Köln. Die 19-jährige Hamburgerin Zoe Wees wird als stimmgewaltiges Wunderkind gehandelt – das schindet sogar in Amerika Eindruck.

Zoe Wees’ Stimme klingt, als wäre sie prädestiniert für einen James-Bond-Song. Tief, leidend, gewaltig – dabei feierte die 19-Jährige erst 2020 ihren Durchbruch mit der Hit-Single „Control“, ihre erste, nahezu ausverkaufte Live-Tour startet Ende des Monats. Trotzdem hat die Hamburgerin schon mehr erreicht, als so manch anderer in seiner gesamten Karriere: Auftritte in den bekanntesten US-Late-Night-Shows, bei den American Music Awards, Zusammenarbeit mit Star-DJ Kygo. Mit Maxi Strauch sprach die junge Künstlerin über Erwartungen, Zukunftspläne und ihre neue Single – in der es erwartungsgemäß wieder sehr persönlich wird.

Erste Live-Tour, noch kein Album – und trotzdem werden Sie bereits als „eine der großen Stimmen unserer Zeit“ gefeiert. Wie ist das passiert?

Gute Frage, ich habe keine Ahnung. Ich denke nicht jede Sekunde darüber nach. Das ist eher ein fact, den ich lese, aber den ich nicht in meinem Kopf habe. Ich singe genauso wie viele andere. Ich glaube, jeder Künstler, der singt, kann dazu relaten.

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Man spricht schon vom „German Wunderkind“, Hoffnungsträgerin … Setzen Sie solche Attribute unter Druck?

Nein. Ich finde es cool, solche Dinge zu lesen. Meine Mama freut sich, meine Familie, meine Freunde … Ich freue mich, aber mich setzt es nicht unter Druck. Wenn du mich magst, magst du mich und wenn nicht, dann eben nicht. Ich mache das, was ich feiere, ich mache Musik für mich und Leute, die das brauchen.

Zum ersten Mal öffentlich aufgetreten sind Sie bei „The Voice Kids“. Warum haben Sie den Weg über eine Castingshow gewählt?

Tatsächlich habe ich das nicht mit meiner Musikkarriere verbunden. Meine Mama hat gesagt: „Mach doch da mal mit.“ Ich habe mich angemeldet, habe mitgemacht. Aber es hat mir nichts bedeutet. Danach habe ich erstmal gar nichts gemacht. War dann wieder in der Schule, habe weiter gesungen, weiter an meinen Träumen gearbeitet. Dort habe ich einen Lehrer kennengelernt, der mich gefördert und mir geholfen hat, etwas aufzubauen. Und here I am!

Mittlerweile waren Sie bereits im amerikanischen TV zu Gast, in den großen Late-Night-Shows von James Corden, Jimmy Kimmel und Jimmy Fallon. Wie war das?

Als ich bei James Corden und Jimmy Kimmel eingeladen war – I freaked out, it was so crazy, I was so excited. Das hatte ich aber in Hamburg vorgedreht. Als ich dann das erste Mal nach Amerika zu Jimmy Fallon geflogen bin, da habe ich mir nur gedacht: Okay, ich stehe jetzt auf einer Bühne, auf der schon viel zu krasse Künstler gestanden haben. Und das war für mich probably the most exciting thing that ever happened to me in my career.

Die ersten Schritte in Richtung internationaler Durchbruch sind getan: Kehren Sie Deutschland irgendwann ganz den Rücken?

Ich glaube nicht, ich habe hier Familie, Freunde. Der Ort oder die Erinnerungen halten mich hier nicht, aber die tollen Menschen, die ich hier kenne und um mich habe. Aber vielleicht ziehe ich mal um. Ich wollte früher immer nach Los Angeles. Aber als ich jetzt da war, hat es mir nicht mehr so gut gefallen. Aber London ist immer noch meine Lieblingsstadt. Vielleicht ziehe ich da mal hin und bleibe gleichzeitig in Hamburg wohnen. Dann kann ich immer switchen. Aber auch erst, wenn Corona kein Thema mehr ist, so dass ich ohne Probleme rüber fliegen könnte.

Sie switchen aber schon jetzt immer wieder ins Englische. Wie kommt’s?

Viele Leute stört das. Ich habe es mir nicht extra angewöhnt. Es ist irgendwann einfach dazu gekommen, ich habe nicht mehr drüber nachgedacht. Bis sich auf einmal so viele Leute dadurch angegriffen gefühlt haben. Es gibt so viele Kommentare auf TikTok zum Beispiel ... Ich mach das ja nicht, weil ich denke, es wäre cool, es sind einfach nur zwei Sprachen, die gemixt werden. Ich weiß nicht, warum das die Leute so sehr stört. Aber ich denke nicht mehr darüber nach. Ich tue niemandem weh damit.

Wie gehen Sie mit Hass-Kommentaren im Internet um?

Ich bin jetzt noch an einem Punkt, an dem ich angreifbar bin. Wo ich das auch fühle, selbst wenn es nur eine Kleinigkeit ist. Man guckt halt immer auf die schlechten Dinge zuerst. Da sind 100 gute und zwei schlechte Kommentare. Und die guten sind einfach sofort ausgeblendet. Aber ich arbeite gerade an mir selbst. Ich habe einen Mental Health Coach und einen Creative Director, der mir mit seiner Attitude sehr hilft. Und wir arbeiten gerade daran to not give a shit about what people say. I get there!

Stelle ich mir sehr schwierig vor, vor allem, wenn man in der Öffentlichkeit steht und täglich damit konfrontiert wird ...

Ich habe früher voll gerne Kommentare gelesen und beantwortet und DMs (Anm. d. Red. „Direct Messages“, private Nachrichten) ausgetauscht – mache ich nicht mehr so oft. Wenn ich einen negativen Kommentar sehe, stelle ich das auch bei mir infrage. Da habe ich keine Lust mehr drauf. Solange ich mich so fühlen muss, wenn ich etwas lese, lasse ich es lieber. Aber ich habe trotzdem noch alle ganz doll lieb. (lacht)

Es geht ja vor allem um Ihre Musik. Ihre Songs sind autobiografisch. Die Single „Control“ handelt von Ihrer Erkrankung an der Rolando-Epilepsie in jungen Jahren. Warum sind Ihre Lieder so persönlich?

Ich habe angefangen „Control“ zu schreiben, ohne dass ich mir dabei was gedacht habe. Ich wollte das einfach nur runterschreiben. Das ist meine Therapie gewesen. Ich habe nie gedacht, dass ich auch weiterhin Songs schreibe, die so persönlich sind. Aber Musik ist für mich da, um Gefühle zu verarbeiten. Und wenn ich ehrlich bin und den Leuten sage, wie ich mich fühle, glaube ich, dass sie umso ehrlicher zu mir sind. Man baut Vertrauen auf, ohne dass man sich kennt. Ich kriege Tausende Nachrichten, in denen Leute schreiben, was sie durchgemacht haben. Und das würde nicht passieren, wenn ich nicht auch so ehrlich wäre.

Haben Sie Sorge, dass es manchmal zu persönlich ist?

Auf jeden Fall. „Control“ war sehr sehr persönlich. „Hold me like you used to” auch. Und die nächste Single „Lonely” wird auch wieder sehr persönlich.

Was ist da der Hintergrund?

Also, man hat halt ein bisschen Erfolg und dann chillt man plötzlich nur mit den coolsten Leuten, hat nur Spaß. Ich bin umgezogen und die Wohnung ist so schön groß. Und ich fühle das auch und feiere das auch. Aber dann sitzt man schon mal ganz allein da und denkt sich: Das ist alles, was ich schon immer wollte. Ich wollte mir schon immer diese Hose leisten können, diese Sachen machen ... Aber dadurch fühlt man sich letztendlich noch einsamer.

Warum?

Man hat diese Sachen und weiß nicht, was man damit machen soll. Und da habe ich mich dann infrage gestellt, viele Dinge, die beim Erfolg dazukommen, die Leute, die plötzlich da sind … Sind das Menschen, die mich wirklich lieben? Oder haben die im Hinterkopf nur das Geld?

Etwas, wo Sie noch lernen müssen mit umzugehen?

Ich muss auf jeden Fall lernen, Sachen zu appreciaten. Vor ein paar Monaten war ich total lost und habe alles für selbstverständlich genommen: Ist doch klar, dass ich mir dieses Sofa hole, dass ich mir diesen großen Fernseher kaufe. Aber dann habe ich gecheckt, dass sind alles keine Sachen, die ich als selbstverständlich nehmen darf. Ich habe dafür hart gearbeitet. Es ist schon crazy, wie du die Realität einfach aus den Augen verlierst … Aber ich bin zurück: I appreciate my friends, my family, meinen Stuhl, auf dem ich sitze, ich habe ein Dach über den Kopf … Alles.

Wie sieht Ihre Zukunft aus?

Keine Ahnung. Ich hoffe, dass ich jetzt meine Liveshows spielen kann, Festivals, wenn das wieder geht. Dass die craziesten Festivals dabei sind, dass ich Leute und Künstler kennenlerne, dass ich reise, dass ich in zwei, drei Jahren vielleicht eine Welttour spielen kann.

Gibt’s ein Ziel?

Coachella! Wenn ich das mache, dann bin ich wahrscheinlich the happiest person ever.

Zoe Wees - European Tour 2022, 7.4. Bochum (ausverkauft), 12+13.4. Köln (Die Kantine, Di ausverkauft, Mi Restkarten ab ca. 34 €).