Wiener Tatort "Angezählt" fesselt mit Wucht schrecklicher Bilder - großer Auftritt für Adele Neuhauser
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Essen.. Sonntagabend ist Tatort-Zeit: Und wieder lohnt sich das Einschalten. Das Wiener Ermittler-Duo bewegt sich an diesem Wochenende in einem Psychodrama, das weit über den Krimistandard hinausreicht. Ein Kind tötet, Tabus werden gebrochen. Und es geht um gesellschaftliche Missstände, die auch im Ruhrgebiet hochaktuell sind.
Die Wucht dieser schrecklichen Bilder ist enorm. Eine junge Frau geht mitten auf der Straße schreiend in Flammen auf. Der Kontrast könnte drastischer nicht sein: Der Täter ist ein Junge, vielleicht zwölf; teilnahmslos blickt er auf das, was er gerade angerichtet hat und radelt davon. Benzin war in seiner Wasserpistole, und das Opfer hatte sich gerade eine Zigarette angezündet.
Der neue Wiener „Tatort: Angezählt“ (So., ARD, 20.15 Uhr) ist aber nicht nur ein Ausnahmestück, weil ein Kind tötet, weil Tabus gebrochen werden. Regisseurin Sabine Derflinger hat vor allem ein Psychodrama inszeniert, das weit über den Krimistandard an einem Sonntagabend hinausreicht. Harter, schwerer Stoff, den man schon noch mit ins Bett nimmt.
Der sadistische Zuhälter rächt sich an der ehemaligen Prostituierten
Der Fall selbst ist ja simpel, der Hintermann dieses grauenhaften Anschlags schnell identifiziert: ein sadistischer, bulgarischer Zuhälter, der sich an einer ehemaligen Prostituierten rächt und den Jungen für die Tat missbraucht.
Aber der Film interessiert sich weniger für die Frage, wie man ihm das nun nachweisen kann, sondern vielmehr für das Elend der Sinti und Roma, für die Ausbeuter, die mit ihnen ihr Geld verdienen, für das Milieu. Das wird in Wien nicht anders sein als in Duisburg oder Dortmund. Es wird aber kein sozialpädagogischer Zeigefinger-Exkurs, die Einblicke ordnen sich stets der Krimidramaturgie unter.
Öffentlich-RechtlicheAdele Neuhauser hat ihren ganz großen Auftritt im Tatort
Und Derflinger bereitet die Bühne für Adele Neuhauser, die hier ihren ganz großen Auftritt hat und ihren wie immer starken Filmpartner Harald Krassnitzer mit einer emotionalen Explosion einmal an den Rand drängen darf, ohne dass er dort zu kurz käme.
Ihre Polizistin Bibi Fellner, die so lange bei der Sitte gearbeitet hat, quält sich mit Selbstvorwürfen, weil sie das Opfer kannte, sie kann die Wut auf den Täter nicht unterdrücken und prügelt sinnlos auf ihn ein, sie zerbricht fast am Mitleid für den kleinen Jungen, der nicht so recht weiß, wie ihm eigentlich hier geschieht. Sie bemuttert ihn, weil er sie an ihre eigene verkorkste Kindheit erinnert, die sie beim Therapeuten aufarbeitet, sie bricht gar das Gesetz, um ihn zu retten.
Der Mensch verdrängt die Ermittlerin
Hier verdrängt der Mensch die Ermittlerin, und dazu bedarf es keiner Marotten aus dem Privatleben, wie sie anderen „Tatort“-Kommissaren gerne verpasst werden. Diese Fellner zwischen Zorn, Verzweiflung und Angriffslust ist das Triebwerk für den Lauf der Dinge dieses außergewöhnlichen Tatorts und gleichsam Adele Neuhausers Meisterstück.
Dabei funktioniert „Angezählt“ durchaus auch als spannender Krimi, der sich keinen Leerlauf gönnt. Ein besseres Angebot macht uns an diesem Fernsehabend niemand.
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