Essen. Sie helfen bei Stress, Frühjahrsmüdigkeit und wachsen direkt vor unserer Haustür: Ein Spaziergang durch die Welt der Heil- und Frühlingskräuter.
Die Sonne steht bereits tief am Himmel und wirft ein rötliches Licht auf die Brachfläche mitten im Essener Stadtteil Steele. Ausgestattet mit Zetteln, Stiften und Neugierde in den Augen lauschen vier Frauen und ein Mann Kräuterexpertin Martina Holder (53). Sie nimmt die Gruppe mit auf eine Entdeckungstour unter dem Motto „Frühlingserwachen“. Denn mit den ersten wärmeren Tagen beginnt auch die Kräutersaison.
Ausgangspunkt der Tour ist die Brache direkt neben einem Schotterparkplatz. „Es muss ja auch realistisch sein“, sagt Holder und lacht. Schließlich wohne nicht jeder direkt vor einer blühenden Wiese. Und auch hier, auf der vermeintlich kargen Fläche, könne man schon die ersten Kräuter entdecken, wenn man nur achtsam genug schaue.
Begeisterung für Spitzwegerich
Und – schwupps – ist die erste Person auch schon darauf getreten, auf den „König der Wege“, den Spitzwegerich. Mit seinen schmalen Blättern gehört er fest in jedes Stadtbild. „Dieses Grünzeug hat echt einen Namen?“, fragt Sandra lachend. Wie die anderen hat sie sich mit Gruppenleiterin Martina Holder auf das Du geeinigt. „Ich komme so langsam in die Wechseljahre“, erklärt die 52-Jährige ihre Teilnahme an der Tour. „Ich habe gehört, dass Kräuter dabei helfen, die Gesundheit zu unterstützen.“
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Und damit liegt sie richtig: Der Spitzwegerich zum Beispiel enthält viel Vitamin C und Kieselsäure und stärkt dadurch das Immunsystem. Roh im Salat liefert er besonders viele gesunde Inhaltsstoffe. Holder hält eines der Blättchen hoch. „Durch die schleimlösende Wirkung kann das hier, in Honig eingelegt, auch super als Hustenmittel funktionieren.“ Außerdem lindere der Abrieb von Spitzwegerich den Juckreiz bei Insekten- und Brennnesselstichen.
Löwenzahn-Stängel sind nicht giftig
Martina Holder ist fasziniert davon, dass Kräuter so eine heilende Wirkung haben. Bevor sie vor einiger Zeit eine Ausbildung zur Kräuterpädagogin gemacht hatte, arbeitete Holder in der Dampfturbinenentwicklung. Doch nachdem sie vor sechs Jahren fast einen Burnout hatte, entschloss sie sich dazu, ihren gut bezahlten Job aufzugeben. „Denn der Druck wurde immer größer, auch der, den ich mir selbst gemacht habe“, erzählt Holder.
Seitdem versucht sie einen anderen Umgang mit dem Thema Arbeit zu finden. Ihr nächster Job in einem Waldkindergarten brachte sie zu ihrer Berufung: „Bei einem Betriebsausflug haben wir einmal eine Kräuterwanderung gemacht. Da habe ich gemerkt, dass ich nicht nur raus in die Natur will, sondern diese auch anderen Menschen näherbringen möchte.“
Bloß auf die Wurzel aufpassen
Nachdem die Gruppe ihr erstes Kraut sorgfältig auf die beschrifteten Zettel geklebt hat, führt der Weg in Richtung Ruhr und in ein kleines Waldstück. Unter einem knorrigen Baum bleibt Martina Holder stehen. Hier streckt der Löwenzahn seine grünen Blätter aus der Erde. „Wichtig bei allen Kräutern ist, die Wurzel nicht mit rauszureißen“, erklärt die Kräuterexpertin, während sie die Blätter sanft kürzt. Sonst könne die Pflanze nicht mehr austreiben.
Holder erklärt, dass die Blätter des Löwenzahns viele gesunde Bitterstoffe enthalten, die gut für die Verdauung sind und den Stoffwechsel anregen. Und: „Die Blüten und Stängel des Löwenzahns und der darin enthaltene Milchsaft sind nicht giftig, sondern essbar. Das ist bei vielen immer noch ein Irrglaube.“ Natürlich müssen die Kräuter vor dem Verzehr gewaschen werden. Dafür hat die Expertin stets ein Sprühfläschchen dabei, das bei Kostproben zum Einsatz kommt.
Gänseblümchen für Salate, Butter und Pesto
Der Weg führt weiter an der Ruhr entlang, vorbei an Ehrenpreis, Taubnessel und Knoblauchsrauke zu einer Wiese, auf der Gänseblümchen schon ihre Blüten zum Abend schließen. „Hier kann man von der Blüte bis zum Stiel alles mitessen“, sagt Holder. Durch seinen nussigen Geschmack passe das Gänseblümchen gut in Salate, Kräuterbutter oder Pesto. Von außen, als Tinktur angewendet, soll es gegen Hautunreinheiten helfen. Martina Holder schaut sich um. „Wenn man auf sieben Gänseblümchen auf einmal treten kann, dann ist Frühling, sagt ein altes englisches Sprichwort.“ Der lässt dann also doch noch etwas auf sich warten.
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So ein Spaziergang mit Freunden sei mal etwas anderes, als das übliche „Kaffeetrinken-Gehen“, sagt Teilnehmerin Ursula. Zwar lebt sie in Essen und kennt sich hier gut aus, dennoch habe sie das Gefühl, die Umgebung nun mit anderen Augen wahrzunehmen. „Vor der Tour wären die Kräuter für mich Unkraut gewesen und ich hätte ihnen keine Beachtung geschenkt.“ Für Holder gibt es kein Unkraut. Sie findet es schade, dass nur der heimische Bärlauch den Weg ins Supermarktregal geschafft hat. Obwohl viele Kräuter zum Teil mehr Vitamine enthalten würden als so manches Gemüse.
Brennnessel steigert die Potenz
„Außerdem sind die Kräuter am Wegesrand auch noch saisonal, regional, günstig und kommen ohne Verpackungsmüll aus“, unterstreicht die Expertin. „Und alle eignen sich für eine Frühjahrskur.“ Besonders die Brennnessel. An diesem eher unbeliebten Gewächs ist die Gruppe nun angekommen. Holder zieht sich Handschuhe über. „Die Brennnessel ist eine der besten Pflanzen, die es gibt“, strahlt sie. Die Antwort: allgemeines Naserümpfen. „Weil sie so viele Vitamine hat“, fährt Holder fort. „Man könnte ein halbes Jahr nur davon leben, ohne Mangelerscheinungen zu bekommen.“ In der Pfanne angebraten, ersetzt die Pflanze sogar den Spinat. Männern ab 50 Jahren empfiehlt Holder zudem Brennnesselwurzeltee, der die Prostata klein hält und sogar die Potenz steigert.
Nachdem die Expertin auch das Frauenkraut Schafgarbe vorgestellt hat, dass mit seinen Bitterstoffen und ätherischen Ölen unter anderem als Wickel bei Menstruationsbeschwerden hilft, ist die Tour zu Ende. Nach zwei Stunden haben alle eine Vorstellung davon, wie reich die Welt der Kräuter ist und wie vielfältig sie einsetzbar sind. Nicht zuletzt im Kräuterlikör – auch ihn versteht Holder anzusetzen. Und zum Abschluss der ersten Tour der Saison stoßen alle feierlich damit an.
>>> INFO: „Frühlingserwachen“
Termine: Die nächsten Kräutertouren mit Martina Holder finden am 5.4. und am 26.4. statt, jeweils von 17-19 Uhr. Der nächste DIY-Kräuterworkshop ist am 10.4. von 10.30-14.30 Uhr. Events wie Betriebsausflüge oder Wanderungen mit Kindern sind ebenfalls buchbar.
Kräutertouren kosten 20 €, Kräuterworkshops 49 €. Anmeldungen nimmt Martina Holder über martina.holder@kraeuterleidenschaft.de oder über ein Kontaktformular auf der Seite kraeuterleidenschaft.de an.