Essen. Eisbrecher haben ein neues Album mit kuriosen Coverversionen am Start. Wir sprachen mit Alex Wesselsky über die Platte und leidenschaftliche Fans
Zwei Touren wollten Eisbrecher 2020 spielen – daraus wurde bekanntlich nichts. Stattdessen zog sich die Gruppe ins Studio zurück und arbeitete an einem Cover-Album. Nun ist „Schicksalsmelodien“ auf dem Markt, darauf interpretiert die erfolgreiche Düsterrockband Stücke wie Trios „Anna – Lassmichrein Lassmichraus“, Falcos „Out Of The Dark“ und sogar den Eurodance-Klassiker „Eins, Zwei, Polizei“ von Mo-Do. Über die Songauswahl und mehr sprach Sänger Alexander Wesselsky (51) mit Patrick Friedland.
Die Tracklist des neuen Albums umfasst Cover von Künstlern, die man oft nicht mit Eisbrecher in Verbindung bringen würde. Wie kam sie zustande?
Alexander Wesselsky: Es ist zum einen eine demütige Verbeugung vor Künstlern, die wir großartig finden und unser Leben beeinflusst haben. Zweitens hatten wir ja schon ein paar Cover gemacht und irgendwann so viele zusammen, dass wir ein Album sinnvoll fanden. Drittens ging es darum, Songs zu nehmen und ins Eisbrecher-Gewand zu packen, bei denen junge Leute sagen: Hey, find’ ich geil. Dann merken sie irgendwann, dass es das Lied schon mal gab und beschäftigen sich vielleicht auch mit diesen Bands.
Was hätten Sie denn gerne gecovert, was aber schlussendlich nicht geklappt hat?
Metallica, AC/DC und Judas Priest haben wir weggelassen. Erstens ist meine englische Aussprache nicht so gut, das habe ich ganz schwer bei Doro Peschs „All We Are“ gemerkt. Da haben wir festgestellt, dass es gut ist, nur einen englischsprachigen Song auf der Platte zu haben. Zweitens muss es auch in unsere Soundwelt passen. Es gibt Musik, die ist zu groß oder auch zu eigen, zu speziell. Auch Deutsches, zum Beispiel Kraftwerk oder DAF.
Das Video zum „Skandal im Sperrbezirk“-Cover überrascht. Warum wurde Rosi auf ihre alten Tage zur Mörderin gemacht?
Wir hatten eigentlich gar nicht vor, ein Skandalvideo zu machen. Der Regisseur Mikis Fontagnier kommt eher aus dem Hip-Hop. Er kam dann mit der Story an, wir waren erst unsicher. Jetzt sind wir restlos begeistert. Dem Video ist es gelungen, den Song nach 40 Jahren noch zu „skandalisieren“. Viele Leute fühlten sich angegriffen und schrieben uns an, wie wir denn etwas derart Frauenverachtendes und Sexistisches machen könnten. Aber wenn du als Künstler davor Angst hast, darfst du nicht mehr auf die Bühne gehen und keine Platten machen.
„Die Tourabsagen treffen emotional wie die Axt zwischen den Augen“
Nicht nur unter diesem Video von Ihnen schreiben vor allem russische Fans. Hat das einen Grund?
Kann ich nicht sagen. Vielleicht erleben die deutschsprachige Rockmusik intensiver, vielleicht hat unsere Sprache etwas, ein gewisses Pathos, das die melancholische russische Seele trifft. Wir haben ja schon in Russland gespielt, da hast du eine ganz andere emotionale Direktheit. Du fühlst dich in Moskau oder Sankt Petersburg als Superstar, die reißen dir da die Klamotten vom Leib. Daher haben wir auch „Disko in Moskau“ von den Toten Hosen auf die Platte gepackt. Das wollen wir da wieder spielen, schön mit den Fans Wodka saufen und Kasatschok tanzen.
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Wie sehr schmerzt die Verlegung der Touren?
Emotional trifft dich das wie die Axt zwischen den Augen. Da gibt es kein Adjektiv für, um zu beschreiben, wie sich das anfühlt. Wir hatten ja schon ein neues Album namens „Liebe macht Monster“ geplant, das ist jetzt auf März 2021 verschoben. 2020 wäre ein Superlativ-Jahr gewesen, das erfolgreichste der Bandgeschichte. Und ich bin eine Frontsau. Wenn ich nicht auf die Bühne darf, fehlt mir ein halber Mensch. Es wird seelisch langsam schlimmer. Wenn ich in drei Monaten immer noch nicht weiß, wann ich absehbar wieder auf die Bühne darf … puh. Wenn ich dann noch mitbekomme, wie der Kölner Karneval 50 Millionen bekommt, kriege ich das Kotzen.
Eisbrecher spielten ein einziges Konzert in 2020, zuletzt ein Freiluft-Gig in Dresden. Wie war es?
Dresden war super, ein Wahnsinn. Am Tag mit dem beschissensten Wetter des Jahres waren über 1000 Leute da. Aber es hätten mehr hingedurft, was einfach zeigt, dass die Leute Angst haben und keine Karten kaufen. Schön, dass wir wenigstens den einen Gig spielen durften, aber das führte einem wieder nochmal mehr vor Augen, was man so vermisst.
Gab es denn Konzertanfragen für den vergangenen Sommer?
Ja, aber auch eine klare Antwort von uns. Wir möchten nicht vor Autos, Strandkörben, Flugzeugträgern und auch nicht vor Atombunkern spielen. Wenn die Leute nicht spürbar sind, macht es keinen Sinn. Von Streaming-Konzerten halte ich auch nichts, man kann kein Live-Erlebnis in Nullen und Einsen übersetzen. Das mit den Autos ist ja jetzt schon nicht mehr. Alle fahren einmal hin, bemerken den Scheißsound und dann lassen sie es. Und: Früher waren in der ersten Reihe schöne Frauen, heute stehen da ein Golf, ein Polo und ein Daihatsu. Da machen wir nicht mit.
„Das neue Album wird kein Corona-Album“
Haben Sie noch Hoffnung für die Nachholtermine in Europa im Frühling? Im März soll es zum Beispiel ja nach Eindhoven gehen ...
Da kontere ich mal mit unseren Politikern, die jeden Tag sagen, dass wir lüften und unsere Socken trocknen und uns auf das Schlimmste vorbereiten sollen, weil wir vor der nächsten humanitären Totalkatastrophe stehen und alle sterben werden. Wenn ich Drosten, Söder & Co. höre, sage ich: Nein. Wenn ich mit Praktikern wie Streeck gehe und auf Vernunft setze, sage ich: Wir haben noch eine Chance. Ich hoffe, dass es stattfindet, ich glaube aber im Moment nicht daran. Ich will auch nicht zu sehr in die Glaskugel gucken und dann was rumposaunen wie alle anderen im Moment. Das kann ich tun, wenn ich irgendwann ein Biologie-, Physik- oder Virologie-Studium abgeschlossen habe …
Was aber sicher ist: Das neue Album kommt. Was können Sie uns dazu schon verraten?
Wir werden es im März 2021 rausbringen, es heißt „Liebe macht Monster“. Ich komme gerade vom Grafiker, es ging um das Cover. Und jetzt geht’s zügig voran. Mastern, Videos drehen, Cover fertig machen. Die Fans können sich freuen, die Hater und Lover auch. Eine erste Single wird dieses Jahr noch kommen – und dann darf wieder laut geliebt und gehasst werden. Coverversionen wird es da aber nicht drauf geben, das ist jetzt erstmal durch. Irgendwann machen wir vielleicht nochmal „Schicksalsmelodien 2“, jetzt gibt’s aber erstmal 13 neue Songs, voll auf die 12. Es wird auch kein Corona-Album. Es geht so vielen schon so sehr auf die Nerven, da müssen wir da nicht auch noch etwas zu machen. Gibt ja schließlich genug Dinge, die vor Corona waren, mit Corona sind und nach Corona noch sein werden.
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Vielleicht wünscht sich für „Schicksalsmelodien 2“ ja jemand den „Pokérap“, den Sie ja kreiert haben und live gerne intonieren … – wie sieht’s damit aus?
Ich habe ja, auch zusammen mit Pix, schon so manches verbrochen in meinen Leben. Wir waren jung, brauchten das Geld und Spaß gemacht hat es auch. Ich hatte ja auch beim Peter-Maffay-Musical zu „Tabaluga“ schon mitgemacht und auch kein Problem damit, morgen wieder mal einer Zeichentrickfigur meine Stimme zu leihen. Eines wollen wir aber bei Eisbrecher nicht: Klamauk. Wir sind nicht J.B.O. Beim Pokérap wären wir mittendrin im Klamauk. Bei „Eins, zwei, Polizei“ haben wir auch überlegt, das Lied ist ja in sich Klamauk. Aber wir mussten die Polizei mit drauf haben. Dem Freund und Helfer muss man ja mal einen lieben Gruß da lassen – da freut sich auch der Horst Seehofer. Spaß. Grundsätzlich: Man kann groteske Songs nehmen, die witzig sind wie „Anna Lass mich rein lass mich raus“ von Trio. Aber irgendwo ist eine Grenze. Es wird immer wieder passieren, dass ich live den Pokérap mache und einige es feiern und andere denken „Halt doch einfach die Fresse“.
Zum Abschluss zurück zu Autos: Manche kennen Sie ja aus dem TV als den „Checker“ für Gebrauchtwagen. Gibt es eine Rückkehr ins Fernsehen?
Lustig, dass Sie fragen. Gerade kam eine Mail von einer Produktionsfirma. Hier und da beschäftige ich mich gerne mit Sendungen zu Oldtimern und anderen besonderen Autos. Ganz weg von der Mattscheibe ist der Alte nicht. Aber was Festes wie damals „Der Checker“ steht erstmal nicht zur Debatte.
>>>INFO: Eisbrecher live in der Region
5.11.21 Bochum (RuhrCongress), Karten ca. 50 €.