Essen. Wie verändert sich die moderne Arbeitswelt? Gedanken zu Akademisierung, lebenslangem Lernen und der immer stärker gefragten „Work-Life-Balance“.

Ein Studium hat nicht unbedingt die bessere soziale Absicherung zur Folge, aber immer noch das bessere Sozialprestige. Vielleicht ist das der Grund, warum auch heute noch Eltern Kinder selbst dann zum Studium drängen, wenn ihre praktischen Fähigkeiten ganz offensichtlich ihre Lernfähigkeit in Sachen Theorie überragen. Ob aber jemand nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Fachkraft wird, hängt heute eben nicht vom Hoch- oder Fachhochschulstudium ab.

Dass die Abiturientenquote in Deutschland seit den 5 Prozent von 1950 auf 50 Prozent im Jahr 2020 angestiegen ist, halten manche für eine Entwertung des Abiturs, andere erklären damit gesenkte Anforderungen. Das ist vielleicht nicht völlig abzustreiten – viel wichtiger ist, dass eine gute, umfassende Schulbildung immer wichtiger geworden ist, und zwar für immer größere Teile der arbeitenden Bevölkerung. Ohne Abitur gibt es weder bei der Polizei noch bei der Sparkasse eine Ausbildung. Höchstens als Hausmeister. Wobei die „Facility Manager“ von heute vielleicht doch mit komplexeren Problemen zu kämpfen haben als der Schul-Hausmeister des Jahres 1950.

Kenntnisse und das Lernen lernen

Überhaupt: Auch Ausbildungsberufe wie der eines Installateurs erfordern heute eine andere Grund-Bildung als noch vor Jahrzehnten, als es weder Brennwerttechnik noch Apps für die Steuerung der Heizung gab. Und diese Grundbildung benötigt zweierlei: Zum einen Kenntnisse, nicht nur in Physik und Elektronik, sondern auch in Informatik. Zum anderen aber brauchen auch viele handwerkliche Berufe Menschen, die nicht nur Zahlen, Daten, Fakten, Regeln gelernt haben, sondern auch das Lernen.

Dass das Lernen heute ein Leben lang dauert, ist keine Floskel: Die alten Menschen, die ohne Computerzugang zunehmend von lebenswichtigen Dingen ausgeschlossen sind, empört es vielleicht nur deshalb zu Recht, weil sie mit einer anderen Vorstellung aufgewachsen, erwachsen sind: Dass man etwas in der Schule lernt, dann noch in der Ausbildung, aber das reicht dann für ein ganzes Leben.

Pauken, Üben, Auswendiglernen

Lernen hieß damals auch noch: Pauken, Üben, Auswendiglernen. Heute ist es immer wichtiger geworden, das Lernen zu lernen. Und sich Dinge, die neu sind, wenn es darauf ankommt, selbst anzueignen. Der technische Fortschritt bedeutet mehr denn je, dass einer, der die Lehre absolviert hat, noch längst nicht ausgelernt, sondern erst mal ein Fundament gelegt hat für das, was darauf aufbaut. Und die Technisierung bedeutet auch, dass es mit „Learning by Doing“, dem automatischen, beinahe mühelosen Lernen im Arbeitsalltag nicht getan ist.

Junge Menschen, die vor der Berufswahl stehen, haben heute allerdings auch viel mehr Anforderungen unter einen Hut zu bringen als früher. Damals ging es vielleicht noch um die Auswahl zwischen einem sicheren, aber langweiligen Büro-Job und einem vielleicht riskanten Weg ins Arbeitsleben, der dafür aber ganz andere Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten bot.

Schreckenswort und Faulpelz-Verdacht

Heute fragen sich junge Menschen oft, ob sie die angestrebte Tätigkeit wirklich 40 oder 50 Jahre (die sie angesichts der demografischen Entwicklung wohl werden arbeiten müssen) mit Freude angehen können. Sie fragen danach, ob sie die Arbeit erfüllen kann und genügend Abwechslung bietet. Und sie fragen nach dem, was für Vorgesetzte, Führungskräfte und und manche Personalabteilungen heute schon als Schreckenswort gilt, das einen gewissen Faulpelz-Verdacht nach sich zieht: „Work-Life-Balance“. Also die Frage, ob es die Möglichkeit gibt, zwischendurch mal eine Auszeit für Kinder oder längere Abenteuerurlaube zu nehmen, ob es leicht ist, die Wochen-Arbeitszeit zu verkürzen, freie Frei- oder Montage zu nehmen.

Sorgen und Belohnungen

Derlei Wünsche zu äußern, zeugt von einem Mentalitätswandel in der Jugend; es zeugt aber auch davon, wie sehr sich der Arbeitsmarkt vom Angebots- zum Nachfragemarkt wandelt. Wer in den 70er-Jahren mit dem Schreckgespenst der ersten Massenarbeitslosigkeit sozialisiert wurde, wer an den berühmten Heerscharen von Taxifahrern mit Lehramts-Examen lernen musste, dass es sogar eine Akademiker-Arbeitslosigkeit geben kann, war zeitlebens erst mal froh über einen halbwegs sicheren Arbeitsplatz und würde es vielleicht bis heute nicht wagen, Bedingungen dafür zur stellen, zur Arbeit kommen zu dürfen. Aber vielleicht ist es, aus Arbeitnehmer-Sicht, nur gerecht, wenn es für die Leistung eines lebenslänglichen Lernens auch eine Belohnung im Arbeitsleben gibt.