Essen. Am 4.11. erscheint das neu Pur-Album „Persönlich“. Sänger Hartmut Engler verrät im Interview wieso er lange nicht ins Hirnhäusle gegangen ist.
Ein leises „Hallo“ dringt durch das Smartphone. Hartmut Engler klingt wie Hartmut Engler immer klingt – nett. Es ist als spräche man mit einem guten Freund. Der „Pur“-Frontmann steckt mitten in einem Interview-Marathon für das neue Album „Persönlich“ (erscheint am 4.11.), doch von Müdigkeit fehlt jede Spur. Vielmehr freut sich der 60-Jährige darauf, die Platte vorstellen zu können – auch weil sie so persönlich ist, wie der Name vermuten mag. Im Interview mit Kirsten Gnoth lässt der Baden-Württemberger den Konzert-Abend auf Schalke Revue passieren und erklärt, was denn nun eigentlich der Muonionalusta ist.
Sie haben in diesem Jahr mit 68 000 Fans auf Schalke gefeiert. Wie haben Sie sich an diesem Abend gefühlt?
Hartmut Engler: Wenn man den Vorlauf bedenkt – fast drei Jahre keine Konzerte – dann war das ein berauschendes Erlebnis. Wir haben im August ein paar kleine Konzerte zum Aufwärmen gegeben und dann kam schon die große Bühne in der Mitte. Als ich von der Bühne gegangen bin, war das einer der glücklichsten Momente für mich. Es hätte ja im Vorfeld so viel schief gehen können: mit der Organisation, dem Virus, den vielen Gastmusikern und Freunden. Dass das so geklappt hat, war eine große Sache.
Können Sie sich noch an die schönsten Momente erinnern?
Das ist schwer. Ich möchte keinen Gast hervorheben, weil ich mich mit allen super gefühlt habe. Wir haben uns über einige Wiedersehen gefreut – zum Beispiel über das mit Peter Maffay. Er war schon bei „20 Jahre Pur“ dabei, dem allerersten Konzert in der Arena auf Schalke. Das kann man doch ein bisschen abfeiern, weil es eine so schöne Geschichte zwischen uns ist.
Wie war die Stimmung im Publikum?
Ich hatte das Gefühl, dass weniger im Publikum vorgeglüht wurde. Die Menschen haben sich voll auf die Performance auf der Bühne konzentriert und das hat sich toll angefühlt. Ich habe das richtig genossen. Bei „Kein Krieg“ haben alle weiße Taschentücher geschwungen. Das ganze Stadion war voller weißer Flaggen. Einige haben angefangen und plötzlich haben alle mitgemacht – was für ein Statement.
Hat Sie das Konzert auch zum neuen Album inspiriert?
Nein, das Album war da eigentlich schon im Kasten. Was mich aber gefreut hat, dass wir die erste Single davon schon spielen konnten. Die Reaktionen auf „Voll sein“ waren ganz große Klasse. Das hat uns sehr stolz gemacht. Wir erwarten jetzt voller Spannung die ganzen Reaktionen auf das neue Album.
„Voll sein“ und auch das durchaus traurige „Immun“ spiegeln die Pandemiezeit wieder. Es klingt hindurch, dass Ihnen diese Zeit sehr zugesetzt hat.
Ich jammere da auf einem hohen Niveau. Mir ging es sicherlich besser als vielen anderen in dieser Zeit: Ich habe ein schönes Haus und einen großen Garten. Aber ich war einfach der Dinge beraubt, die mich ausmachen. Musikmachen, vor Leuten stehen – das bin alles ich und das war alles weg. Es gab mehrere Zeiten, in denen nicht klar war, ob das alles wieder kommt. Das hat mir zu schaffen gemacht. In den Momenten schaut man sich an und denkt: ‘Was kannst du eigentlich?’ (lacht). Ich kann auf der Bühne Hartmut Engler sein. Aber wenn das wegfällt, muss ich mich neu erfinden. Dieser Gedanke hat mir Mühe bereitet.
Wie sind Sie aus dem Loch gekommen?
Ich stehe gerade am Fenster und blicke in den Garten. Da steht meine Denkerhütte – mein Hirnhäusle, und dort schreibe ich die Texte. Ich habe es in der schwierigen Zeit vermieden, hineinzugehen. Ich wollte nicht anfangen zu arbeiten, weil ich mich nicht danach gefühlt habe. Es war mehr die Angst vor einer Schreibblockade und weniger eine Schreibblockade selbst. Ich habe es einfach nicht versucht. Irgendwann konnte ich nichts mehr als Entschuldigung für meine Trägheit vorbringen und bin ins Hirnhäusle gegangen. Ich habe dann direkt „Voll sein“ geschrieben und „Immun“ kam hinterher. Es war toll zu merken, dass ich das Schreiben nicht verlernt habe.
Und dabei sind sehr persönliche Sachen entstanden.
Ja, es sind all die kleinen Dinge und Geschichten. Wie mit einem Freund im Pool zu sitzen und in Erinnerungen zu schwelgen. Oder die gute Laune als eine Freundin zu empfinden, mit der man sich gerne mal wieder treffen würde. Besondere Situationen machen solche Gedankengänge möglich. Ich möchte, dass die Lieder für die Menschen so persönlich werden, wie sie es für mich sind. Es wäre toll, wenn sich die Menschen auf ihre ganz eigene Art mit den Texten identifizieren können.
Sie haben sich auch dem Thema „Verschwörungstheoretiker“ angenommen. Wieso?
Weil es mich selbst umgetrieben hat. Ich habe die Menschen einfach nicht verstanden und konnte es auch nicht akzeptieren, dass sie sich im Internet etwas anlesen, was nicht überprüfbar ist. Auf der anderen Seite haben sie überprüfbare Fakten als Lügenpresse bezeichnet – das geht bis heute nicht in meinen Kopf. Ich weiß nicht, was da passiert ist und wo wir diese Menschen verloren haben. Wieso glauben sie Dinge, die nicht belegbar sind? Das ist ein großes Problem und wird uns auch noch eine lange Zeit begleiten. Das macht mir wirklich ein Stück weit Angst.
Zu „Verschwörer“ gibt es gleich zwei Versionen. Wie kam es dazu?
Das ist ganz spannend. Es gab erst die laute Version – für die ist unser Manager Götz (von Sydow, Anm. d. Red) verantwortlich. Dann fand Ingo (Reidl, Keyboarder der Band, Anm. d. Red), dass der Text noch mehr im Fokus stehen müsste. Plötzlich gab es auch eine leise Version. Ich fand beide genial und konnte mich einfach nicht entscheiden. Es ist derselbe Gesang und doch klingt es ganz anders.
Mit der Pandemie und Verschwörungstheorien können die Menschen was anfangen. Doch auf dem Album findet sich auch ein Song, dessen Titel nur wenigen Fans etwas sagen wird. Was ist also ein „Muonionalusta“?
Oh ich habe zwei Wochen gebraucht, um das auswendig sagen zu können (lacht). Ich habe von einem sehr guten Freund ein Armband zum 60. Geburtstag geschenkt bekommen. An dem hängen kleine Silberstückchen und eben auch ein Splitter vom Muonionalusta. Der Komet ist in Schweden gelandet, als es noch keine Menschen gab. Dort liegen nun immer noch diese Splitter rum. Ich habe beim Anblick des Armbandes darüber nachgedacht, wie lange es uns Menschen wohl noch geben wird. Plötzlich habe ich mich ganz klein und unwichtig gefühlt und manchmal ist es richtig, sich auch so zu sehen. Aus dem Gedanken ist dann der Song geworden.
Wenn Sie ins All reisen könnten, wohin würden Sie reisen?
Da wäre ich ganz einfach gestrickt: zum Mond. Der beschäftigt mich in jeder sternenklaren Nacht. Ich bin nicht mondsüchtig – aber ich mag, was der Vollmond mit mir macht. Außerdem dauert die Reise zum Mond nicht ganz so lange (lacht).
Kommen wir zurück zur Erde und „Persönlich“. Neben den vielen neuen Liedern findet sich auch ein altes Schätzchen darauf. Wie war es, mit der Band Naturally 7 „Funkelperlenaugen“ aufzunehmen?
Ein völlig neues Erlebnis. Die schwäbische Schülerband goes Gospel (lacht). Es ist irre, was sie aus diesem Stück gemacht haben. Naturally 7 ist eine der stärksten Vocalbands der Welt. Sie haben uns die Ehre erwiesen, den Song zu arrangieren. Ich musste einfach nur noch darauf singen – toll. Ich war mehrfach bei ihnen auf Konzerten und wir haben einen gemeinsamen Bekannten, der das alles schließlich eingefädelt hat.
Wie vermittelt man einer amerikanischen Band, was „Funkelperlenaugen“ sind?
Ich habe ihnen erzählt, wie ich darauf gekommen bin. Wenn man sehr verliebt ist und in die Augen des anderen blickt, sind es „Funkelperlenaugen“. Das weiß man in dem Moment einfach und sie können plötzlich gar nicht anders heißen.
Abschließende Frage: Den Interviewtag absolvieren Sie heute bei sich zu Hause – im Homeoffice sozusagen. Das Album wollten Sie aber absichtlich nicht im Heimstudio machen, oder?
Alle beteiligten Songschreiber haben ihre Lieder zu Hause geschrieben und dann geschickt. Ich wollte mir mal wieder was ganz anderes gönnen. In Ludwigsburg, nur zehn Kilometer von hier weg, gibt es ein schönes Tonstudio. Das bietet sogar genügend Platz, um ein Orchester aufzunehmen. Es ist also ganz oldschool mit einem gut ausgebildeten Toningenieur entstanden. Das war für mich der große Rahmen, den ich für dieses neue Album gebraucht habe.
Pur – Tour 2023, 23.4. Köln (Lanxess Arena), 5.+6.5. Dortmund (Westfalenhalle). Karten ab ca. 47€.
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