Köln. „Not good at playing lovesongs“ heißt die fünf Lieder umfassende EP von Kamrad. Zwei Songs haben es bereits an die Chartspitze geschafft.
Man kommt an ihm so gut wie nicht vorbei, zumindest, wenn man hin und wieder das Radio anschaltet. Aus eigener Erfahrung: Spätestens beim dritten oder vierten Lied dröhnt Kamrad aus den Lautsprechern. Tim, der seinen Nach- zum Künstlernamen umfunktioniert hat, bescherte den deutschen Radiostationen im vergangenen Jahr mit „I Believe“ einen Ohrwurm tauglichen Dauerbrenner. Auch der zweite Song „Feel Alive“ landet zuverlässig auf sämtlichen Playlists. Mit neuer EP, die gestern erschienen ist, geht der 26-Jährige auf Tour, sein einziges NRW-Konzert in Köln ist ausverkauft. Mit Maxi Strauch sprach der Velberter über Umzugspläne, One-Hit-Wonder und Mathe.
Dein EP heißt „not good at playing lovesongs“ – wo drin bist du denn gut?
Kamrad: Ich weiß es gar nicht. Ich versuche immer gut darin zu sein, das Leben mit einem Lächeln zu sehen bzw. positiv durchs Leben zu gehen. Ich glaube, ich bin nicht immer gut darin, aber das versuche ich zumindest, weil das eine Sache ist, die ich ganz wichtig finde. Und generell glaube ich dann doch, dass Musik mein größtes Talent ist. Auch wenn ich selber sage, dass ich nicht gut im Liebeslieder schreiben bin, glaube ich, dass da dann doch mein Talent am konzentriertesten ist.
Gibt’s denn eine versteckte Fähigkeit, die noch keiner kennt?
Ich kann auf jeden Fall sagen, kochen oder Fußballspielen ist es nicht (lacht). Aber es gibt eine Sache, die eigentlich fast ein bisschen peinlich ist: Ich bin gut in Mathe, war ich zumindest mal. In der Schule mochte ich Mathe und hatte auch wirklich Spaß daran. Mittlerweile passiert es in meinem Leben nicht mehr so viel. Da bin ich auch ganz froh drüber.
Apropos Schule: Du hast dein Abitur mit 0,8 abgeschlossen, hast dann Ingenieurwesen studiert, es dann aber für die Musik abgebrochen. Haben deine Eltern da nicht die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen?
Mit Sicherheit, aber nicht so sehr mir gegenüber, sondern eher ein bisschen versteckt. Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Und ich glaube auch, in dem Moment ist es einfach nicht förderlich, wenn dann die Familienseite Kontra gibt. Es ist ja eine bewusste Entscheidung gewesen, um einfach das zu machen, worauf ich Lust habe.
Gab es denn einen Plan B, falls es nicht klappt?
Einen realistischen Plan B gab es nie. Deshalb war es dann noch mal ein paar Jahre lang nicht immer nur schön, es war auch echt beängstigend, kann man sagen. Wenn man dann wirklich damit konfrontiert ist, seine Miete nicht bezahlen zu können und merkt, alle Freunde, die den Weg des Studiums gegangen sind, sind jetzt fertig. Die fahren in den Urlaub und ich kann nicht mitfahren, weil ich das Geld dafür nicht habe. Meine Eltern mussten einen Kredit für mich aufnehmen, damit ich weitermachen kann. Aber es hat sich trotzdem immer richtig angefühlt.
Wie war es für dich, mit Mitte 20 wieder von den Eltern abhängig zu sein? Hat dich das sehr unter Druck gesetzt?
Auf der einen Seite war es natürlich eine Erleichterung, überhaupt die Möglichkeit zu haben, weiterzumachen und ich bin unfassbar dankbar dafür, dass das passiert ist. Meine Eltern haben das nie mit großem Druck verbunden. Also es war nie eine Bedingung daran geknüpft, nach dem Motto: „Wenn du jetzt das Geld von uns bekommst und das klappt nicht, dann musst du aber studieren“, oder sowas. Sondern es war einfach: „Wir machen das, weil wir das unterstützen wollen“, und das hat den Druck erst mal rausgenommen. Aber es war schon schwer, in dem Alter noch mal von den Eltern extrem abhängig zu sein und zu wissen, ich habe jetzt zwei andere Menschen da mit reingezogen, die auch nicht mit Geld um sich werfen, sondern das mit Mühe aufgenommen haben.
„I Believe“ ist dann durch die Decke gegangen und wurde einer der am meisten gespielten Radiosongs 2022. Wie viel Lust hast du noch, den Song live zu spielen?
Bei anderen Künstlern dachte ich auch immer: Mein Gott, der spielt jetzt jedes Mal diesen Song. Das kann doch keinen Spaß mehr machen … Aber ich bin auch noch nicht an dem Punkt angekommen, wo es mich auch nur ansatzweise nervt. Natürlich höre ich den Song nicht jeden Tag privat. Aber live ist es was ganz anderes. Tatsächlich fangen wir in unseren Sommersets mit „I Believe“ an und enden auch damit. Es kommt also sogar zweimal vor und es ist bei beiden Malen immer so ein schöner Moment. Es ist jedes Mal eine Party.
Wie fühlt man sich denn so als Shootingstar?
Ich sage immer, dass sich alles verändert hat und nichts, und das ist auch ganz schön. Es ist tatsächlich alles anders, weil natürlich mein Song im Radio läuft. Überhaupt, dass Leute Songs von mir kennen. Ich darf das jetzt noch viel viel intensiver machen als vorher, und irgendwie lebt man so ein bisschen diesen Traum. Privat ist aber alles gleich geblieben bei mir. Ich wohne immer noch in meiner kleinen Heimatstadt, bin mit meiner Freundin zusammen, ich habe die gleichen Freunde seit vielen Jahren, ich schreibe mit den gleichen Leuten … Und das ist total cool, weil dieser Wahnsinn, der unfassbar schön ist, aber manchmal auch einfach zu viel wird, dadurch total ausgeglichen wird.
Deine zweite Single „Feel Alive“ landete ebenfalls auf Platz eins. Du bist also offiziell kein One-Hit-Wonder. Hat man sowas im Hinterkopf?
Natürlich ist der Gedanke irgendwo mal da gewesen. Nach dem Motto: Oh Gott, ich will nicht als One-Hit-Wonder enden. Aber selbst wenn es so gewesen wäre: Lieber One-Hit-Wonder als No-Hit-Wonder. Also überhaupt mal einen Hit in seinem Leben zu haben, ist ja schon was Tolles, dass es jetzt zum zweiten Mal geklappt hat, ist noch unglaublicher. Das war nie das richtige Ziel. Natürlich will man nicht, dass der zweite Song total absäuft. Aber eigentlich war das Ziel zu zeigen: Ey Leute, ich bin da. Ich schreibe Songs. Das ist mein Sound.
Du scheinst das Geheimrezept gefunden zu haben, wie man einen Nummer-eins-Hit schreibt …
Es wäre schön, wenn es so wäre, aber ich kann dir auch so viel sagen, im Studio habe ich ganz oft gemerkt: Nee, das Geheimrezept habe ich nicht gefunden (lacht). Wir haben so viele Songs geschrieben in der letzten Zeit, auch seit „I Believe“ und „Feel Alive“, die ich wahnsinnig gut finde. Aber auch noch so viele mehr, die richtig schlecht waren (lacht) und die kommen halt einfach nicht raus. Ich glaube, dass schlechte Songs dazugehören, das ist ganz normal. Und im besten Fall schafft man es, die guten Songs zu releasen und die schlechten Songs als so eine Art Ventil zu belassen.
Gibt’s deshalb erst einmal nur eine EP?
Genau, ein Album wäre einfach zu schlecht geworden (lacht). Nein, es gibt noch deutlich mehr Songs, die ich gut finde, die auch live gespielt werden. Es war einfach so, dass ich jetzt dieses erste Kapitel einmal zeigen wollte und das auch so schnell wie möglich. So ein Album braucht dann doch immer ein bisschen mehr Vorlauf und mehr Arbeit. So eine EP ist ein schöner Zwischenweg, mehr von sich zu zeigen, ohne damit zu lange warten zu müssen. Aber das nächste Kapitel ist schon in Arbeit und auch fast fertig und ich freue mich einfach, es in zwei Abschnitten zeigen zu können.
Es gibt immer mehr Musiker und Künstler, die beim Songschreiben und Produzieren mit KI experimentieren. Wäre das auch eine Option für dich?
Es ist ja so: Prinzipiell läuft man ganz oft einer Idee hinterher und fragt sich, wann habe ich endlich wieder Song-Ideen? Und es gibt Phasen, in denen man einfach keine Ideen hat und da war definitiv schon mal der Gedanke, da mal nachzugucken. Was passiert denn, wenn wir jetzt in Chat-GPT reinschreiben: Schreib mir mal einen Kamrad-Song oder schreib mir mal ein Liebeslied oder was auch immer. Leider muss ich sagen, das bisher die Texte, die da entstanden sind, dann doch nicht ganz so emotional oder inhaltslastig sind, wie man sich das vielleicht wünschen würde. Ich muss also leider meinen Beruf aktuell noch selber machen (lacht).
Und das machst du im Ruhrgebiet. Zieht es nicht jeden erfolgreichen Musiker irgendwann nach Berlin?
Ich glaube, es leben schon genug Künstlerinnen und Künstler in Berlin, da wird schon genug Musik gemacht. Ich habe nicht das Gefühl, dass da noch einer fehlt, der auch noch versucht, Songs zu schreiben. Ich finde es immer schön, wenn man sein Umfeld hat, in dem man sich einfach wohlfühlt. Ich glaube, das ist auch die Basis von guter kreativer Arbeit. Eben nicht einfach nur dahin zu gehen, wo alle sind, um genau das zu machen, was alle machen, sondern seinen Weg zu gehen mit den Leuten, die man selber gerne um sich hat. Und ich habe das Glück, dass in Bochum, eine halbe Stunde von mir entfernt, mein ganzes Songwriting-Team sitzt und wir im Studio jeden Tag produzieren. Und wenn ich jetzt nach Berlin gehen würde, würde ich mir das total nehmen.
Was schätzt du denn an deiner Heimat?
Ich liebe die Mentalität der Leute im Ruhrgebiet, gerade in Bochum, wo ich fast jeden Tag bin. Das ist offen. Das ist auch mal ein bisschen forsch, aber irgendwie auf eine positive Art und Weise und das finde ich total geil. Damit kann ich super umgehen und man muss kein Blatt vor den Mund nehmen. Und das ist glaube ich das, was auch ganz viel Freiheit ausmacht.
Kamrad – I Believe European Tour 2023, 19.9. Köln (20 Uhr, Gebäude 9), ausverkauft.