Essen. Alphaville-Sänger Marian Gold weinte als Kind zu orchestraler Musik – nun erklingen seine Hits auf „Eternally Yours“ in sinfonischem Gewand.

1984 hatte die Band Alphaville einen Lauf. Mit den aufeinanderfolgenden Singles „Big In Japan“, „Sounds Like A Melody“ und „Forever Young“ gelangen drei Welthits in Folge. Die sichern ihren Urhebern Marian Gold, Bernhard Lloyd und Frank Mertens noch heute den Lebensstandard. Seit 2003 ist nur noch ersterer Teil der Synth-Popper, die sich nun an einem Experiment versuchen. Mit dem Filmorchester Babelsberg entstand „Eternally Yours“, ein Album mit Alphaville-Klassikern im sinfonischen Gewand. Über den Produktionsprozess, die anstehende Tour und rührige Kindheitserinnerungen sprach Patrick Friedland mit Marian Gold (68).

Woher kam die Idee für „Eternally Yours“?

Marian Gold: Das war ein lang gehegter Wunsch, bei dem uns aber immer irgendwas anderes dazwischenfunkte. So ging das jahrelang. Dann kam die Pandemie, es kehrte etwas Ruhe ein und damit ergab sich die goldene Gelegenheit, das definitiv anzupacken. Fehlte nur noch das passende Orchester.

Es wurde das Filmorchester Babelsberg. Warum gerade dieses?

Die standen bei uns ganz oben auf der Wunschliste. Als dann die Zusage kam, haben wir sofort zugegriffen. Die Babelsberger bringen enorm viel Erfahrung im Umgang mit Pop-Musik, Film-Soundtracks und den dazugehörigen Aufnahmetechniken mit. Einige unserer Stücke, zum Beispiel „Lassie Come Home“, haben wir schon immer mehr als Film-Score gesehen, das passte also sehr gut zum gegenseitigen Verständnis.

Was war Ihnen besonders wichtig bei den Aufnahmen?

Wir wollten auf keinen Fall als Band vor so einem Geigenvorhang spielen, sondern bauten darauf, dass mit unserer Musik substanziell was passiert, dass etwas Neues hervorkommt, wenn man sie sinfonisch umsetzt. Einfach unser Repertoire mit einem Orchester 1 zu 1 nachzududeln, hätte für mich keine Legitimation gehabt.

Wie eng sind denn Ihre persönlichen Berührungspunkte mit klassischer Musik? Ich hörte, sie waren als Kind von Klassik fasziniert?

Ja, weil mir nichts anderes übrigblieb (lacht). Meine Kindheit begann in den 50er-Jahren in Herford. Wir hatten ein Röhrenradio bei uns daheim, ein Riesenkasten mit so einem magischem Auge, das grün leuchtete, wenn man das Gerät einschaltete. Für einen sechs-, siebenjährigen Jungen wie mich absolut faszinierend. Nachts schlich ich mich manchmal ins Wohnzimmer, um die verschiedenen Sender von weit draußen in der Welt zu hören. Ganz leise, damit meine Eltern nicht wach wurden. Diese ganzen geheimnisvollen Geräusche des Äthers und die fremdartigen Stimmen, die in seltsamen Sprachen irgendetwas sagten oder sangen, das alles schlug mich in den Bann – und die Musik, die man hören konnte, war oft klassische Musik.

„Mein Lieblingskomponist ist Bartholdy“

Einen Hang zu „großen“, epischen, sinfonischen Klängen konnte man schon auf dem Debütalbum „Forever Young“ raushören, finde ich.

Ja, in „Forever Young“ findet man Anklänge an sinfonische Bezügen, aber auch bei vielen späteren Stücken wie „Pandora’s Lullaby“ oder „Elegy“. Alphaville basierte in den Anfängen hauptsächlich auf zwei Säulen, das eine waren Synthesizer und aktuelle Bands wie Kraftwerk oder OMD, das andere waren ganz sicher die Einflüsse jener klassischen Musik, die ich als Kind hörte und die mich wirklich sehr berührte. Meine Mutter fand mich öfter in Tränen aufgelöst vorm Radio sitzen und fragte, was los sei, ob ich mir weh getan hätte. Es lag aber an der Musik, die gerade lief, Brahms, Chopin, diese unbegreifliche Schönheit erschütterte mich sehr. Da hat sie mir dann verboten, Klassik zu hören. So wie andere Eltern in dieser Zeit ihren Kindern verboten haben, Rock’n’Roll zu hören.

Auch interessant

Wer ist Ihr Lieblingskomponist?

Da muss ich keine Sekunde nachdenken, das ist Felix Mendelssohn Bartholdy. Unfassbar ergreifende Musik. Vor allem, wenn man bedenkt, dass er viele Werke schon als Kind komponierte. Da gibt es auch sonst einige erstaunliche Parallelen zu Mozart.

Zurück zu „Eternally Yours“: Wie komplex sind denn Alphaville-Songs für ein Orchester zu spielen?

Das Orchester war weder unter- noch überfordert, die haben alles super umgesetzt. Für uns als Band war es auch kein Problem. Wenn ein polyphoner Synthesizer deine zentrale Klangquelle beim Songwriting ist, ergibt sich fast zwangsläufig eine Nähe zur Sinfonik, was möglicherweise daran liegt, das so ein Instrument von der Klangbreite her eine Art Orchester in sich selbst darstellt.

Wie schwierig war es, die Titelliste zusammenzustellen?

Das war ein teilweise schmerzhafter Prozess. So ziemlich alle Alphaville-Stücke hätten sich für „Eternally Yours“ geeignet. Wir siebten aus, siebten und siebten, am Ende blieben knapp 20 Kandidaten übrig. Es war echt hart, zum Beispiel auf einen Song wie „Fallen Angel“ zugunsten von „Summer In Berlin“ zu verzichten. Aber es gab nun mal nur begrenzt Platz in diesem Projekt. Wir produzierten vorab rohe VorabTeilversionen der Stücke, um zu sehen, wie sie sich entwickeln könnten und nahmen dann die, die unseren orchestralen Vorstellungen am nächsten kamen.

Energisch wie eh und je: Marian Gold auf der Bühne bei Essen Original 2018.
Energisch wie eh und je: Marian Gold auf der Bühne bei Essen Original 2018. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Entspricht die Titelliste auch der Setliste bei den kommenden Konzerten?

Zum allergrößten Teil ja. Aber es ist gut möglich, dass der eine oder andere Titel noch dazukommt. Wir haben mehr Musik produziert, als jetzt auf dem Album drauf ist. Kann gut sein, dass wir uns während der Proben in einzelnen Fällen neu entscheiden, welches Stück letztendlich auf der Setlist landet.

„Der Star bei den Aufnahmen war das Orchester“

Was können wir sonst von den Konzerten erwarten?

Es wird bestimmt ein sehr überraschender Abend werden, weil dann zum Beispiel auch die Band mit ins Spiel kommt. Bei der Albumproduktion traten wir als aktive Musiker, abgesehen von meinem Gesang, kaum in Erscheinung. Wir waren mehr wie Regisseure in einem Hollywood-Dreh, der Star war das Orchester. Das wird auf den Konzerten zwar nicht anders sein, aber wir werden diesmal auch als Band in Erscheinung treten, allerdings als integraler Teil des Orchesters, das heißt, dass unsere Instrumente in die Summe aller Orchesterinstrumente eingefügt sein werden. Eine Aufteilung in Band und Orchester kommt nicht in Frage, das widerspräche dem ganzen Konzept dieser Produktion.

Wie steht es um Ihre Erfahrungen mit Auftritten in Philharmonien und Konzerthäusern?

Erst letztes Jahr spielten wir in Portugal in ziemlich großen Konzertsälen. Persönlich durfte ich 2002 die Erfahrung machen, als Sänger vor einem Orchester zu stehen. Ist ein toller Spaß.

Auch interessant

Sie spielen auf die „Night Of The Proms“ an. Damals mit dabei waren unter anderem die Simple Minds, Foreigner und der junge David Garrett.

Für David war das im Prinzip der Karriere-Startschuss. Ich persönlich fand es toll, mit so vielen großartigen Künstlern aus so vielen unterschiedlichen Genres zusammenzutreffen und mit ihnen zu touren. Wobei die „Proms“ musikalisch etwas ganz anderes sind, als das, was wir jetzt mit „Eternally Yours“ vorhaben. Die „Proms“ sind mehr Nachspielen, der kreative Rahmen ist da sehr eng gesteckt.

Zur Bewerbung von Album und Tour gibt es einen Podcast, den Sie gemeinsam mit Ihrer Tochter Lily machen. Wie kam das zustande?

Die Idee mit dem Podcast war nicht meine, die kam von Lily. Erst war ich nicht besonders begeistert. Ich hab‘ immer versucht, meine Kinder aus der Öffentlichkeit rauszuhalten. Aber Lily ist mittlerweile 24 und hat Musikbusiness und Promotion studiert. Jetzt ist sie mit der Uni fertig und Alphaville ist natürlich ein super Einstieg für sie. Ich denke, wir sind die ersten, die so einen Vater-Tochter-Dialog als Podcast herausbringen.

Hat Sie auch musikalisches Talent oder bleibt es bei der Promotion-Arbeit?

Sie ist schon musikalisch. Aber ich überlasse es grundsätzlich meinen Kindern, was sie machen wollen. Da muss niemand zwingend in meine Fußstapfen treten. Ich erwarte auch nicht, dass sie kreativ sind, es gibt noch viele andere wichtige Begabungen im Leben.

Letzte Frage: Gibt es bei Alphaville schon Pläne für neue Musik?

Gibt es, wir sind dran. Nach Ende der Aufnahmen für „Eternally Yours“ haben wir die Zeit genutzt und endlich wieder neues Material geschrieben. Das Album wird „Thunderbaby“ heißen und die Musik darauf wird sich ziemlich stark von dem unterscheiden, was wir zuvor gemacht haben. Diskontinuität ist die einzige Tradition bei Alphaville. Ein Prinzip, das immer wieder für tolle Überraschungen sorgt. Sowohl für uns als auch für unsere Fans.

>>> INFO: Album und Tour

„Eternally Yours“ erscheint am morgigen Freitag. Neben den regulären CD- und Vinyl-Variante können sich Fans auch eine limitierte Sammlerbox (für ca. 149 € u.a. auf jpc.de) kaufen. Diese enthält das Album auf CD, dreifacher goldener Vinyl sowie Kassette, ein Textbuch, einen Jutebeutel und einen von Marian Gold signierten Kunstdruck. „Eternally Yours“-Tour 2023: 13.4. Essen (Philharmonie), 14.4. Düsseldorf (Tonhalle), 20.6. Dortmund (Konzerthaus). Karten ab ca. 42 €.