fragendem Blick wenden sie sich der Frau in ihrer Mitte zu. „Das ist die Riesen-Goldrute aus Nordamerika“, stillt Ursula Stratmann (60) den Wissensdurst und fügt hinzu: „Wirkt wunderbar als Nieren- und Blasentee.“ Einige der Umstehenden notieren sich diese Infos. Die Kräutertour als Freiluft-Seminar.
Es gibt viel zu entdecken an diesem Nachmittag an der Ruhr. Alle Hundert Meter verweilt die Biologin und Kräuterexpertin, um sich eine Gruppe von rund 30 Menschen geschart, und erzählt. Von Pflanzen, die am Wegesrand wachsen und gedeihen, ohne dass sich jemand groß um sie schert.
Kräutertouren liefern verblüffende Erkenntnisse
Obwohl sie durchaus verblüffend sind, wie etwa die Bachblüte Impatiens. „Man nennt diese Bachblüte auch Springkraut.“ Wieso? „Weil die Samen bis zu sieben Meter weit springen“, liefert Ursula Stratmann die Erklärung und ermuntert zur Kostprobe der kleinen Körner, die optisch an Sesam erinnern. Was denn, probieren? „Nussig“, attestiert Teilnehmerin Anne dem Wildwuchs mit geschlossenen Augen eine überraschende Note, „schmeckt gut“.
Verzogene Minen und das Nachspülen mit Wasser lassen bei der nächsten Natur-Kost erahnen: Der Gundermann kommt beim Geschmackstest weniger an. Heiko bestätigt den Eindruck: „Lecker ist es jetzt nicht, erinnert eher an Ziegenkäse.“ Aber: Sehr gesund, wie die Frau vom Fach erwidert. „Drei Blätter Gundermann am Tag und du wirst nie wieder krank“, zitiert sie eine Bauernweisheit und verrät: Im gemischten Salat sorgen die geschmacksintensiven Blätter für Abwechslung. Einige Stängel Gundermann wandern in die Papiertüten der Wissbegierigen – auch bei Heiko, „zum Ausprobieren zu Hause“.
Für die verrücktesten Dinge gut
Während sie der Gruppe strammen Schrittes vorausgeht, erklärt Ursula Stratmann, dass sie mit ihren Kräutertouren die Vielfalt der Pflanzenwelt aufzeigen möchte. „Und manchmal“, sagt sie und bleibt stehen, „sind Pflanzen für die verrücktesten Dinge gut“. Der japanische Staudenknöterich lässt sich etwa zu einem Musikinstrument umfunktionieren.
Die kräftigen Stängel des sogenannten Ruhr-Rhabarbers sind von innen hohl und eignen sich zum Reinpusten, wie bei einer Panflöte. Ein Beutel mit handlichen Stücken des Staudenknöterichs geht rum – und sofort ertönt ein spontanes Flötenkonzert.
Als die Töne verstummen, berichtet Ursula Stratmann von der Wirkung des Ruhr-Rhabarbers: „In der traditionellen chinesischen Medizin wird er gegen Bluthochdruck und Cholesterin verabreicht.“ Ähnlich wie der handelsübliche Rhabarber lasse sich der Staudenknöterich zu Kompott einkochen. Wieder werden Zettel und Stifte gezückt: Diese Erkenntnisse schmecken den Pflanzen-Pilgern.
Schon gewusst?
Vitamine. Wildkräuter verfügen in der Regel über einen deutlich höheren Vitamingehalt als handelsübliches Gemüse. Zum Vergleich: Roher Brokkoli kommt bei 100 Gramm auf 114 Milligramm Vitamin C, die Brennnessel enthält 333 Milligramm, das Gänsefingerkraut 402 Milligramm.
Tinktur. Mit leichten Mitteln lässt sich aus so gut wie jedem Kraut eine konzentrierte Tinktur herstellen, die je nach Pflanze eine bestimmte Wirkung hat. Auf 100 Gramm klein geschnittene, frische Kräuter kommen 500 Milliliter Schnaps (Wodka o.ä.). Nach drei Wochen in der Sonne die Kräuter raussieben und die Tinktur in einem dunklen Tropffläschchen aufbewahren.
Blüten. Es gilt zwar nicht für alle, aber einige Blüten sind essbar. Beinwell, Stiefmütterchen, Bärlauch, Dahlie, Mohn, Rose, Gänseblümchen und Veilchen zählen zu den Pflanzen, die essbare Blüten haben. Ein optischer Hingucker für jedes Gericht.