Essen. Rettungsgasse? Die Hälfte der Autofahrer hat laut einer Umfrage keine Ahnung, wie sie eine Rettungsgasse bilden sollen. Für Helfer katastrophal.
Eine Rettungsgasse kann lebenswichtig sein. Doch viele Autofahrer wissen nicht, wie sie im Notfall eine Rettungsgasse bilden sollen. Dr. Wilfried Abel ist der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes in Oberhausen. Er weiß, wie das ist, wenn seine sechs großen Rettungsfahrzeuge und/oder die beiden kleineren Notarztwagen mit Blaulicht und Martinshorn den Weg durch den Stau suchen müssen, um rechtzeitig Menschenleben zu retten.
„Wahnsinn“ sagt er. „Auf zweispurigen Autobahnen funktioniert das. Aber schon auf dreispurigen wissen die Leute nicht mehr, wohin. Nach rechts? Nach links? Oder sie sind durch Musik abgelenkt, haben die Kopfhörer auf oder haben ganz einfach vergessen, was sie in der Fahrschule zur Rettungsgasse gelernt haben“.
Rettungsgasse? Autos stehen "kreuz und quer auf der Fahrbahn"
Der Kölner Feuerwehr-Sprecher Jörg Seemann sieht das genau so: „Dann stehen sie kreuz und quer auf der Fahrbahn und versperren uns den Weg“. Peter Meintz vom ADAC Westfalen berichtet, das zu knappe Auffahren in staubedrohten Streckenabschnitten mache im Notfall nicht mal mehr das Rangieren und das Ausweichen möglich. „Da geht nichts mehr“.
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Es geht oft gar nicht um Verkehrsunfälle. Die meisten Einsatzfahrten, 15 000 im Jahr alleine in Oberhausen und 1,4 Millionen jährlich in NRW, führen zu medizinischen Notfällen, bestätigt Abel. Aber gerade diese Einsatzzahlen steigen, und die Fahrten zu den hilfsbedürftigen Menschen dauern immer länger. Denn das Verkehrsaufkommen insgesamt nimmt zu. Nordrhein-Westfalen meldet 270 000 Kilometer Stau-Stillstand im Jahr. So wird ein mangelndes Gefühl für die Notfall-Helfer oder das fehlende Wissen, wie den Einsatzfahrzeugen Platz zu machen ist, zum Problem.
So funktioniert die Rettungsgasse
Der ADAC hat jetzt repräsentativ die Bundesbürger gefragt: Wie müssen Sie sich im Stau verhalten, um die Rettungsfahrzeuge durchzulassen? Das Ergebnis der Umfrage schockiert: Gerade 53 Prozent der Befragten wissen, dass im Stau grundsätzlich eine Rettungsgasse freizuhalten ist - und wohin sie auszuweichen haben.
Wie also müssen sich die Autofahrer in Sachen Rettungsgasse verhalten? In Paragraphen 11 Absatz 2 der Straßenverkehrsordnung heißt es dazu: „Stockt der Verkehr auf Autobahnen und Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung, so müssen Fahrzeuge für die Durchfahrt von Polizei- und Hilfsfahrzeugen in der Mitte der Richtungsfahrbahn, bei Fahrbahnen mit drei Fahrstreifen für eine Richtung zwischen dem linken und dem mittleren Fahrstreifen, eine freie Gasse bilden“.
In Österreich sind die Regeln eindeutiger
Der Text erscheint zunächst klar. Der Wortlaut hinterlässt aber schon bei vier Spuren in einer Richtung eine offene Frage: Gehört die Rettungsgasse dann in die Mitte - oder doch rechts neben den äußerst linken Fahrstreifen? Das Ausland macht es besser. Die österreichischen Vorschriften zum Beispiel sind eindeutiger. Sie lauten: Die Rettungsgasse muss grundsätzlich rechts von der linken Fahrspur gebildet werden, unabhängig von der Fahrspurzahl.
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Wenn jeder zweite Fahrer in der entscheidenden Situation nervös wird und hilflos bleibt, wird dies fatal in einem Bundesland wie NRW. In der Staustatistik liegt es bundesweit auf Platz 1 - vor allem wegen der der Enge auf der A 1 (Köln-Dortmund), der A 46 (Düsseldorf-Wuppertal) und der A 57 (Köln-Krefeld). Auch andere Autobahnen sind kaum leerer. Die Folge: Der Oberhausener Rettungsdienst hält sich derzeit an die Regel, wonach für innerstädtische Einsätze keine Autobahnen wie die A 40 oder die A 42 genutzt werden dürfen - obwohl diese manchmal die kürzere Anfahrt darstellen. Der Rettungsdienstleiter fügt aber hinzu: Noch sei das so. Die Beschränkung werde zunehmend schwierig. Auch die Stadtstraßen seien verstopft.
Wo ist der Ausweg aus dem Rettungsgassen-Dilemma?
ADAC-Mann Meintz sieht das Dilemma zwar grundsätzlich in Fehlern der Verkehrspolitik in der Vergangenheit. In Nordrhein-Westfalen habe sich die Landesregierung aus ideologischen Gründen mit Bau und Ausbau der Autobahnen zurückgehalten – mit der Folge, dass jetzt die Stau-Zahlen weit über dem Bundesdurchschnitt lägen. „Früher waren die Staus vielleicht ein Kilometer lang. Heute sind sie fünf Kilometer“. Bayern habe sicher klüger gehandelt. Aber er gibt auch die zentrale Schuld dem fehlenden Wissen der Autofahrer.
Wo ist der Ausweg? In mehr Information, sagen die Experten einstimmig. Wie kann diese Information vermittelt werden?
Österreich setzt bei Rettungsgassen auf Schilder
„Das Bewusstsein für die Rettungsgasse muss wieder geweckt werden“, fordert Abel. „Es gibt nicht genug Aufklärung. Große Tafeln wie in Österreich wären gut“. Österreich geht tatsächlich den Weg der massiven Beschilderung. An vielen Autobahnbrücken hängen Transparente, die auf die Pflicht zum Rettungsgasse-Bilden schon beim Entstehen eines Staus hinweisen. Peter Meintz glaubt aber, dass dies an Rhein und Ruhr schon am Geld scheitern werde, weil Straßen.NRW nicht über einen ausreichenden Etat dafür verfüge.
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Der Oberhausener Wilfried Abel wie auch der Fahrlehrer Jörg Holtmann, der sich jüngst bei „Spiegel Online“ rabiat äußerte („Die Autofahrer sind verantwortungslos“), plädieren zudem nicht nur in Sachen Rettungsgasse für eine Rückkehr von TV-Formaten wie „Der 7. Sinn“, das den Menschen einmal pro Woche eine Art Verkehrsunterricht gab. 2012 hat das sogar der damalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) gefordert. Bisher lehnen die Sender dies ab.