Essen. Der Elektronik-Musiker hat ein neues Album veröffentlicht. Im Interview spricht er über „Summer in Berlin“, Reisen und ganz besondere Konzerte.

Immer wieder Berlin. Die Bundeshauptstadt ist nicht nur der Wohnort vieler Kunstschaffenden, sondern dient auch regelmäßig als Inspirationsquelle für Veröffentlichungen aller Art. Nun hat Christopher von Deylen, kreativer Kopf hinter dem Elektronik-Musikprojekt Schiller, eine Art Konzeptalbum mit Bezug zur Millionenmetropole fertiggestellt. „Summer in Berlin“ ist gestern erschienen. Über die Stadt, seine Freude am Reisen und besondere Konzerterlebnisse der Vergangenheit sprach der 50-Jährige mit Patrick Friedland.

Was macht die Stadt Berlin so attraktiv für Künstler wie Sie?

Christopher von Deylen: Das habe ich mich jahrelang auch gefragt. Mein Gefühl ist, dass man, wenn man einmal die besondere Atmosphäre und das Klima dort aufgesaugt hat, bessere Ideen hat. Es gab da ja die Geschichten von Künstlern wie David Bowie, Depeche Mode oder U2, die immer schon von der Berliner Atmosphäre schwärmten. Filme wie „Lola rennt“ oder so manch Werk von Wim Wenders hätten wohl auch nur in dieser Stadt entstehen können und nicht etwa in München.

Sie sind aber vor einigen Jahren wieder von dort zurück in die niedersächsische Heimat gezogen. Warum?

Das Albumcover von „Summer in Berlin“.
Das Albumcover von „Summer in Berlin“. © Sony Music | Nitron Concepts

Irgendwann kam ich an den Punkt, dass mich die Situation dort genervt hat und ich mich fragte, ob es nicht noch andere inspirierende Plätze auf der Welt gibt. Jetzt, mit ein paar Jahren Abstand, gelingt es mir wieder besser, die Berliner Magie zu empfinden und mich von den Klischees loszulösen. Die Stadt ist wie eine Miniaturausgabe der Welt. Wenn sie dort zwei, drei Straßen um die Ecke gehen, erleben sie völlig andere Schwingungen und sehen völlig andere Architektur. Das Album soll allerdings keine direkte „Vertonung von Berlin“ sein, eher zum Träumen einladen und ein wenig Fernweh schüren. Das muss aber nicht zwingend Fernweh nach Berlin sein.

In diesen Zeiten ist Fernweh ein gutes Stichwort – Sie reisen gerne und oft. Wie sehr trifft Sie das?

Ich vermisse es überhaupt nicht, weil sich die Option gar nicht bietet. Es ist ein wenig wie bei einem Open-Air-Konzert, wenn es kurz vor Beginn anfängt, zu regnen. Man kann sich darüber ärgern, aber nichts ändern. So sollte man einfach das Beste draus machen. Das Reisen wird ja irgendwann wieder kommen.

Wie verbringen Sie aktuell den Tag?

Ich bin fast jeden Tag kreativ tätig, im Studio und mache Videos oder bereite andere künstlerische Dinge vor. Für den Tag X, wenn es wieder richtig los geht. Es ist fürchterlich, wenn man Tourneen verschieben muss. Aber wir haben ja momentan keine Wahl. So nutze ich die Zeit, um mich auf den musikalischen Kern meiner Werke zu fokussieren, was dem neuen Album auch gut tat. Vorher hatte ich oft zu viele Aktivitäten parallel laufen und mich auch mal damit verzettelt.

Haben Sie denn aktuell – sofern das überhaupt möglich ist – Tourpläne?

Wann wieder eine komplette Tour stattfindet, kann ich momentan nicht absehen. Ich hoffe sehr, dass es im Sommer einige Sonderveranstaltungen gibt, vielleicht Open-Air-Konzerte mit Abstand.

Wie stehen Sie als von Auftrittsverboten betroffener Künstler zu den Corona-Maßnahmen?

Man kann und sollte völlig zurecht darüber debattieren, warum bestimmte Berufsgruppen das und das dürfen und andere nicht. Die Corona-Zahlen, wegen denen es die Maßnahmen gibt, machen wir aber selber. Der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass es einfach wichtig ist, die Maßnahmen einzuhalten, um die Zahlen weiter zu drücken.

Blicken wir zurück in eine Zeit, in der Sie noch Konzerte spielen durften: Sie traten 2017 als erster europäischer Musiker seit 40 Jahren im Iran auf. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Einladung?

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Es ist faszinierend, wie meine Musik in einem Kulturkreis gelandet ist, der dafür gar nicht prädestiniert zu sein scheint. Ich weiß bis heute nicht, wie meine Musik dorthin gekommen ist. Vor fünf Jahren bin ich von einem iranischen Veranstalter angeschrieben worden, es gäbe dort eine recht große Fangemeinde. Ich habe länger warten müssen, bis Termine, Genehmigungen und Visa da waren – aber es hat dann tatsächlich geklappt.

Welche Eindrücke haben Sie aus Teheran mitgenommen?

Schwer, das in Worten auszudrücken. Es ist jedenfalls ganz anders, als man es aus der Tagesschau kennt. Die Zugewandtheit, Gastfreundschaft und Offenheit uns Deutschen gegenüber hat mich überrascht. Normal sieht man sich als Deutscher im Ausland ja oft negativen Vorurteilen konfrontiert. Aber offenbar sind die Iraner ein Volk, das uns liebt. Schon vor dem Auftritt gab es minutenlang Applaus, sowas kenne ich aus Deutschland gar nicht. Es war mir fast peinlich, wir hatten ja noch gar nichts geleistet.

Wie liefen die Auftritte ab? Zum Beispiel ist Tanzen ja dort verboten.

Das erste Konzert von vieren dort war das ruhigste Schiller-Konzert aller Zeiten. Ich wollte nicht der „Böse aus dem Westen“ sein, der die Menschen zu etwas verführt, was sie nicht dürfen. Nach dem Auftritt bekamen wir viel Zuspruch, aber auch Fragen, warum die Show denn so ruhig war (lacht). Die Stimmung war längst nicht so gedrückt, wie ich es mir vorgestellt hatte. So spielten wir dann von Show zu Show härter.

>>>INFO: „Summer in Berlin – das Album“

„Summer in Berlin“ gibt es als einfache CD, Doppel-CD, Vinyl, Download und als Boxset. Die Doppel-CD enthält neben dem neuen Album Liveaufnahmen der „Es werde Licht“-Tournee 2019.

Das Boxset beinhaltet neben der Doppel-CD ein von Schiller handsigniertes Berlin-Foto sowie zwei Blu-Ray-Discs mit weiteren Konzertaufnahmen, unter anderem einen bislang unveröffentlichten Auftritt von Schiller mit Tangerine-Dream-Musiker Thorsten Quaeschning.

Aktuelle Tourdaten von Schiller gibt infolge der pandemischen Lage zurzeit nicht.