Essen. Im Interview spricht der Mainzer Kabarettist Tobias Mann über Tiervideos in Dauerschleife, das Corona-Chaos und den Umgang mit Veränderungen.

Auf der Bühne singt, spricht und wütet Kabarettist Tobias Mann (44), dass dem Publikum mitunter der Kopf raucht. Auch im Interview bezieht der gebürtige Mainzer Stellung – unter anderem zu Tiervideos in der Dauerschleife, Auftritten in Autokinos und dem Leben in der Gegenwart.

Sie sind bereits Buchautor – und haben für die Coronazeit ein neues Projekt angekündigt. Wie läufts?

Tobias Mann: Tja, ich habe in den letzten Monaten noch nicht mal ein Buch gelesen (lacht). Natürlich hatte ich mir vorgenommen, in dieser Zeit etwas Produktives zu tun, aber dann kamen die Umstände dazwischen: Homeschooling, der Organisationsaufwand der abgesagten Termine, die coronabedingt komplizierten Drehs für meine ZDF-Sendung „Mann, Sieber!“ – die Zeit war gut gefüllt.

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Was wäre Ihr Stoff für ein weiteres Buch?

Das möchte ich ungern preisgeben. Ich habe wirklich schon eine Prämisse und ein paar Seiten geschrieben, aber mit einem Buch musst du dich durchgängig beschäftigen. Vielleicht komme ich dazu, wenn die Gewässer wieder etwas ruhiger werden.

Tobias Mann: „Irgendwann geht halt nicht mehr rein in den geistigen Mixer“

Hatten auch das Smartphone, die sozialen Medien und das Internet ihren Anteil an der durchgängigen Beschäftigung?

Ich muss zugeben, ich bin ein Spielkind und probiere gerne neue Gadgets aus. Die klauen mir auf der anderen Seite jedoch auch Zeit. Berufsbedingt bin ich eh ein Newsjunkie. Wenn ich 70 Mal eine Seite herunterscrolle oder 59 Push-Nachrichten wegwische, dann wird es aber auch mir zu viel. Eine Grenze zu finden, sich von den vielen belastenden Nachrichten abzugrenzen, das ist schwierig. Deswegen: Nachrichten-Fasten! Irgendwann geht halt nicht mehr rein in den geistigen Mixer.

Sie kritisieren in Ihrem aktuellen Programm „Chaos“ den Umgang mit dem Internet. Den Menschen fehle die Zeit für Selbstreflexion, was sie frustriere. Ihre Lösung?

Es ist ein täglicher Kampf und ich habe den optimalen Weg noch nicht gefunden. Mir passiert das ja auch und dann hänge ich bei Facebook in der Videoschleife mit lustigen Tiervideos fest! Da tänzelt dann ein Hund auf den Vorderbeinen, dann niest ein Pandababy, danach klaut ein Eichhörnchen Vogelfutter – und so wird aus 23 plötzlich drei Uhr.

Auf die Ohren: Tobias Mann musiziert während seiner Auftritte auch gerne mal mit Gitarre oder Klavier.
Auf die Ohren: Tobias Mann musiziert während seiner Auftritte auch gerne mal mit Gitarre oder Klavier. © Thomas Klose

Kämpfen muss seit März auch die Veranstaltungsbranche. Kein Publikum, keine Auftritte, kein Geld – wie haben Sie auf die plötzliche Veränderung reagiert?

Zuerst dachte ich: Das kann nicht sein, das wird schon nicht so schlimm. Dann verschoben sich nach und nach alle Termine und aus dem bösen Traum wurde Realität. Schlagartig nicht mehr oder nur noch ohne Publikum auftreten zu können, war wie der Teppich, der einem unter den Füßen weggezogen wird. 2020 ist wirklich ein Drecksjahr.

Konflikt zwischen Fluchtverhalten und künstlerischem Überlebenstrieb

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Der Künstler ist ein komisches Wesen. Er handelt gegen das typisch menschliche Fluchtverhalten, wenn er auf der Bühne vor Leuten steht und nutzt dann das Adrenalin des Überlebenstriebs für die Kunst. Natürlich schwingt derzeit Angst mit, aber dieser künstlerische Überlebenstrieb ist immer da. Darum habe ich mich gefragt: Was kann ich tun? Also habe ich online bei YouTube und Facebook gestreamt und bin dann irgendwann in Autokinos aufgetreten.

Wie ist es, sein Bühnenprogramm in dieser Atmosphäre zu spielen?

Das war schön, aber auch echt schräg. Zum Beispiel in Kaarst, wo die Zuschauer wegen des nahen Wohngebiets nicht hupen durften. Ich habe mich gefühlt wie Jake von den Blues Brothers. Auf die Bühne springen, tada – nichts. Kein Applaus. Da arbeiten die beiden Prozesse Flucht und Selbsterhaltung noch stärker gegeneinander (lacht).

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Veränderung ist eines der großen Themen in „Chaos“. Sie sagen, Veränderung sei anstrengend und tue weh. Weshalb schnell der Reflex einsetze: Früher war alles besser. Kam auch Ihnen dieser Gedanke während der Pandemie?

Nein, damit habe ich abgeschlossen. Ich lebe nicht in der Vergangenheit und halte auch nichts von Verklärung. Jede Zeit hat ihre Herausforderungen, ich möchte die Gegenwart aktiv und beherzt gestalten.

Intelligenz-Diät – „ob das so gesund ist?“

Und doch haben Sie bei Ihrem Kollegen Sebastian Pufpaff neulich mit der Idee gespielt, auf Intelligenz-Diät zu gehen. Wer die Probleme der Welt nicht versteht, dem bleiben sie nicht im Kopf. Schafft Sie dieses Jahr etwa doch noch?

(lacht) Das kam aus einer Frustration heraus, war aber natürlich satirisch gemeint. Wobei ich mir das schon manchmal wünsche. Nicht mehr abschalten müssen, weil man eh abgeschaltet ist. Ein Zen-Zustand, der zufrieden macht. Doch ob das so gesund ist?

Dieses Jahr bringt auf der anderen Seite auch Zehntausende Menschen auf die Straßen, um für Menschlichkeit und gegen Klimawandel und Rassismus zu protestieren. Ist das der von Ihnen in “Chaos” schon 2019 angesprochene “frische Wind, der den Muff wegweht?”

Es ist schon seit ein paar Jahren spürbar, dass die Gesellschaft politischer wird. Auf meinen Mikro-Kosmos bezogen: Selbst Komikerkollegen, die früher einen weiten Bogen um politische Themen gemacht haben, greifen sie jetzt auf. Wenn man Themen wie Solidarität und Humanismus ernst nimmt, dann kann man in diesen Zeiten irgendwann nicht mehr schweigen.

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Ein Problem sehe ich bei den Debatten, gerade im Internet. Zählen die Argumente überhaupt noch? Jeder möchte nur noch seinen Standpunkt verteidigen und dem anderen entgegen schreien, ein Diskurs findet so nicht mehr statt. Ich bin kein Gegner des Internets, ich finde es wertvoll. Menschheitsgeschichtlich ist es aber ein noch eher junges Medium, mit positiven wie negativen Auswüchsen. Ich hoffe, dass sich dieses aggressive Klima evolutionär von selbst reguliert.

Wie stehen die Chancen auf echte Veränderung?

Beim Kabarettisten schlagen zwei Herzen in einer Brust. Als Mensch bin ich fassungslos, wenn ich zum Beispiel die Zustände auf den griechischen Inseln sehe. Wie kann eine Lösung so fern, wie können vielbeschworene Werte so absent sein? Ich finde es beschämend, wie sich Europa gerade verhält. Beim zynischen Satiriker in mir hat daher der Glaube an den Humanismus schon eine palliative Note bekommen – er pflegt ihn noch, bis er ganz entschlafen ist. Trotzdem bin ich dem Licht zugewandt und versuche meiner Verzweiflung mit Humor Ausdruck zu verleihen, denn damit kann ich Menschen viel besser erreichen. Die positive Emotion ist die große Stärke des Humors.

Tobias Mann auf Tour

Termine für „Chaos“: 1. Oktober in Dortmund (Schalthaus 101), 6. November in Kleve (Joseph-Beuys-Gesamtschule), 13. Dezember in Köln (Comedia).

Weitere Infos und Tickets (ab ca. 23 €) finden Sie auf tobiasmann.de.

„Bei Ungerechtigkeit werde ich einfach wütend“

Dem gegenüber steht Wut. In Teilen unserer Gesellschaft und immer wieder bei Ihnen auf der Bühne. Sie haben sich deshalb mehr Gleichmut und Sanftheit verordnet. Wie läuft es mit dem Vorhaben?

Auch das ist ein täglicher Kampf. Manchmal leide ich an Aufregungserschöpfung, bin aus-aufgeregt. Andererseits gehört ein gewisses Maß an Empörung dazu. Bei Ungerechtigkeiten werde ich einfach wütend. Die Bühne ist mein Ventil, die Wut zu kanalisieren und raus zu lassen. Und vielleicht ist diese Form der Unterhaltung ja auch eine Anregung zum Nachdenken.