Essen. „Newcomerin“ und Rapperin Liser macht eigentlich schon eine Weile Musik – und findet langsam auch Gehör, unter anderem im Mai in Düsseldorf.
Viel hat man von Liser, die eigentlich Lisa Klingler heißt, vielleicht noch nicht gehört, aber geht es nach der jungen Musikerin, ändert sich das ganz schnell. Die ersten Schritte in Richtung große Bühne sind bereits getan, die aus Bayern stammende und in Köln lebende Deutschrapperin hat sich in den vergangenen zwei Jahren mit mehreren Singles und Liveauftritten eine erste Fangemeinde aufgebaut. Im vergangenen Jahr wurde sie außerdem mit dem PopNRW-Preis als „Beste Newcomerin“ ausgezeichnet. Ihre Songs sind feministisch, ehrlich, selbstbewusst, manchmal feinfühlig und leise, manchmal wütend und laut. Mit Maxi Strauch sprach die 25-Jährigen über den Berufswunsch Popstar und die Frauenrolle im Deutschrap.
Sie wurden im vergangenen Jahr mit dem PopNRW-Preis als „Beste Newcomerin“ ausgezeichnet, was bedeutet Ihnen diese Ehrung?
Liser: Das war total cool. Ich hatte mich dafür gar nicht beworben. Das waren Leute aus der Branche, die mich vorgeschlagen haben. Und das ist natürlich ein schönes Gefühl, dass man wahrgenommen wird. Ich mache das alles allein, ich habe kein Management im Rücken. Und dass man dann als richtiger Teil der Szene akzeptiert wird, ist sehr schön.
Dabei ist „Newcomerin“ eigentlich falsch, Sie machen schon länger Musik …
Ende 2017 habe ich angefangen, aber ich fühle mich trotzdem noch extrem neu. Zwei Jahre davon saß ich in meinem Zimmer und habe vor mich hin gebastelt – bis meine Freundin gesagt hat: „Das ist cool, was du da machst.“ Richtige Erfahrungen als Musikerin, auf Bühnen stehen, für Auftritte angefragt werden, das ist alles erst im letzten Jahr so richtig in Gang gekommen.
Sie sind auch im vergangenen Jahr zum ersten Mal beim renommierten Kölner Musikfest „c/o pop“ aufgetreten. Sind das so Träume, die in Erfüllung gehen?
Auf jeden Fall. Deswegen brauche ich im Moment auch ein bisschen Ruhe, weil ich in den letzten Monaten so viele Meilensteine erreicht habe. Aber es war so durchgetaktet, dass ich das überhaupt nicht richtig realisieren konnte. Ich habe auch ein sehr hochgestecktes Ziel für mein Leben, schon immer gehabt. Und ich habe das Gefühl, ich komme langsam an den Punkt, wo das Ziel nicht mehr erreicht werden muss, weil so viele Teile davon einfach schon gegeben sind.
„Erst fühlte ich mich für Musik überhaupt nicht cool genug“
Angefangen haben Sie mit Poetry Slam …
Ich habe damit angefangen, weil ich mich für Musik überhaupt nicht cool genug gefühlt habe. Ich wollte immer Popstar werden. Und mein konkretes Umfeld hat gesagt: „Auf gar keinen Fall, hast du schon mal in den Spiegel geguckt? Außerdem klingst du gar nicht so gut. Und was glaubst du, wer du bist?“ Und dann habe ich meine Jugend in Bayern verbracht, in dem Glauben, die werden schon recht haben. Im Poetry Slam konnte ich mich ausprobieren, selbstgeschriebene Dinge vortragen. Und die Wahrheit ist: Ich fand‘ sehr viele Slampoeten sehr hot (lacht). Und so war es einfacher, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. So bin ich dann auch zum Rap gekommen (lacht).
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Für die, die Sie nicht kennen: Wie würden Sie Ihren Musikstil beschreiben?
Genre technisch bin ich extrem schlecht im Einsortieren, aber ich finde es auch gar nicht mehr so relevant, weil ich glaube, dass große Teile meiner Generation nicht mehr so in Grenzen denken. Als ich in der siebten Klasse war galt Taylor Swift als Pop, heute ist es Billie Eilish, die dunkel und minimalistisch unterwegs ist. Deshalb würde ich sagen, mein Stil ist eine Art Pop-Rap mit Drum ‘n’ Bass und einer gewissen Punkaffinität? (lacht)
Also ist für jeden was dabei?
Auf eine Art, ja. Es gibt bestimmt einige, die es nicht gut finden, aber es spricht viele an. Wenn man einen Track nicht gut findet, kann man sich den nächsten noch mal auf gut Glück anhören.
Der Großteil nimmt Sie als Rapperin wahr. Würden Sie sich auch damit identifizieren?
Ja, aber ich glaube, man ist nicht nur eine Sache. Als ich angefangen habe mit Musik, habe ich das gepusht. Ich habe meine Kumpels gefragt: Worüber rede ich in Rap? Und sie haben mir die Typen-Perspektive aufgezeigt und gesagt: Über Bitches und Autos. Und dann habe ich versucht, über Bitches und Autos zu rappen (lacht). Aber Fredo Hayabusa (Produzent und Rapper, Anm. d. Red.), der mir ganz viel beigebracht hat, hat von Anfang an gesagt: „Du bist viel mehr, du kannst mit deiner Stimme mehr als nur rappen.“ Ich bin also auch Sängerin und ich bin generell eine Musikerin und ich bin eine Songwriterin.
„Wir nehmen Frauen in sehr vielen Bereichen nicht ernst“
Sie prangern in Ihren Liedern auch die Frauenrolle im Musikbusiness, vor allem im Genre Deutschrap an. Warum sind Frauen so unterrepräsentiert?
Jahrhundertelange systematische Unterdrückung der weiblichen Person? Die Leute sagen immer so schön: Es ist nur ein Spiegel der Gesellschaft und das finde ich absolut wahr. Wir nehmen Frauen in sehr vielen Bereichen nicht ernst und wir nehmen Dinge nicht ernst, die Frauen cool finden. Und wenn dann Frau das Bedürfnis hat, Kunst zu erschaffen, wird das häufig als lächerlich, naiv, irrelevant dargestellt. In der Szene wird nur eine bestimmte Art Frau akzeptiert. Die kommt an und wird gepusht und dann wir gesagt: „Jetzt sind wir emanzipiert, wir haben doch jetzt Shirin David und Badmómzjay und damit ist‘s auch irgendwie abgedeckt.“
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Wird sich das zukünftig ändern?
Ich bin da leider nicht so zuversichtlich. Wichtig wäre es, die Typen, die gerade alle Fäden in der Hand haben, umzuerziehen. Aber ich glaube, das geht nur mit ganz viel Zeit und aufzeigen, dass Frauen auch Menschen sind. Das klingt immer so hart, aber wir sind alle dazu erzogen worden, Frauen nicht als ganzen Menschen wahrzunehmen. Der Mensch ist der Mann und die Frau ist ein bisschen komisch. Und das ist, was sehr schwierig weg zu reflektieren ist.
Was sind typische Vorurteile, mit denen sich Frauen in der Szene auseinandersetzen müssen?
Ich finde, Vorurteile ist gar nicht mehr der aktuelle Begriff. Weil es impliziert, dass man sich zumindest ein Stück weit dessen bewusst ist, was man tut. Ich glaube aber, dass viel von der Diskriminierungserfahrung, die ich und andere Frauen machen, unterbewusst und deswegen sehr schwierig zu hinterfragen ist. In der Zeit, als ich angefangen habe, hatte ich viel mit Jungs zu tun, die Musik gemacht haben, und ich musste mich da immer selbst reindrängen. Oder es wurden meine Themen kollektiv als uninteressant abgetan. Dann hieß es: Das kannst du so nicht sagen, das ist viel zu emotional …
Wie reagieren Sie auf sowas?
Mittlerweile gar nicht mehr, weil ich mir ein gutes Team aufbauen konnte. Aber das sind Leute, die jetzt immer noch in diesen Zwölf-Jungs-Kreisen sitzen und sich gegenseitig ihre Rhymes vorspitten – und ich mache das halt im ausverkauften Gebäude 9 in Köln. Mich hat es damals sehr frustriert, aber im Endeffekt hat es nur dazu geführt, dass ich härter gearbeitet habe.
„Popstar zu werden, ist mein Ziel“
Sie verarbeiten solche Erfahrungen auch in Ihrer Musik. Woher holen Sie Ihre Inspiration noch?
Hauptsächlich aus Lebenserfahrungen. Ich persönlich sehe mich zum Beispiel überhaupt nicht als aktivistische Rapperin oder Musikerin. Ich sehe mich als Popstar. Das ist das anerkannte Ziel und das kommuniziere ich auch ganz klar. Und trotzdem drehen sich alle meine Interviews um: Wie ist es als Frau im Rap? Was macht dich aktivistisch? Was mir zugeschrieben wird von außen, dass möchte ich mir gar nicht aneignen, weil ich dafür gar nicht genug mache. Die Werte, die ich als Person vertreten möchte, werden als feministisch angesehen, weil ich eine Frau bin, vor allem eine Frau, die nicht so gut ins Bild passt.
Also wollen Sie keinen Aufschrei verursachen mit Ihrer Musik und Ihren Texten?
Ich bin da im Moment im Zwiespalt. Ich bin eine dicke Frau. Und Fatphobia ist ein aktuelles Thema, dass mich sehr interessiert. Ich habe das Gefühl, ich müsste das ein bisschen mehr vertreten, mich dafür einsetzen. Aber ich habe selbst noch so viele Probleme damit, dass ich das gar nicht so selbstbewusst nach außen tragen könnte, wie das nötig wäre. Ich glaube, dass viele marginalisierte Personen ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie sich nicht für ihre Leute einsetzen. Aber man hat ja auch grundmenschliche Erfahrungen, die man teilen möchte und die andere interessieren. Also ich würde gern Popstar werden, um eine kommunistische Revolution anzuleiern, weil mir die Leute dann zuhören.
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Aber, und Sie singen es mit Ihrer Kollegin Taby Pilgrim selbst, „Popstar ist kein Vollzeitjob“. Was passiert nebenbei?
Ironischerweise haben wir zu diesem Musikvideo eine komplette Serie produziert. Das kam zu 80 Prozent aus unserer Hand. Und nebenbei haben wir Konzerte gespielt. Taby ist noch Synchronsprecherin und Sounddesignerin. Es reicht nicht mehr, nur Musikerin zu sein, vor allem eben nicht als Frau, die aus der Frauen-Schablone rausfällt … Ich bin alleine. Bei dem Liser-Projekt bin ich Musikerin, Managerin, Tour-Managerin, Bookerin … Eben alles, was dazu gehört, um eine musikalische Karriere aufzubauen, bleibt an mir hängen.
Also Vollzeitjob-Popstar ist Ihr Ziel?
Voll! Also diese ganzen strukturellen Dinge nehmen mir die Zeit zum Musikmachen. Ich möchte nur Musik machen und dann mit Leuten darüber quatschen, was meine Pläne sind, aber nicht alles bis ins letzte Detail umsetzen müssen. Ich bin aus Versehen Regisseurin geworden, weil ich so viel eigene Projekte umgesetzt habe, dass ich das jetzt auch für andere Leute mache. Es baut sich ganz viel auf und es ist auch cool, aber ich wäre gerne ein 360-Grad-Deal-Popstar, der sich eigentlich nur noch darum kümmern muss, was er anziehen möchte.
Wie sieht Ihre Zukunft aus?
Es wird auf jeden Fall ein Album kommen. Und wieder neue Musik. Ich werde viel live spielen. Wir haben schon Sachen für 2024 geplant, die sich doll auf mich beziehen und richtig krass werden. Es wird noch größer und besser. Ich bin zuversichtlich. Ich bin mir sehr sicher, dass ich den Rest meines Lebens mit Musik oder musikalischer Arbeit mein Geld verdienen werde, und das ist alles, was ich jemals wollte.
>>> INFO: Liser live
New Fall Festival (17.-20.5.): Liser, 20.5., 21 Uhr, Pong, Ehrenhof 2, Düsseldorf. Karten: 9 €. Weitere Konzerte als Support für Conny: 25.11. Köln (Club Volta), 6.12. (Skaters Palace), 14.12. Bochum (Rotunde). Karten ca. 28 €.