Essen. Clueso hat die Zwangspause nicht untätig verbracht: Der Sänger ist Teil von „Sing meinen Song“ auf Vox. Ab Sommer geht’s auch endlich auf Tour.

Dass er seit fast 20 Jahren auf der Bühne steht, kann Sänger Clueso selbst nicht so recht glauben. Herausforderungen gibt’s für den 42-Jährigen, der eigentlich Thomas Hübner heißt, aber auch noch nach Jahrzehnten im Geschäft: Nach zwei Jahren darf der Erfurter im Sommer und Herbst endlich auf seine lange angekündigte Tour – zumindest ist der Songwriter optimistisch, dass es endlich klappt und er seine aktuelle Platte „Album“ endlich live vorstellen darf. Was ihn schon vor ein paar Wochen nach Essen geführt hat, warum er endlich bei Vox’ Tauschkonzert mitmischt und wie Musik bewegen kann, erzählte er Maxi Strauch im Interview.

Kaum zu glauben: Vor 17 Jahren habe ich „Kein Bock zu geh’n“ rauf und runter gehört.

Clueso: Ach krass. Ich hatte jetzt vor kurzem Geburtstag und mir fällt immer mehr auf, wie alt ich geworden bin. Zum Beispiel bin ich bei „Sing meinen Song“ der Älteste. Jetzt sagst du, du hast meine Musik schon vor 17 Jahren gehört … Oh mein Gott!

Oh, ich wollte dir nicht die Laune vermiesen.

Nein, quatsch. Ich selbst fühle die 42 Jahre einfach null. Aber dann höre ich es immer mal wieder und denke, na ja, okay, so ist es eben. (lacht)

Trotzdem: Alles Gute nachträglich! Und du hast deinen Geburtstag in Essen verbracht und das Hotel Shanghai wiedereröffnet. Wie war’s?

Es war hammermäßig, absolut. Dreimal mit der Abrissbirne durch den Laden gerannt. Da ist nichts mehr stehengeblieben. Mein Bruder hat es aber auch echt drauf und unterstützt mich. Er legt nur Elektro auf und ich eher weniger. Aber das läuft dann super zusammen. Das hat unglaublich Spaß gemacht.

Du hast allerdings kein Konzert gegeben, sondern bist als DJ aufgetreten. Wie kam es dazu?

Ich habe vor sieben Jahren mit einem Freund angefangen, immer mal wieder aufzulegen. Dann haben wir gemerkt, es kommen zu viele Clueso-Leute. Da war das Feeling: Wir kommen und machen Fotos mit Clueso. Das fand ich doof. Ich habe dann den Namen geändert und jetzt hat sich das eingegroovt. Heißt: Ich mache das schon eine Weile. Wir haben mit Moonbotica gespielt, auf dem Parookaville haben wir aufgelegt …

Steht etwa ein Karrierewechsel an?

Wenn die Leute uns buchen ... Wir sind käuflich! Allerdings scheiße teuer (lacht). Nein, sind wir nicht. Bis jetzt haben wir das für Freunde gemacht und Leute, die wir schon kannten. Ich glaube nicht, dass ein Karrierewechsel drin ist. Ich würde mich aber auch nicht wehren, wenn es jetzt abgeht.

Und das Singen an den Nagel hängen?

Niemals! Ich würde dann eher zweigleisig fahren und einfach ein bisschen Platz machen.

Wie war es für dich, nach so langer Zeit mal wieder in einem vollen Club zu stehen – ohne Maske?

Beängstigend. In der Gruppe hat auch gerade einer geschrieben, dass er einen positiven Test hat. Jetzt müssen wir uns alle schnell testen. Das ist natürlich die Kehrseite. Auf der anderen Seite bin ich jemand, der auch sehr ausgelassen feiern kann. Mir hat es total gefehlt. Diese Euphorie. Wenn sich Leute anschreien und mit dem Finger aufeinander zeigen, obwohl man sich noch nie im Leben gesehen hat. Das ist doch total geil.

Corona hat dich, wie so viele in deiner Branche, hart getroffen. Deine Tour wurde mehrmals verschoben. Bist du optimistisch, dass es im Herbst endlich stattfindet?

Wenn jetzt nicht noch acht Varianten kommen, dann wird das auf jeden Fall stattfinden. Ich merke, es ist ein anderer Drang auf die Karten als am Anfang. Als wir die Nachricht rausgegeben haben, das war ja noch vor der Pandemie, gingen so viele Karten weg. Und jetzt stagniert es. Ich kann es auch verstehen. Aber ich kann versichern: Die Show wird krass.

Jetzt steht aber erst einmal ein anderes Projekt an. Du bist Teil von „Sing meinen Song“ und auch direkt Thema der ersten Folge.

Ich freue mich sehr, weil’s wirklich wahnsinnig toll geworden ist. Ich habe mich jahrelang gewehrt, die haben sehr oft angefragt …

Ach ja?

Es gab zwei Gründe: Ich war zu dem Zeitpunkt immer gerade noch nicht fertig mit einem Album, ich war immer mitten in der Produktion. Und ich hatte Schiss, dass ich dadurch eine Deadline bekommen würde. Zu so einer Möglichkeit kein fertiges Album zu haben, ist scheiße. Da hätten mir alle reingeredet. Und das wollte ich nicht. Und das zweite ist, ich bin nicht so kokett, ich bin nie lange im Fernsehen. Ich springe mal aus dem Hut und verschwinde wieder. Aber ich will nirgendwo sitzen und heulen. Da hatte ich ein bisschen Angst vor.

Und, hast du geweint?

Wenn man da sitzt und gespiegelt wird und ein Song kommt, der einem selber etwas bedeutet … Ein Song zum Beispiel wurde auf der Beerdigung meines Opas gespielt, weil meine Familie das wollte. Ich wollte das selbst gar nicht und da hatte es mich zerhauen. In der Sendung hat ihn jemand auf eine besondere Art und Weise gespielt, da kann man sich nicht wehren, da kommen die Tränen. Aber wir haben mit Würde geheult. (lacht) Es war wirklich schön.

Kannst du etwas verraten? Welches deiner Lieder hat dich umgehauen?

Das ist hart. Ich weiß gar nicht, ob ich spoilern darf. Aber Lotte hat mich umgehauen, weil sie eine abgespeckte, sehr runtergebrochene Version von einem Song gemacht hat, den man – wie ich eingebildet sagen muss – so wie er ist nicht besser machen kann (lacht). Aber sie hat eineinhalb Minuten allein auf einer E-Gitarre gespielt, da hat’s mich tief getroffen. Aber jeder hat sich so tierisch Mühe gegeben …

Extremer Themenbruch, aber in jedem Fall noch erwähnenswert: Du hast eine ukrainische Flüchtlingsfamilie aufgenommen. Wie kam es dazu?

Ich finde den Bruch gar nicht so krass. Wir reden gerade über eine Sendung, in der wir alle eine gute Zeit haben und uns freuen. Und die Leute denken: Wie kann man das jetzt in der Zeit machen? Das geht trotzdem. Es zeigt auf, dass viele im Hintergrund ihre Berühmtheit nutzen, um sich für etwas einzusetzen. So viele versuchen zu helfen, auch wenn sie auf eine Party gehen, Spaß haben und einen Aperol Spritz in der Sonne trinken.

Wie kommt ihr zurecht?

Ich versuche gerade ein paar Wörter auf Russisch zu lernen. Weil alle drei nicht so gut Englisch sprechen. Ich müsste eigentlich Ukrainisch lernen, aber das ist mir gerade zu verwirrend. Ich hatte früher mal Russisch in der Schule. Das hilft jetzt ein bisschen. Es ist eine krasse Situation. Man fühlt sich wahnsinnig hilflos. Man will gerade nur, dass es aufhört. Ihr Mann ist noch dort und wir beten jeden Tag.

Möchtest du als gutes Beispiel vorangehen?

Eigentlich wollte ich es gar nicht erzählen, weil mir das auch zu kokett war. Wir haben beim Friedenskonzert in Berlin „Sound of Peace“ gespielt und da meinte Katharina, die Mutter: „Ich kann jetzt hier nicht einfach rumsitzen, ich möchte mit.“ Und sie wollte gerne etwas singen, und dann hat sie auf der Bühne einen ukrainischen Song gesungen. Das war sehr emotional.

Was sagst du zu dem Vorwurf, dass Musizieren gegen den Krieg ist wie das Klatschen für die Pflegeberufe – nett, aber davon wird’s auch nicht besser?

Das sehe ich anders. Erst einmal bin ich mit einer Familie hier, die Regen über dem Kopf hat, während die Sonne scheint. Du willst raus damit, den Leuten das sagen, ein Zeichen setzen. Deshalb war es mir auch wichtig, sie mitzubringen. Es waren ja Menschen aus der Ukraine vor Ort, deshalb hinkt der Vergleich. Du versuchst, Leuten Hoffnung zu geben, ein Zeichen zu setzen. Du machst auch der Politik Druck, wenn da so viele Leute zusammenkommen.

Also kann Musik etwas bewegen?

Wir haben mal eine echt doofe Version von „Do They Know It’s Christmas?“ gemacht (Anm. d. Red. Das „Band Aid 30“-Projekt für den Kampf gegen das Ebola-Virus in Afrika, 2014). Da hätte man vielleicht lieber einen neuen Song schreiben sollen. Aber nichtsdestotrotz haben die so viel Kohle gemacht, dass es geholfen hat, das Virus teilweise einzudämmen und dass Menschen gerettet wurden! Egal, wer irgendwas sagt: Wenn du nur zwei, drei Leuten geholfen hast, war es das wert.

>>> Info: Clueso – Album Tour 2022, 8.7. Dotrmund (20 Uhr, Westfalenpark), 23.9. Köln (20 Uhr Lanxess Arena). Karten ab ca. 50 € gibt’s hier (Dortmund) und hier (Köln)