Essen. Die Modelleisenbahn erfreut sich wieder steigender Beliebtheit. Nicht nur, aber auch weil der Lockdown den Menschen Zeit für das Hobby beschert

Von den traditionellen Hobbys der Deutschen ist wohl kein anderes so eng mit Weihnachten verknüpft, wie die Beschäftigung mit der Modelleisenbahn. Die Miniaturlok nebst Waggons und Gleisoval war einst der Klassiker unter dem Weihnachtsbaum – für den Knaben, versteht sich. Für Mädchen gab’s Puppen samt passender Küche. Schließlich denken wir an die 50er- und 60er-Jahre, als man kein Gender, aber Tender kannte. Jenes, das Elvis besang, und jenen, den die Dampflok zog, darin die Kohle fürs eigene Fortkommen mit sich führend. Womit wir wieder beim Thema wären.

Modelleisenbahn vs. Videospiele

Die Modelleisenbahn war es, die Filius und Vater einst strahlend vereinte – erst vor dem Christbaum, dann auf dem Teppich, bald im Bastelkeller. Doch Moden und Trends ändern sich, auch auf den Wunschzetteln. Spätestens mit dem Siegeszug der Videospiele Ende der 80er war die Modelleisenbahn abgehängt in der Jugendgunst. Und wohl bereits seit jenen Jahren wird es totgesagt, das Hobby auf kleinen Gleisen – oder zumindest sein baldiges Aussterben prognostiziert.

Hersteller im Aufwind

Kennt man ja, vergessen Sie’s – das wird noch was dauern. Im Moment stehen Modelleisenbahnen sogar wieder richtig unter Dampf. Und das liegt weniger am Weihnachtsfest, sondern an einem Virus, dessen Name hier so kurz vor dem Fest einfach mal verschwiegen werden soll. In Lockdown-Zeiten haben viele Menschen schlicht wieder mehr Zeit, sich ihren Hobbys zu widmen.

Doch die Beliebtheit von kleinen Loks & Co. nahm nicht erst mit der Pandemie neue Fahrt auf. Bereits seit ein paar Jahren gehe die Entwicklung stetig nach oben, weiß etwa Ulrich Brobeil vom Deutschen Verband der Spielwarenindustrie. „Den Herstellern ist es gelungen, das Hobby stärker zu emotionalisieren, einen Imagewandel zu erreichen und neue Zielgruppen jenseits der klassischen Klientel anzusprechen.“

Heile Welt im Miniformat

Und nun, wo die Menschen erneut zuhause bleiben sollen, weil draußen die Ansteckung droht, profitiert die Modelleisenbahn besonders. Denn schon immer ging es beim Gestalten eines miniaturisierten Gleisverkehrs in idealer Landschaft auch um das Schaffen einer heilen Welt – und das ist gerade jetzt Labsal für die Seele. Anders gesagt: In Liliput kennt man kein Covid, und auf dem Bahnsteig von Glückstadt muss niemand Maske tragen.

Viele Neueinsteiger belegen Service-Hotline

Dass sich aktuell vermehrt auch Neueinsteiger dem kleinen Gleisverkehr widmen, bekommt Marktführer Märklin in seiner Service-Hotline zu spüren. „Es gibt extrem viele Leute, die sich neu mit dem Hobby beschäftigen und Aufbauhilfe brauchen“, sagt der Geschäftsführende Gesellschafter Florian Sieber. Der gestiegenen Nachfrage dank Corona (jetzt ist es doch passiert ...) stand das Virus an anderer Stelle wieder im Wege: Die Märklin-Fabriken am deutschen Stammsitz Göppingen und in Ungarn standen im Frühjahr über Wochen still.

Etwas mehr Glück hatte der thüringische Hersteller Piko. Die Produktion in Sonneberg und China sei wegen der Krise nur etwas nach hinten verschoben worden, sagte Vertriebschef Jens Beyer. „Wir versuchen, das bis Jahresende aufzuholen.“ Die Monate Oktober bis Januar sind aus seiner Sicht die wichtigsten für die Branche – wegen des Weihnachtsgeschäfts, weil die Menschen in der kalten Jahreszeit mehr Zeit drinnen verbringen und dann in ihre Modelleisenbahnen investieren.

Günstiger Einstieg ins Hobby

Das kann auch Willi Breidenbach bestätigen, der in der Region regelmäßig Spielzeug- und Modellbaumärkte veranstaltet: „Das Hobby zieht in den kalten Monaten immer an – im Frühjahr, Sommer und Herbst haben viele genug zu tun mit Garten und Haus. Im Winter geht man dann in den Keller oder auf den Dachboden.“ Auf seinen Märkten, die derzeit auch vom Lockdown betroffen sind, lockt der günstige Einstieg ins einst teure Hobby: „Früher, als ich Kind war, hat eine gute Lok 70 Mark gekostet. Und da hat ein Arbeiter 350 Mark im Monat verdient – das war richtig teuer. Heute kriegt man die Sachen schon relativ günstig. Damals gab’s nur den Fachhandel, heute kann man auf Märkten und im Internet auch massenweise gebrauchte Sachen einkaufen“, so der 70-Jährige.

Männer zwischen 40 und 70

Dass es gleichwohl nicht die Jugend ist, die plötzlich Gamingkonsole und Tablet wegwirft, um kleine Loks aufs Gleis zu setzen, weiß Dieter Giersch, Vorsitzender des Vereins „Modell-Eisenbahn-Freunde Gelsenkirchen“, der im Keller einer Grundschule Anlagen in den Maßstäben 0 und H0 betreibt. „Es sind hauptsächlich Ältere, die das Hobby wiederentdecken, Männer zwischen 40 und 70.“

Digitalisierung im Bastelkeller

Wieder oder neu entflammtes Interesse am Hobby führt Giersch auch darauf zurück, dass sich die Technik entwickelt hat: „Einige Leute haben mehr Spaß daran gekriegt, seit das Ganze digitalisiert worden ist.“ Brauchte bei der analogen Anlage jeder Zug seinen eigenen Stromkreis, können digital diverse Züge über eingebaute Decoder individuell angesteuert werden. „Das Ganze kann man auch mit dem Computer verbinden, um zum Beispiel komplexe Verkehrsabläufe zu programmieren und fahren zu lassen“, so der 69-Jährige.

Die Eisenbahn im Schaufenster

Dieter Giersch ist als Modelleisenbahner also stets mit der Zeit gegangen. Geweckt wurde die Leidenschaft aber auch bei ihm als kleiner Junge an Weihnachten: „Mein Onkel hatte eine Kohlenhandlung, Buschmann in Gelsenkirchen. Da war es Tradition, dass zu Weihnachten im Schaufenster eine Modelleisenbahn aufgebaut wurde. Das hat mich infiziert und irgendwann hab’ ich dann meine erste eigene Anlage bekommen.“