Essen. . „Forever Young“ machte Alphaville um Marian Gold (64) vor 35 Jahren berühmt. Der Sänger spricht mit uns über die Tücken des Älterwerdens.
In der goldenen Synthie-Pop-Ära stachen Alphaville aus der breiten Masse heraus. Bis heute kommt keine 80er-Party ohne „Big In Japan“ und den Titeltrack des Debütalbums „Forever Young“ aus. Die LP von 1984 erscheint morgen in einer neu gemasterten Deluxe-Variante, schon in der Folgewoche ist die Band um Sänger Marian Gold live in der Region zu sehen. Patrick Friedland sprach mit dem 64-Jährigen, der durch „Sing meinen Song – das Tauschkonzert“ kürzlich auch im Fernsehen gegenwärtig war.
Worauf können sich Besucher der kommenden „Forever Young“-Tour denn freuen?
Marian Gold: Wir wollen die „Forever Young“-Songs so originalgetreu wie möglich spielen, mit den Instrumenten aus den 80ern. Normalerweise ändern wir unsere Stücke für die Live-Konzerte ja gern und interpretieren sie etwas rockiger und treibender. Wir müssen uns da jetzt echt mal disziplinieren (lacht). Nur das Album in voller Länge einmal durchzuspielen, wäre aber für einen ganzen Abend natürlich zu wenig. Es gibt auch Material von den anderen Alben, die Songauswahl erzählt quasi unsere Bandgeschichte.
Welche Synthie-Pop-Alben aus den 80ern sehen Sie denn auf Augenhöhe mit „Forever Young“?
Kraftwerks „Mensch-Maschine“, OMDs „Electricity“, alte Alben von Gary Numan – da könnte ich viele nennen. Allesamt Platten, die ich ganz großartig finde und die einen wahnsinnigen Einfluss auf uns hatten. Vielleicht sind wir mit Ausnahme von Kraftwerks aber die einzigen Deutschen, denen eine derartig populäre Platte gelungen ist.
Insbesondere der Titelsong des Albums ist ein zeitloser Hit. Woran liegt das?
Die „ewige Jugend“ ist ein wichtiger Mythos für uns Menschen. Die Vorstellung, immer da zu sein, nie aufzuhören zu existieren – und das am besten in einem ewig jungen Zustand. Vielleicht hat dieses Lied deshalb so eine eigenartige Faszination auf viele. Leute spielen es zu allen möglichen Anlässen, auf Hochzeiten, Beerdigungen, Geburtstagen oder Jubiläen.
Was wäre aus Ihnen geworden, wenn es dieses Album nicht gegeben hätte?
Dann wäre ich wahrscheinlich schon längst tot.
Glauben Sie?
Als ich 1976 aus Herford nach Berlin kam, war ich eine Zeit lang obdachlos. Da kommt man in Kreise und Szenen rein, wo für deine Sicherheit nicht so sehr gesorgt ist. Schlägereien, Drogen – alles dabei.
Nur wenige Jahre später schufen Sie zwei Welthits. Ist es Fluch oder Segen, dass Sie immer nur auf „Forever Young“ und „Big In Japan“ reduziert werden?
Es ist ein ungeheures Privileg, gerade auch für unsere Konzerte, solche Songs im Repertoire zu haben. Das sind ja nicht irgendwelche Hits, sondern Welterfolge, die auf dem ganzen Planeten noch heute im Radio laufen. Ich beglückwünsche mich da jeden Tag selbst für. Das als Fluch zu empfinden, wäre wohl eine typisch teutonisch-deutsche Einstellung, so nach dem Motto ,Oh, wir haben zwei Welthits geschrieben, wie schrecklich’.
Die zwei Songs lassen Sie auch bis heute finanziell gut dastehen, nicht wahr?
Ich kann mich über meine finanzielle Situation tatsächlich nicht beklagen. Wir touren immer noch, spielen seit Mitte der 90er-Jahre 40 Shows pro Jahr, kommen auf der Welt gut rum. Wenn Konzert-Angebote aus Gegenden kommen, in denen wir noch nicht waren, kann es gut sein, dass wir die annehmen, auch wenn wir dafür nicht so toll bezahlt werden. Dann hängen wir da halt noch ein paar Tage rum und gönnen uns eine Art Kurzurlaub.
Wie jung fühlen Sie sich heute?
Kein bisschen jung. Mein Lebensgefühl unterscheidet sich stark von dem, das ich mit 20 hatte. Als Jugendlicher hat man das Recht, seine Illusionen zu vertreten und dafür zu kämpfen. Wenn man älter wird, sieht man vieles realistischer, mit klarerem Blick. Irgendwie ist das bedauerlich, weil man seine eigene Fantasie damit abschafft.
Kürzlich starb mit Talk Talks Mark Hollis eine Ikone „Ihrer“ Szene mit nur 61 Jahren. Welche Gedankengänge löst so eine Nachricht in Ihnen aus?
Natürlich kommt man ins Nachdenken, wenn die Leute um einen herum wie die Fliegen abkratzen. Die Einschläge kommen näher, bei einigen Kollegen ist es besonders hart. Aber was will man machen? Unsere Zeit auf Erden ist nun mal begrenzt.
Welcher Tod traf Sie am härtesten?
Der von David Bowie. Da war ich lange nicht in der Lage in Interviews, auf so eine Frage zu antworten, weil mir da die Tränen in den Augen standen. Es war für mich unvorstellbar, auf einem Planeten zu leben, auf dem es keinen David Bowie mehr gibt.
Nach 35 Jahren im Geschäft: Was können und wollen Sie sich und der Außenwelt noch beweisen?
Mir was zu beweisen, war noch nie mein Ding. Was mich am Künstlersein reizt, ist das Erschließen neuer Räume und Musikfelder. Ansätze, mit Musik umzugehen. Deswegen unterscheiden sich unsere Alben auch so stark. Es gibt aber immer einen roten Faden: den Hang zur Romantik und schöne Melodien. Im Studio geht es nur um unsere Ideen. Auf der Bühne ist es was anderes: Da wollen wir uns beweisen, so teuer wie möglich verkaufen, die Leute rocken und mitreißen. Live spielst du halt für dein Publikum.
Wie pflegen Sie eigentlich Ihre Stimme?
Eigentlich mache ich dafür gar nichts. Es gibt ohnehin kaum Rituale. Ich bleibe in der Regel beim Soundcheck weg, bin stattdessen im Hotel, lege mich in die Badewanne und singe die Stücke einmal laut vor. Auch „Forever Young“ und „Big In Japan“ gehe ich nochmal durch, weil ich manchmal auf der Bühne Aussetzer habe. Es ist unheimlich peinlich, ich hasse das. Vielleicht ist es eine Alterserscheinung, das wurde in letzter Zeit nämlich schlimmer.
Gibt es ein Mittel dagegen?
Sich einen Monitor und Teleprompter anschaffen, dann geht’s wieder. Ich habe bei Live-Auftritten einen kleinen Bildschirm, auf den ich zur Not gucke. Leider gucke ich meistens zu spät drauf, dann bringt mir das auch nichts. Da baue ich dann gerne auf mein Improvisationstalent und erfinde etwas.
Was denken eigentlich ihre sieben Kinder, wenn sie den Papa auf der Bühne sehen? „Coolster Daddy der Welt“ oder doch eher „Oh Gott, ist der Alte peinlich“?
Da habe ich Glück. Die finden das toll und sind wahnsinnig stolz und begeistert, wenn der Papa im Fernsehen ist oder auf der Bühne steht und die Leute ihm zujubeln.
Im Fernsehen bei „Sing meinen Song“ coverte u.a. Mary Roos einen Ihrer Songs. Hätten Sie gedacht, dass das jemals passieren könnte?
Das hätte ich durchaus für möglich gehalten. Es werden viele Alphaville-Songs gecovert, die Versionen von „Forever Young“ kann ich gar nicht mehr zählen. Da gibt’s ne Version von Jay-Z und Bushido, aber eben auch eine von Karel Gott. Durch den romantischen Touch ist unsere Musik für Künstler jeder Stilrichtung interessant. Marys Version von „I Die For You Today“ hat mich übrigens sehr gefreut und es war toll, den Song gemeinsam mit ihr zu singen – seitdem sind wir auch befreundet.
Gab es bei „Sing meinen Song“ Momente, in denen Sie dachten: ,Oh Gott, was macht der da mit meinem Lied?’
Nee. Man versucht ja, das Beste aus den Songs rauszuholen. Du stehst vor dem Künstler, guckst ihm in die Augen und willst, dass er das toll findet. Das ist eine völlig neue Art, sich künstlerisch zu begegnen. „Sing meinen Song“ ist ohnehin die einzige Musiksendung im TV, bei der ich mir vorstellen konnte, mitzumachen.
Casting-Shows sind demnach nichts für Sie?
Wenn Sie mich jemals in so einer Show sehen sollten, erschießen Sie mich bitte. Das ist überhaupt nicht mein Ding. Ich spiel’ mich doch nicht als Oberlehrer auf, der den Leuten zu sagen hat, wie sie singen sollen. Hätte es Talentshows früher gegeben, wäre ich auch nie als Kandidat dahin gegangen. Aber ich muss zugeben: Mark Forster macht das bei „The Voice“ schon super. Von ihm würde ich mich vielleicht mal testen lassen (lacht).
Hatten Sie nie darüber nachgedacht, Vocal-Coach zu werden?
Ich habe einen völlig anderen Zugang zu anderen Künstlern, für mich gibt’s da keine Hierarchien. Jeder soll seinen eigenen Scheiss machen. Worauf es in der Kunst ankommt, ist, dass Leute etwas Einzigartiges erschaffen. Und das hängt nicht von der Beurteilung anderer ab.
Welchen Song würden Sie denn gerne nochmal neu interpretieren?
„Goldfinger“ von Shirley Bassey, „Diamonds Are Forever“ von ihr habe ich schon gecovert. Ein richtiges Mädchen-Lied, in dem es vor allem darum geht, wie schön Diamanten funkeln. Das hat viel Spaß gemacht.
Welcher junge deutsche Künstler schreibt denn als Nächstes einen Welthit wie „Forever Young“?
Problem: Die jungen deutschen Künstler, die ich kenne, kennt sonst noch keiner. Dazu kommt, dass es in Deutschland wirklich schwierig, einen solchen Hit zu schreiben. Der Neidfaktor ist hierzulande extrem, die Deutschen wollen eigentlich keinen Superstar haben, die hassen das. In anderen Ländern, vor allem angelsächsischen,, bewundern die Mensche gerne Andere. Hier in Deutschland habe ich oft das Gefühl, dass die Leute vor allem neidisch sind, jemanden nichts gönnen und Gründe suchen, Künstler nicht mehr mögen zu müssen. Es gibt ja hier Musiker, die das Zeug zum Weltstar haben: Westernhagen, Grönemeyer, Nena. Aber was ist über die schon alles an Scheiße geschrieben worden.
Wie nehmen Sie das persönlich wahr?
Im Ausland werde ich nie gefragt, ob ich von meiner Musik leben kann. Ich rede da auch ungern drüber. Diese Fragen werden immer nur in Deutschland gestellt. Manchmal habe ich das Gefühl, ich würde jemanden eine Freude bereiten, wenn ich darauf antworten würde: ‘Eigentlich geht’s mir nicht so besonders’. Woanders fragen sie dich nicht, wie viel Kohle du auf dem Konto hast, sondern nach deinem künstlerischen Potenzial.
>>>INFO: Alphaville auf „Forever Young“-Tour
Termine: 19.3. Bochum (Zeche), 20.3. Köln (Kantine), 9.4. Frankfurt (Batschkapp). Karten für ca. 41€ gibt’s hier.