Beth Hart war jahrelang drogen- und alkoholsüchtig. Die Exzesse hat sie im Griff, doch der Kampf gegen die Dämonen der Vergangenheit hält an.
Die amerikanische Blues-Rockerin Beth Hart war Jahre lang drogen- und alkoholsüchtig. Dennoch schaffte sie den Sprung ins Musikgeschäft und ist spätestens seit ihrer ersten gemeinsamen Platte 2011 mit Gitarrist Joe Bonamassa vielen Musikfans im Ohr geblieben. Mittlerweile hat sie ihre Exzesse im Griff und ist auch solo erfolgreich. Im November kommt sie für ein Konzert nach Düsseldorf. Vorab sprach Beth Hart mit Kirsten Gnoth über das aktuelle Album, die Schatten der Vergangenheit und ständige Versagensängste.
Ihr Tourplan ist immer gut gefüllt. Doch was machen Sie, wenn Sie dann doch mal zu Hause in Kalifornien sind?
Beth Hart: Ich schreibe, ich sehe meinen Vater oft und arbeite in seinem Garten. Aber ich kümmere mich auch viel um meinen eigenen Garten. Außerdem gehe ich in die Kirche und sorge dafür, dass meine Mutter mich besuchen kann, damit sie ein oder zwei Wochen mit uns verbringen kann. Ich verlasse das Haus eher selten und koche dafür viel zusammen mit meinem Mann.
Das klingt nach einer entspannten Auszeit?
Ja, und das ist auch sehr wichtig. Gerade nach der anstrengenden Zeit auf Tour, um wieder zu entspannen.
Ihr Ehemann ist immer mit dabei, wenn Sie auf Tour sind. Wieso?
Ich hätte vor Jahren aufgehört zu touren, wenn er nicht mehr dabei gewesen wäre. Ich würde niemals ohne ihn auf Tour gehen. Es ist einfach wundervoll mit ihm. Er ist liebevoll, fokussiert und ambitioniert. Wenn ich in irgendeiner Form durchdrehe, beruhigt er mich. Scott ist sehr mitfühlend und einfach ein toller Typ.
Das klingt so, als wären sie beide unzertrennlich.
Wir machen alles zusammen -- nicht nur bei der Arbeit. Wir kochen zusammen, wir arbeiten zusammen im Garten und wenn ich zum Arzt muss, geht er mit. Auch wenn ich Klamotten shoppen gehe, ist er dabei. Es funktioniert einfach. Wir sind beste Freunde.
Sprechen wir über Ihr neues Album „War In My Mind“. Was steckt hinter dem Titel?
Auf dem Album ist auch ein gleichnamiger Song, in dem es um psychische Erkrankungen geht. Es tobt ein Krieg in meinem Kopf.
Sie sprechen sehr offen über ihre psychischen Probleme. Ist es schwer, sich in aller Öffentlichkeit so nackig zu machen?
Es ist eigentlich nur anstrengend, wenn ich auf Promo-Tour für ein neues Album bin und den ganzen Tag mit Journalisten spreche. Das geht teilweise monatelang so. Nach den vielen Gesprächen fühle ich mich schon mal traurig. Dann kann das Ganze wirklich belastend werden. Aber sonst geht es. Ich habe angefangen, mit Therapeuten zu arbeiten, da war ich gerade mal sechs Jahre alt. Ich habe mich schon in jungen Jahren daran gewöhnt, offen mit anderen darüber zu sprechen. Es hat eine heilende Wirkung, ehrlich zu sein und keine Geheimnisse zu haben. Die ganzen Geheimnisse werden irgendwann anfangen, wie eine Wunde zu eitern und dich dann umbringen. Außerdem ist es wichtig, den Menschen zu zeigen, wer man wirklich ist - auch wenn einige einen dann ablehnen. So weiß man sofort, wer zu einem hält und wer nicht.
Eine Songzeile aus „War In My Mind“ lautet „I make love to the war in my mind“. Das klingt sehr positiv. Gibt es Dinge in ihrem Leben, mit denen Sie Frieden geschlossen haben?
Ich bin 48 und hoffe, dass ich mit einigen meiner inneren Dämonen Frieden geschlossen habe. Aber wenn es um den Krieg in meinem Kopf geht, dann ist es ein lebenslanger Kampf. Es gibt keine endgültige Heilung, aber die Medizin hilft mir, dass der Kampf ein kleines bisschen nachlässt und nicht mehr so gefährlich ist.
Gibt es heute immer noch Dämonen, die Sie verfolgen?
Natürlich. Ich werde für den Rest meines Lebens mit meinen psychischen Erkrankungen zu tun haben. Nervenaufreibend ist, dass ich nie weiß, wann die Angst kommt und wie schlimm es wird. Egal wie viele Therapiestunden ich gemacht und wie viel ich gebetet habe, die Narben und Wunden werden bleiben. Manchmal denke ich, dass es zu meinem Besten ist, weil das Leben genauso sein soll – wundervoll und schwierig zu gleich. Das gilt für jeden von uns. Und man sollte sich den Glauben bewahren, dass auch aus schwierigen Situationen etwas Gutes entstehen kann. Man muss einfach dranbleiben.
Stört Sie die psychische Erkrankung beim Schreiben von Songs?
Nein, meine Form von bipolarer Störung äußert sich in manischen und depressiven Stimmungsschwankungen. Ob mit oder ohne Medizin habe ich mich schon immer in schlechten Zeiten ans Piano gesetzt, um meine Gefühle zu verarbeiten. Das war auch der Grund, warum ich als kleines Mädchen angefangen habe, Musik zu machen. Ich habe nach Heilung gesucht und wollte mich in Angstzuständen beruhigen. Am Klavier versuche ich, meine Verwirrung über das Leben in den Griff zu bekommen.
Ist das der Grund, warum viele ihrer Stücke sehr schwer sind?
Ja, wenn ich glücklich bin und eine gute Zeit habe, schreibe ich nicht. Dann bin ich im Garten, treffe mich mit Freunden und Familie oder gehe zum Angeln. Wenn es mir nicht gut geht, dann schreibe ich Songs und versuche die Dinge, die mich beschäftigen zu verarbeiten. Ich würde niemals einen Song nur für eine CD schreiben.
Da sind Sie wohl eine der wenigen, denen es nicht auf Verkaufszahlen ankommt.
Ich denke, es ist ein Irrglaube, dass viele Künstler nur aufs Geld aus sind. Vielen Künstlern ist bewusst, dass ihre Chancen, Geld mit der Musik zu verdienen, sehr gering sind. Es ist wahrscheinlicher, dass man als Künstler ein Leben in Armut lebt. Ich denke Künstler machen Kunst, weil sie es machen müssen. Sie können nicht ohne Kunst leben. Es macht ihr Leben besser und sie selbst glücklicher. Aber ich denke auch, dass die Plattengesellschaften und die Manager auf Geld aus sind. Die Künstler möchten sich meist nur selbst ausdrücken.
Gibt es Momente, in denen Ihnen ganz plötzlich eine Idee für einen neuen Song kommt?
Das kommt vor. Manchmal da koche ich oder bin im Garten beschäftigt und plötzlich höre ich eine Melodie oder eine Akkordabfolge. In dem Moment höre ich sofort auf mit dem, was ich gerade mache, und renne sofort zum Klavier.
Schreiben Sie zuerst den Songtext oder die Melodie?
Ich schreibe immer zuerst die Akkordfolge und die Melodie. Das Arrangement, was dadurch entsteht, erinnert mich oft an ein Gefühl und daraus entsteht der Text. Manchmal ändert sich der Songtext während des Schreibens auch noch mal und läuft dann in eine völlig andere Richtung. Ich habe da keinen richtigen Plan. Ab und an schreibe ich auch Gedichte, aber das sind dann nur Gedichte – ich vertone sie nicht.
Dauert es lange einen Song zu schreiben?
Nicht immer. Manche habe ich in 10 oder 15 Minuten geschrieben – diese Lieder schreiben sich praktisch selbst. Es klingt dann so, als flüstere jemand all die Akkorde, Melodien und den Text in mein Ohr. Das ist superseltsam. Aber bei „Tell Her You Belong To Me“ zum Beispiel hat es über anderthalb Jahre gedauert. Wenn es so lange dauert, denke ich immer, dass der Song noch nicht bereit ist, auf das nächste Album zu gehen. Es fühlt sich jedenfalls so an, als würde mir der Songs das auf diese Weise sagen wollen. Es ist so, als hätten die Songs eine ganz eigene Seele. Manchmal dauert es aber auch so lange, weil ich mich mit einem Thema noch nicht auseinandersetzen möchte. Dann steckt dahinter eine Wahrheit, von der ich weiß, dass sie mir wehtun wird. Und deshalb blockiere ich erst einmal. Ich muss es schaffen, rücksichtslos ehrlich mit mir zu sein, dann kommt auch der Song. „Tell Her You Belong To Me“ erzählt, wie mein Vater die Familie für eine andere Frau verlassen hat. Diese Frau wollte nicht, dass ich noch Kontakt zu meinem Vater habe und hat mich über Jahre hinweg misshandelt.
Wie auch die Alben davor, ist „War In My Mind“ ein sehr persönliches Album. Ist der Entstehungsprozess schmerzhaft?
Nein, es schmerzt nicht, über traurige Dinge zu schreiben - es schmerzt, sie in sich hinein zu fressen. Es ist wie aus Zitronen Limonade zu machen. Wenn ich mich ans Piano setze und etwas erschaffe, das wundervoll klingt, dann wird plötzlich aus etwas Negativen etwas Positives. Es fühlt sich befreiend an.
Stimmt es, dass Sie manchmal Angst auf der Bühne haben?
Oh ja. Manchmal ist es so überwältigend und beängstigend, dass ich anfange zu weinen, bevor ich überhaupt auf die Bühne gehe. Es gibt Tage, an denen gehe ich dann auf die Bühne und das Gefühl ist verschwunden. An anderen Tagen bleibt es allerdings. Ich weiß nie so genau, wann es mich erwischt. Bei der letzten Tour, bei der ich unter anderem in Bochum gespielt habe, war ich kaum nervös. Ich hatte einen guten Lauf. Aber bei der Tour davor – oh Gott – lagen meine Nerven die ganze Zeit blank.
Welche Gefühle gehen Ihnen dann durch den Kopf?
Manchmal denke ich, dass die Show nicht gut genug für das Publikum ist und die Zuschauer dann enttäuscht sind.
Wie gehen Sie mit solchen Momenten um?
Normalerweise sage ich den Zuschauern, was gerade in mir vorgeht und das ich ziemlich nervös bin. Offen darüber zu sprechen, verringert das Gefühl ab und an.
Sie zeigen auch auf der Bühne beim Singen viele Emotionen. Haben Sie jemals die Kontrolle verloren?
Ich verliere bei jeder Show die Kontrolle über meine Gefühle. Ich weine oft während eines Konzertes, gerade wenn ich einen Song wie „Mama“ spiele oder einen wie „Sister Dear“, den ich für meine verstorbene Schwester Susan geschrieben habe. Wenn ich „You Belong To Me“ spiele, den ich für meinen Vater geschrieben habe, breche ich regelmäßig zusammen. Aber das macht mir nichts aus. Ich muss keinem beweisen wie stark oder besonders ich bin. Das würde mich im Leben nicht weiter bringen. Ich gehe auf die Bühne, um menschlich zu sein. Das hilft vielleicht jemandem im Publikum, dem es ähnlich geht. Ich möchte sie wissen lassen, dass es völlig ok ist, menschlich zu sein und die Kontrolle zu verlieren. Jeder darf Angst haben und sich auch mal schwach fühlen.
Sie versuchen, Kontakt mit dem Publikum aufzunehmen und mit ihnen zu interagieren. Ich das manchmal schwer?
Manchmal denke ich, dass sie mich nicht mögen und das nicht wollen. Es kann ja sein, dass ich zu deprimierend oder zu düster für sie bin. In solchen Momenten fühle ich mich wie ein Außenseiter.
Sie haben in jungen Jahren die TV-Show „Star Search“ gewonnen. Was würden Sie der damals 21-jährigen Beth heute gerne sagen wollen?
Ich würde mir selbst sagen, dass ich meinem jüngeren Ich keine Ratschläge gebe. Das Leben wird mir beibringen, wie ich es zu leben habe und nicht anders herum. Mit Mitte 30 habe ich noch gedacht, ich müsste die Dinge dauernd anders machen. Heute denke ich, dass alles aus einem guten Grund so geschehen ist, wie es geschehen ist – sonst wäre es vermutlich gar nicht passiert. Das Leben soll nicht einfach sein, sondern chaotisch. Es wird immer eine Achterbahnfahrt mit Höhen und Tiefen sein. Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Wir sollen auf eine Art und Weise verloren gehen, um dadurch demütig zu bleiben. Wir als Menschen tendieren dazu, sehr egoistisch zu sein. Wenn das Leben einem dann aber in den Hintern tritt, lässt es uns wissen, dass wir nicht so mächtig sind, wie wir immer denken. Das ist eigentlich ein Segen.
Gibt es neben der Musik noch eine andere große Leidenschaft?
Ich liebe es zu gärtnern – ständig muss etwas beschnitten oder gedüngt werden. Ich bin fast täglich in der Baumschule, um neue Pflanzen zu kaufen. In meinem Garten wachsen allerlei Obstbäume, Rosen und andere blühende Pflanzen sowie Sukkulenten. Vielmehr als den Anblick meines Gartens mag ich aber die Arbeit, die dahinter steckt.
Das klingt so, als hätten Sie einen traumhaften Garten.
Ja, momentan sieht er wirklich hübsch aus. Alles ist in voller Blüte. Ich mache viele Bilder davon und schicke sie dann zu meiner Mutter.
Selbst auf ihrer Tour haben Sie freie Tage eingeplant. Was machen Sie an solchen Tagen?
Ich spiele nur drei oder vier Konzerte in der Woche, wenn ich auf Tour bin. Also habe ich mindestens drei Tage frei. Wir gehen gerne ins Museum oder in den Zoo. Ich gehe gerne in örtlichen Gärten und sehe mich um. Manchmal gehen mein Mann und ich aber auch shoppen. Wir lieben es außerdem, mit der ganzen Band essen zu gehen. Aber es gibt auch Tage an denen ich einfach drinnen bleibe, ganz ruhig bin und meine Stimme ausruhe.
Apropos Stimme. Wann haben Sie zum ersten Mal erkannt, dass Ihre Stimme so besonders ist?
Ich habe nie gedacht, dass meine Stimme schön ist. Ich habe den Klang meiner Stimme erst angefangen zu mögen, als ich älter geworden bin. In meinen 40ern habe ich aufgehört, so viel zu schreien und habe angefangen, in wärmeren und tieferen Tönen zu singen. Als ich jünger war, mochte ich meine Stimme nicht. Was ich aber schon immer mochte, ist das Gefühl zu singen. Ich mochte das Gefühl in meiner Brust – endlich alles loszuwerden. Ebenso mochte ich das Gefühl in meinem Körper, wenn ich mich ans Klavier gesetzt und gespielt habe.
Sie haben in der Vergangenheit mehrfach mit Joe Bonamassa zusammen gearbeitet. Gibt es noch andere Künstler, mit denen Sie gerne mal zusammenarbeiten wollen würden?
Mein Traum war es immer, mit Leonard Cohen zusammen zu arbeiten, aber er ist leider verstorben und nun wird das niemals passieren. Ich wollte auch schon immer mal mit Tom Waits zusammenarbeiten. Er ist großartig. Ich würde auch gerne eine Platte mit Jeff Beck machen. Er hat bei einem meiner Songs mitgespielt. Wir haben mal versucht, ein Album gemeinsam zu machen, aber es ging einfach nicht. Es ist verrückt, weil wir wirklich gute Freunde sind und auf der Bühne immer viel Spaß zusammen haben. Aber wir können einfach nichts zusammen kreieren. Auf der anderen Seite – ich bin nicht mit Joe Bonamassa befreundet. Ich habe mich nie mit ihm einfach so getroffen und wir telefonieren auch nicht. Aber wenn wir eine Platte zusammen machen, funktioniert es einfach. Es ist wirklich bizarr.
„War In My Mind“-Tour: 11.11. Düsseldorf (MEH). Karten gibt es ab ca. 68 €.