Essen.. Mit Parodien und Schlagfertigkeit machte sich Tahnee einen Namen. Nun geht die 27-Jährige mit ihrer zweiten Soloshow „Vulvarine“ auf große Tour.


Vom Ballett zum Musical zur Komik: Tahnee (27) ist seit dem Kindergartenalter auf der Bühne zu Hause. Vor einigen Jahren zog die gebürtige Heinsbergerin nach Köln – von da aus kam die Karriere so richtig ins Rollen. Nach zahlreichen TV-Auftritten an der Seite von Stefan Raab, Dieter Nuhr, Bülent Ceylan und anderen Größen steht nun ihre zweite Soloshow „Vulvarine“ in den Startlöchern. Die war im Gespräch mit Patrick Friedland natürlich Thema – ebenso wie das spezielle Standing von Frauen in der Kleinkunst-Szene.

Massig Termine auf der Bühne und fürs TV– wird’s langsam nicht schon zu stressig?

Tahnee: Naja, es geht, ich mache das jetzt ja nicht erst seit gestern. Schon mit dem ersten Programm hatte ich ja meine 80 bis 100 Shows pro Jahr. Aber es ist schon so, das bestimmte Sachen fürs TV, kleine Auftritte in Mix-Shows und Interviews oft spontan reinkommen und die freie Zeit auffüllen. Aktuell bin ich halt in der Vorbereitungsphase zum zweiten Programm und bereite zwischendurch noch einige TV-Sachen vor – zum Beispiel „Geht doch!“, was ab September im ZDF läuft.

Der Name des neuen Programms ist ja zur Hälfte an die X-Men-Figur Wolverine angelehnt. Wozu werden Sie denn Ihre „Krallen ausfahren“?


Die Mischung macht’s. Ich picke mir einige Themen raus und entblättere diese, zeige, was mich daran stört. Zum Beispiel spreche ich über Dinge wie den Organspendeausweis. Aber ich gehe in dem Programm auch ein bisschen näher an mich und meine Entwicklung ran – eben, wie ich zu „Vulvarine“ werde. Nach dem Prinzip: Jeder kann sein eigener Held sein.

Und wie kann man sein eigener Held werden?

Das erfahrt ihr im Programm (lacht).

Sie stehen nun vor dem Übergang vom ersten zum zweiten Programm – da tun sich Künstler manchmal sehr schwer mit. Wie ist das bei Ihnen?

Es ist superspannend. Ich war ja noch nie in der Situation, wieder bei Null anfangen zu müssen, habe aber gleichzeitig einen Erfahrungsschatz gesammelt, aus dem ich jetzt schöpfe. Ich weiß jetzt, was ich auf der Bühne tue (lacht), jetzt geht es mehr um die Themenfindung. Sowieso hacke ich alles, was mir auffällt, sofort in die Tasten oder ins Notizbuch. Das Gute ist, dass viele Sachen zeitlos sind – ich muss jetzt nicht den 40. Tinder-Joke machen.

„Bei „Switch“ mitzumachen, wäre schon geil!“

Wie gut schlafen Sie nachts noch?

Geht noch. Aber das ist immer das Beschissenste – da kannst du jeden Künstler fragen – wenn du weißt: „Ich muss jetzt was Neues bringen und kann nicht mehr auf das Alte verlassen, was funktioniert.“ Du hast ja eine Verantwortung. Das Publikum muss lachen, dafür kommen sie in deine Show. Es ist nervenaufreibend, ich habe ja keinen Plan B.

Was machen Sie am Abend vor der Vorpremiere?

Mich ablenken. Netflixen. Eine Staffel von „Stranger Things“ bis 5 Uhr bingewatchen – und weitere Dinge, die ich sonst nie mache.

Wie ist es mit den Parodien, die ja zuletzt einen recht großen Teil der Show ausmachten?

Parodien bekannter Persönlichkeiten werde ich etwas runterfahren. Es gibt ja auch irgendwie keine Stars, keine markanten Promis mehr, nur noch Influencer. Das finde ich schade. Ich kann auch die zehnte Heidi-Klum-Parodie machen, aber ob das sinnvoll ist? Klar wollen die Leute das nochmal hören, wenn es ihnen gefallen hat. Aber ich will keinen Abklatsch vom ersten Programm auf die Bühne bringen.

Gäbe es nochmal eine Staffel von „Switch“ – wären Sie dabei?

Sofort. Ich fänd’s richtig geil. Es wäre schon eine Ehre, auf einer Ebene mit Koryphäen wie Martina Hill oder Max Giermann zu stehen. Ich mache dann die Schwester Ewa gegen Hills Heidi Klum – oder Hella von Sinnen, das hätte auch was.

Was gefällt Ihnen daran besonders?

Da lebt viel von der visuellen Komponente, dass die Darsteller genau so aussehen und den Habitus annehmen. Ich könnte mich da so schön auf einzelne Kleinigkeiten konzentrieren, es muss ja nicht immer anstrengend oder gesellschaftskritisch sein, es darf auch mal Klamauk sein. Ich mag befreites Lachen. Dann gibt es aber im Gegenzug auch „Thema X“, was mich total aufregt – die Mischung macht’s halt für mich. Nicht zu starr an eine Sache rangehen, denn Comedy sollte nicht starr sein.

Gab’s denn schon mal Reaktionen auf die Parodien?

Nicht wirklich. Einmal meldete sich Schwesta Ewa, nachdem sie einen Szenenausschnitt von mir sah, wo ich nur mit ‘nem Filter vorm Gesicht die Stimme imitierte. Da schrieb sie nur „High Five! Mega!“. Ich glaube aber, dass wenn sie das ganz sehen würde, wohl nicht mehr so begeistert wäre. Einer schrieb nur in den Kommentaren „Schwesta Ewa klatscht dich kaputt, Nutte!“ Also: Wenn ich nächstes Jahr nicht mehr da sein sollte, bin ich wohl untergetaucht (lacht) …

Wo wir gerade bei fiesen Kommentaren sind: Wie gehen Sie mit Kritischem oder Sexistischem um? Lesen Sie das überhaupt noch?

Kaum. Es bringt nichts. Wir leben nun mal in einer Zeit, wo jeder seinen Senf zu allem geben kann. Das sind oft Plattformen, wo sich Leute nur selbst darstellen und Hass verbreiten können. Da muss man sich als Künstler von fernhalten, sonst wird man irgendwann irre. Wenn man nicht ganz bescheuert ist, kann man sich schon selber vertrauen, auf sich besinnen, seinen Weg gehen. Irgendwann wird man merken, ob die Entscheidung richtig oder falsch war.

Aktuell wird ja der Auftritt in Serdar Somuncus „Sextape“-Video diskutiert.

Da war es extrem. Kunst ist ja dazu da, zu provozieren und den Finger in die Wunde zu legen. Wie wenig Verständnis haben Leute, wie oberflächlich sind sie? Erst regen sich alle auf, dass ich offen sage, auf Frauen zu stehen, dann beschweren sie sich, wie ich denn meinen Status als „Lesben-Ikone“ aufgeben kann, in dem ich einen schauspielerischen Akt mit einem Mann vollziehe.Wahnsinn war auch, wie einige sich lediglich auf den Zehn-Sekunden-Trailer konzentrieren und das Video vor dem Kommentieren nicht mal ganz gesehen haben.

Das zeitgenössische Problem mit der immer kürzeren Aufmerksamkeitsspanne.

Genau. Ich glaube, dass das durch Social Media herbeigeführt wird. Alles wird immer kürzer, schneller, oberflächlicher. Man hat keine Zeit, man will sich nicht mehr mit Sachen beschäftigen. Eine hatte unter das „Sextape“-Video geschrieben: „Schön und gut, das mit der Schauspielerei, aber wegen solchen Darstellungen wie deiner werden Hohlköpfe jetzt bestimmte Sachen denken, wie sie an Lesben rankommen. Ich finde es ekelhaft. Soll jetzt keine Kritik sein, nur mal zum drüber nachdenken.“ Da dachte ich mir nur: Geil, dass du mir sagst, worüber ich nachdenken soll. Als ob ich als Künstlerin nicht selber vorab drüber nachgedacht hätte.

Haben Sie ihr geantwortet?

Ja. Ich schrieb drunter: „Meine sexuelle Orientierung bestimmt nicht, welche Rollen ich spiele. Hohlköpfe werden immer sehen, was sie sehen wollen, das ist das Dilemma in unserer Gesellschaft. Das, was du kritisierst, passiert aber nicht wegen der Schauspielerei, sondern wegen der Porno-Kultur.“ Auch fand ich interessant, dass sie das Ganze nur auf die „Kuss“-Szenen reduzierte und den Mord, der am Ende passiert, einfach komplett ignorierte. Danach hat sie ihren Kommentar gelöscht – gut, dass es bei ihr wohl „Klick“ gemacht hat.

„Ich brauche keine AfD-Idioten in meiner Show“

Das passiert ja nicht immer.

Später ging es in dem Kommentaren vom Video weg, hin zum Thema AfD. Das ist das Reizwort 2019, da rasten alle aus. Und ich wusste, dass das passieren wird. Ich wollte mit dem Posten des Videos mal einen Reizpunkt setzen, finde es wichtig, mich zu positionieren. Die AfD-Idioten sollen abhauen. Die brauche ich nicht in meiner Show, die brauche ich nicht auf meiner Seite.

Inwiefern beeinflusst es Ihre Karriere, dass Sie lesbisch sind?

Offen mit dem Thema umzugehen, war für mich ein wichtiger, richtiger Schritt. Als Comedian stehst du auf der Bühne und erzählst aus deinem Leben. Dann jetzt so zu tun, als wären es die Geschichten „von einem Freund“, das fände ich scheiße und nicht zielführend. Das Publikum merkt auch, dass das nicht authentisch ist. Klar gab es am Anfang kritische Töne, ich glaube aber, dass mir das auch einige Rollen erspart hat. Und es war die Öffnung zum Thema Selbstfindung. Wie kann ich ich sein, wenn ich nicht damit anfange, ehrlich zu sein? Es ist halt ein wichtiger Teil von mir, so wie bei jedem seine oder ihre Sexualität – aber eben auch nur ein Teil. Wäre schlimm, wenn das anders wäre. Dann dürfte ich für Auftritte ja auch nur die ganzen CSDs abklappern.

Meinen Sie nicht, dass Sie das manchmal zu sehr ausschlachten?

Was bedeutet denn ausschlachten? Das passiert ja manchmal ganz automatisch. Ich sage zum Beispiel nur „ … ich war da mit meiner Lebensgefährtin“ und schon stöhnen einige wieder auf. Wenn das ein Mann auf der Bühne sagt, interessiert es seltsamerweise niemanden. Und wenn es den Leuten zuviel wird, sollen sie halt nicht kommen, das ist dann völlig ok.

Wieviel Homophobie gibt es denn in der Comedy-/Kabarett-Szene noch?

Die Diskrimierungsrate bei den Gags ist auf jeden Fall zurückgegangen. Wohl auch, weil es in der öffentlichen Wahrnehmung mittlerweile große Diskussionen dazu gibt, was ich auch gut finde.

Erleben Sie als Frau in der Humor-Sparte noch Sexismus?

Da müsste ich erstmal auf das Thema „Frau an sich“ eingehen. Als ich mit Komik anfing, merkte ich, dass du als Frau schneller in Shows eingeladen wirst, weil ja eine Quote erfüllt werden muss. Positiver Sexismus, auch nicht schön. Du kommst dann da auf die Bühne und merkst, dass du anders bewertet wirst, weil du eine Frau bist. Du kannst zu gut aussehen oder nicht gut genug aussehen – du wirst in jedem Fall immer erst auf dein Äußeres reduziert, das gibt es bei Männern nicht. Kommentare wie „Hübsch anzusehen, aber leider unlustig“ lese ich über Typen nie.

Wurde das im Laufe der Zeit besser?

Bei mir persönlich schon. Ich merke, dass ich mittlerweile nicht mehr als „die Frau“ wahrgenommen werde, sondern als Komikerin. Insgesamt bezweifle ich, dass es sich geändert hat. Es sollte irrelevant sein, ob du Mann oder Frau bist. Was ich teilweise schade finde, ist, dass so ein Eindruck auch durch bestimmte Formate entsteht. Sendungen wie „Ladies Night“ finde ich auch nicht ganz so glücklich. Ich habe das Gefühl, dass da oft das eigene Klischee von Frau nachgespielt wird, das ist nicht so cool.

Sie haben 15 Jahre lang Ballett getanzt. Hilft Ihnen das heute auf der Bühne?

Weiß ich gar nicht so genau. Ich bekomme häufig gesagt, dass man es an meiner Haltung, meiner Bühnenpräsenz sieht. Meine Ballettlehrerin leitete dazu noch ein Musicaltheater, da stand ich seit meinem achten Lebensjahr jährlich vor 400 Menschen auf der Bühne. Eigentlich wollte ich ja auch Musicaldarstellerin werden. Gut, dass ich das nicht gemacht habe. Erstens ist das ein Knochenjob, zweitens kannst du dich nicht selbst verwirklichen.

Inwiefern?

Man ist in der Musical-Blase gefangen, spielt immer nur etwas nach. Ich habe jetzt die größtmögliche Freiheit, was ich total schätze. Es gibt wenige Berufe, in denen man sich so frei bewegen kann. Einschränkungen gibt es für mich nur im TV. Da hast du oft nur fünf Minuten und eine Redaktion, die dir vorher sagt: „Nee, also das und das wollen wir nicht“ und im Zweifel wird’s dann rausgeschnitten.

„Für mich ist das Dorfleben nichts“

Sie als Niederrheinerin sind ja vor einigen Jahren nach Köln gezogen. Warum das Großstadtleben?

Ich wollte sofort aus Heinsberg weg, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Das wusste ich eigentlich schon im Mutterleib (lacht). Für mich ist das Dorfleben nichts, weil ich das Gefühl habe, dass sich manche Leute dort in ihrem Horizont beschränken. Aber natürlich erkenne ich auch an, dass jeder sein Leben so leben soll, wie er will – auch wenn ich mich manchmal über das Dorfleben auf der Bühne lustig mache. Es gibt nun mal nicht den einen perfekten Lebensentwurf.

Gilt denn das alte Vorurteil „Land = konservativ, Großstadt = progressiv“?

Konservativer ist es auf dem Land schon. Vielen Leute in der Heimat ist das, was ich mache, zu krass. In der Stadt hast du vielschichtigere Einflüsse und damit einen leichteren Zugang zu verschiedenen Kulturen. Die werden auf dem Dorf nicht so erlebt und gelebt. Da laufen zu viele mit Scheuklappen rum, haben Angst vor etwas Neuem und das man ihnen etwas wegnimmt. Das ist doch Wahnsinn!

Zum Abschluss was mit aktuellem Bezug: Ich las in einem früheren Interview, dass Sie unbedingt mal im ZDF-Fernsehgarten auftreten wollen …

Habe ich das gesagt? Bestimmt aus Scherz. Nach der Mockridge-Nummer müsste ich natürlich unbedingt dahin. Aber ich finde, Sonntagmorgens um 11 ist einfach keine Zeit für Comedy. Da bin ich als Langschläferin nicht fit, das wirkt sich dann negativ auf meine Performance aus. Vielleicht gehe ich aber doch nochmal mit Luke zusammen hin und wir lösen die Amigos ab (lacht)…


>>>INFO: Tahnee auf „Vulvarine“-Tour – hier gibt’s noch Karten:

11.10. Geldern (Aula im Lise-Meitner-Gymnasium),
21.11. Oberhausen (Ebertbad),
28.11. Leverkusen (Scala),
10.1. Lünen (Heinz-Hilpert-Theater),
16.1. Hamm (Maximilianpark),
17.1. Essen (Weststadthalle),
21.2. Bönen (Marie-Curie-Gymnasium),
22.2. Mülheim (Ringlokschuppen),
29.2. Hilden (Stadthalle),
6.3. Köln (E-Werk),
21.3. Münster (Kap. 8),
22.3. Dortmund (FZW),
2.4. Hagen (Stadthalle),
17.4. Siegen (Leonhard-Gläser-Saal),
24.4. Wesel (Niederrheinhalle),
25.4. Mönchengladbach (Kaiser-Friedrich-Halle),
29.4. Schwerte (Rohrmeisterei),
23.5. Attendorn (Stadthalle),
27.11.20 Soest (Stadthalle),
28.11.20 Kleve (Stadthalle).
Karten
gibt’s ab ca. 21 € unter anderem auf www.ruhrticket.de.